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er ihren Namen und bestimmt auch ein Foto, neben dem Eintrag 'zuspätkommen' finden. Wieder zerrte Jenny ihr Telefon hervor. Jetzt wartete sie schon eine halbe Stunde. Warum war sie bloß nicht erst mal nach Hause gefahren, um sich umzuziehen? Jetzt saß sie hier in ihrer viel zu warmen Jeans und dem langärmeligen Shirt und schwitzte. Aber nein, sie war direkt nach ihrer Schicht im Krankenhaus in den Bus gesprungen, um Anouk nicht warten zu lassen. Bescheuert!

      Ärgerlich krempelte Jenny ihre Ärmel hoch.

      Eigentlich konnte sie eine kleine Pause ganz gut gebrauchen. Seit sie als Assistenzärztin auf der Kinderstation arbeitete, waren die Momente selten geworden, in denen sie einfach nur herumsitzen konnte. Aber gerade jetzt wollte sie sich nicht ausruhen. Sie wollte ihre verdammten Neuigkeiten loswerden. Sofort. Am liebsten Vorgestern.

      Wieder griff sie nach ihrem Bier, aber es war leer. Sie nahm die volle Flasche, die sie vorhin schon für ihre Freundin bestellt hatte.

      „Hey! Ich glaube, das ist mein Bier.“ Anouk kam mit langen Schritten auf sie zugeeilt. In ihren hochhackigen Schuhen und mit der dramatischen Sonnenbrille sah sie aus wie ein Filmstar. Sie ließ sich in den gelben Liegestuhl neben Jenny fallen und griff nach dem Bier wie eine Verdurstende.

      „Mann, wo hast du denn so lange gesteckt?“ Jenny funkelte ihre Freundin wütend an, obwohl sie ihr nie lange böse sein konnte. „Ich warte hier schon seit Ewigkeiten.“

      Anouk ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Sie schlüpfte aus ihren Riemchen-Sandalen und steckte ihre nackten Füße in den Sand. „Ach, komm schon. Die paar Minuten“, sagte sie und schlug lässig die Beine übereinander.

      Jenny schüttelte den Kopf. „Offenbar hast du dir die Zeit genommen, dich in aller Ruhe umzuziehen.“ Sie betrachtete den kurzen, roten Rock und das silberne Spaghettiträger-Top ihrer Freundin. „Wieso rutscht dein Rock nicht hoch?“, fauchte sie dann angriffslustig. „Wenn ich mich so hinsetzen würde wie du, würde jeder sofort meine Unterwäsche sehen.“

      Anouk hob nur leicht die Schultern, stellte gelassen ihr Bier ab, streckte die Arme in die Höhe und verschränkte sie hinter ihren raspelkurzen, blondierten Haaren. Ihr Top rutschte ein Stückchen hoch und gab den Blick auf ihren Bauch frei.

      Auch dieser Anblick brachte Jenny in Rage. „Warum zum Teufel ist dein Bauch so braun?“

      Anouk zog halbherzig ihr Top herunter. „Ich habe eine gute Ausrede“, sagte sie dann grinsend. Jennys schlechte Laune prallte einfach an ihr ab. „Ich meine nicht für den Rock und den Bauch. Sondern fürs Zuspätkommen. Du errätst nicht, mit wem ich gerade eben telefoniert habe.“

      „Ist mir völlig egal“, erwiderte Jenny patzig. „Ich muss dir auch etwas erzählen und weil ich hier schon ewig warte, bin ich zuerst dran.“ Sie setzte sich auf. „Florian schläft mit Kessy.“ Sie atmete heftig aus und ließ sich dann erschöpft nach hinten sinken, als wäre ihre Aussage eine sportliche Höchstleistung gewesen.

      „Oh“, sagte Anouk mit ungerührtem Ausdruck. „Und wer ist?“

      „Die Laboranten-Kuh, die seit einem halben Jahr mit Florian zusammen arbeitet? Über die ich ständig rede? Die, von der ich dir das Foto auf der Homepage gezeigt habe? Verdammt, hörst du mir überhaupt nie zu?“

      „Doch, als du mir diese Manolo Blahnik-Schuhe im Ausverkauf beschrieben hast, habe ich sehr genau zugehört.“ Anouk musterte Jenny. „Warum regst du dich so darüber auf, dass dein Ex-Freund mit einer anderen schläft? Soweit ich mich erinnern kann, hast du mit ihm Schluss gemacht.“

      „Ja, und?“ Jenny lachte freudlos auf. „Aber muss er deshalb mit so einer ...“, sie suchte nach dem passenden Wort, fand aber keins, „... mit so einer zusammen sein? Ich meine, was sagt das über mich aus?“

      Anouk seufzte. „Ich würde sagen, mit dir hat das nichts mehr zu tun. Florian hat sich in eine andere Richtung entwickelt und du hast es rechtzeitig erkannt. Das war doch dein Hauptvorwurf: dass er nicht Arzt geworden ist, sondern sich an die Pharmaindustrie verkauft hat. Es macht also Sinn, wenn er sich jetzt auch eine andere Freundin sucht.“

      Anouk trank ihre Flasche leer und sah Jenny fragend an. „Soll ich uns noch zwei holen?“

      „Das ist alles?“ Jenny hatte so laut gesprochen, dass sich ein Pärchen am Nachbartischchen nach ihnen umdrehte. Sie senkte ihre Stimme etwas. „Mehr hast du dazu nicht zu sagen?“

      „Doch“, erwiderte Anouk trocken. „Aber das willst du nicht hören.“

      Jenny nickte ihr kurz zu. „Versuch es trotzdem.“

      Anouk nahm die Sonnenbrille ab. „Du hast nicht mit Florian Schluss gemacht, weil er - Achtung, ich zitiere dich nur - eine Pharma-Hure geworden ist. Du hast dich von ihm getrennt, weil er dir noch keinen Heiratsantrag gemacht hat.“

      Jenny schnappte nach Luft, aber Anouk redete einfach weiter. „Klar, die Phase der ersten Verliebtheit ist vorbei. Aber du wolltest dich gar nicht wirklich trennen, sondern nur ein bisschen Pep in eure eingeschlafene Beziehung bringen.“ Sie drehte ihre leere Flasche in den Händen. „Du bist neunundzwanzig, Jenny. Seit dreiundzwanzig Jahren erzählst du mir, dass du drei Kinder willst. Da wird es doch langsam Zeit. Immerhin musst du ja auch noch deinen Facharzt machen, bevor du endlich aus Berlin rauskommst, dir ein Häuschen kaufen kannst und einen guten Halbtagsjob in einer Kinderarztpraxis findest.“

      Jenny starrte Anouk sprachlos an. „Das denkst du von mir?“

      Anouk nickte. „Das und Schlimmeres“, bestätigte sie mit einem Augenzwinkern. „Ich denke, diese Kessy ist völlig in Ordnung. Du bezeichnest jede Frau als Schlampe, die regelmäßig die Haare färben lässt, Röcke trägt, die nicht das Knie bedecken und Spaß an Sex hat.“ Sie erhob sich und zeigte wieder auf ihre leere Bierflasche. „Noch eins?“

      Jenny starrte ihre Freundin an. „Ich mag Sex“, zischte sie.

      „Womit wir wieder bei deinem impotenten Ex-Freund wären.“

      „Er ist nicht impotent.“ Jenny war jetzt so sauer, dass sie fast schrie. Mehrere Leute drehten sich zu ihnen um und guckten neugierig, wer da dieses offenherzige Gespräch führte. Jenny lief rot an und drosselte ihre Lautstärke. „Es war nicht so, dass er nicht …“ Sie brach ab, setzte dann neu an. „Er hat nicht nicht …“ Sie warf die Hände gen Himmel. „Es ist nur ein einziges Mal passiert, okay? Ich hätte dir das überhaupt nicht erzählen dürfen. In deinen Händen wird jede Information zur Waffe.“

      Anouk nickte verständnisvoll. „Stimmt. Aber wenn du nicht mehr über Sex reden würdest, dann hättest du überhaupt keinen Grund dafür, es noch zu tun.“

      „Ich war sechs Jahre mit Florian zusammen“, erklärte Jenny. „Es ist doch klar, dass man dann nicht mehr so aufeinander steht, wie in den ersten Wochen.“

      „Stimmt schon wieder“, gab Anouk ihr Recht. „Deshalb habe ich ja auch meine Dating-Regel. Höchstens fünf Mal Sex und dann ist Schluss.“ Sie stand auf. „Was ist nun - trinkst du noch eins?“

      Jenny nickte stumm und sah ihrer Freundin nach, die sich Richtung Bar entfernte. Das hatte sie jetzt wirklich alles nicht hören wollen. Anouk brachte es immer wieder fertig, dass sie sich fühlte wie eine langweilige Spießerin. Nur weil sie nicht in Clubs ging, um fremde Typen abzuschleppen, war sie doch weiß Gott keine Nonne. Sie drehte sich noch einmal zu Anouk um, die gerade die Getränke bestellte und dann lachend den Kopf in den Nacken warf, während sie eine Frage des süßen Barkeepers beantwortete.

      Nein, mit Anouk musste sie sich wirklich nicht vergleichen. Die war eine Klasse für sich. Und ihr beste Freundin – und die liebenswerteste Person, die es auf diesem Planten gab.

      Aber was war mit den anderen Dingen, die Anouk gesagt hatte? Hatte sie Florian vielleicht wirklich bewegen wollen, ihr einen Heiratsantrag zu machten?

      Jenny verzog das Gesicht. Gott, nein. Sie hatte schon seit längerem nur noch lauwarme Gefühle für ihn. Sie wollte ihn nicht zurück, aber sie wollte ihn auch nicht verlieren. Das machte zwar keinen Sinn, war aber

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