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das Lichtband der Tür.

      Jetzt war es aus!

      Resigniert ließ Sophie die Schultern hängen und wartete darauf, hochkant aus der Villa befördert zu werden.

      „Ich hätte schwören können, dass sich hier jemand herumtreibt“, dröhnte der tiefe Bass einer Männerstimme. Seine Schritte entfernten sich zögerlich und Nick atmete erleichtert auf.

      „Hoffentlich haben sich Maike und Jonas gut versteckt“, raunte er ihr zu. „Keine Ahnung, warum der Besitzer ausgerechnet jetzt auftaucht.“

      „Bitte Nick, wir sollten nach Hause fahren. Meine Nerven liegen blank, ich habe absolut kein gutes Gefühl.“

      „Ach was, Aufgeben kommt nicht infrage. Wir sind so nah am Ziel und der Eigentümer wird garantiert wieder seiner Wege gehen. Manchmal kommt halt etwas dazwischen, damit müssen wir leben.“

      Frustriert drehte sie sich von ihm weg. Warum hatte sie nicht von Anfang an Klartext mit ihm gesprochen? Nein, sie hatte sich stattdessen an irrwitzige Hoffnungen geklammert und jetzt galt nur noch der Leitspruch: mitgefangen – mitgehangen. Sie würde drei Kreuze machen, sobald dieser unselige Ausflug endlich vorbei wäre.

      Mit einer fahrigen Bewegung strich sie sich eine verschwitzte Haarsträhne aus der Stirn. Es kostete sie eine Menge Selbstbeherrschung, von Nick nicht zu verlangen, sie sofort zum Wagen zu begleiten. Was die anderen über sie dachten, war ihr inzwischen vollkommen egal. Die gesamte Urbex-Szene konnte sie mal, und zwar kreuzweise.

      Ihr verschwitztes Shirt klebte am Rücken und es war eine Tortur, den Schritten des Eigentümers zu lauschen, die sich ständig näherten oder entfernten. Endlich, nach einer quälend langen Zeit fiel die Eingangstür ins Schloss. Sophie wollte sofort nach draußen stürmen, doch Nick hielt sie zurück.

      „Wir warten ein paar Minuten. Er könnte noch immer in der Villa sein und ich will auf Nummer sicher gehen.“

      „Ich bekomme kaum noch Luft“, presste sie mühsam hervor.

      „Sophie, so schlimm ist es nun auch wieder nicht“, versuchte er zu beschwichtigen.

      „Doch, ist es. Außerdem muss ich ganz dringend wohin, meine Blase platzt gleich“, legte sie nach.

      „Okay, ich gehe raus. Bitte rühr dich nicht von der Stelle“, bat er eindringlich. Vorsichtig öffnete er die Tür und riskierte einen Blick in den Salon. Die Luft schien rein und er bewegte sich lautlos in Richtung Flur. Sophie folgte ihm, obwohl er sie gebeten hatte, es nicht zu tun. Aber sie hätte es keine Minute länger in diesem stickigen Kabuff ausgehalten. Sie hielt den Zipfel seines Shirts fest in ihrer Hand und tappte ihm hinterher. Erst als sie im Flur auf Maike stießen, ließ sie ihn beschämt los.

      „Jonas hat grünes Licht gegeben, der Kerl ist weg. Er konnte vom oberen Fenster aus sehen, wie der Besitzer zu seinem Wagen gegangen ist.“ Maike taxierte Nick verärgert. „Hast du uns nicht versichert, dass er seine festen Zeiten hätte?“

      „Murphys Gesetz, was schiefgehen kann, geht schief.“ Er zuckte mit den Schultern. „Und jetzt lasst uns Gas geben. Während ihr euch um die Aufnahmen kümmert, werden Jonas und ich nach dem Eingang suchen.“

      „Das kann doch nicht dein Ernst sein?“

      Sophie blickte ihn entgeistert an. Was, wenn der Eigentümer zurückkehrte?

      „Keine Sorge, Sophie, uns wird schon nichts passieren“, erwiderte Maike gelassen. „Wir können in aller Ruhe die Aufnahmen machen und die Jungs stehen uns dabei nicht im Weg herum. Außerdem bin ich es gewohnt, allein zu arbeiten.“

      „Nick und Jonas sind nicht dabei, wenn du filmst?“ Sophies ungläubige Miene sprach Bände.

      „Nein, ich bin lieber allein. Nur so kann ich den Moment perfekt einfangen.“

      „Ehrlich Maike, ich würde mich zu Tode fürchten“, gestand Sophie. „Ihr könnt von mir denken, was ihr wollt, aber ich möchte nur noch hier weg. Nick, versprich mir bitte, dass ihr euch beeilen werdet?“

      „Natürlich. Stimmt’s, Jonas?“

      Jonas verweigerte seine Zustimmung, drehte sich um und lief in Richtung Kellertreppe. Nick folgte ihm.

      Ignoranter Kerl, dachte Sophie wütend.

      „Wenn wir uns aufteilen, kommen wir uns mit den Aufnahmen nicht in die Quere“, erklärte Maike und schnappte sich ihre Tasche. „Falls du nichts dagegen hast, werde ich zuerst den Salon filmen.“

      Wie gern hätte sie Maike geantwortet, dass sie sehr wohl etwas dagegen hatte, verkniff es sich aber in letzter Sekunde. Stattdessen gab sie klein bei. „Ich gehe dann mal nach oben“, murmelte sie verdrossen.

      Frustriert stieg sie die Stufen nach oben und stand verloren im Flur. Ein unangenehmes Kribbeln breitete sich aus und sie zitterte leicht. Winzige Staubpartikel schwebten im einfallenden Sonnenlicht und verliehen dem Ort etwas Geheimnisvolles. Das Haus war wunderschön und einzigartig, gar keine Frage, aber auf sie wirkte der Zauber der vergangenen Epoche eher wie ein Gruselkabinett. Nick hatte vorab erwähnt, dass die Villa von einem Fabrikbesitzer um 1900 erbaut worden war und auch das Inventar sollte aus dieser Zeit stammen. Die Vorstellung, dass diese Menschen nicht mehr unter ihnen weilten, fand sie besonders schaurig. Dennoch erweckte die Villa den Eindruck, dass die ehemaligen Bewohner jeden Moment zurückkehren könnten, um die eigenen vier Wände wieder in Beschlag zu nehmen.

      Mit der Kamera im Anschlag betrat Sophie das erste Zimmer, das einer Dame gehört haben musste. Am Schrank hing ein gerüschter Morgenmantel und neben der Kommode aus Kirschholz stand ein eleganter Schminktisch mit unzähligen Flakons. Selbst das Bett war bezogen und hergerichtet. Mit einem leichten Frösteln versuchte Sophie, die Atmosphäre dieses Zimmers einzufangen, um es anschließend so schnell wie möglich wieder zu verlassen.

      Beim nächsten Raum handelte es sich um ein Kinderzimmer. Zögernd verharrte sie auf der Schwelle und ließ die Einrichtung auf sich wirken. Vergilbte Tapete mit einem zarten Blümchenmuster bedeckte die Wände. In einer Ecke hatte sich schwarzer Schimmel eingenistet und fraß sich durch das poröse Mauerwerk. Linker Hand befand sich ein Kinderbettchen. Obwohl es weiß lackiert war, erinnerte auch dieses antike Stück an einen Käfig. Das Regal neben dem Kleiderschrank war mit Büchern und Spielzeug vollgestopft. Ein einäugiger, zerzauster Teddybär saß auf einem kleinen Kinderstuhl und direkt daneben verstaubte ein altertümliches Dreirad. Jeder Antiquitätenhändler wäre mit einem begeisterten Jauchzen durch diese Villa spaziert.

      Sophie ging in die Hocke und schoss hoch konzentriert weitere Fotos. Der erste Raum war schon unheimlich gewesen, aber das Kinderzimmer übertraf den Gruselfaktor um ein Vielfaches. Gib Gas, ermahnte sie sich im Stillen, denn unten im Salon hatte sie sich bedeutend wohler gefühlt. Das lag mit Sicherheit an der Eingangstür, die den Weg in die Freiheit versprach.

      Bevor sie das Kinderzimmer verließ, konnte sie dem Drang nicht widerstehen, dem Schaukelpferd einen leichten Stoß zu versetzen. Leise bollernd schwang es vor und zurück.

      „Das darfst du nicht, das ist nicht deins.“

      Erschrocken wirbelte Sophie herum, denn sie hatte klar und deutlich eine Kinderstimme vernommen. Mit klopfendem Herzen hielt sie inne und lauschte. Verdammt, diese Umgebung machte sie noch verrückt. Wahrscheinlich hatte Maike nur etwas gerufen. Sie lief in den Flur und beugte sich über das Treppengeländer.

      „Maike?“

      „Ja, was gibt’s?“

      „Soll ich dir helfen?“

      „Nein, ich bin gerade damit beschäftigt, die Kamera in der Bibliothek aufzubauen. Warum fragst du?“

      „Ach nichts. Ich dachte nur, ich hätte etwas gehört.“

      „Na dann …“

      Mit einem flauen Gefühl in der Magengegend schlich Sophie wieder zurück. Sie warf einen letzten Blick in das Kinderzimmer und zog die Tür zu. Schon am Morgen hatte sie gespürt, dass etwas mit ihr nicht stimmte, und ausgerechnet jetzt waren diese Befürchtungen

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