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ihnen den Gefallen, doch ihre Herkunft verleugnen wollte sie nicht. Da Jerry Thompson, ihr Vater, nicht mit Sylvia Heidfeld verheiratet war, trug Maggie den Namen ihrer Mutter. Unter keinen Umständen hätte sie ihn abgelegt oder verleugnet. Deshalb machte sie von der Möglichkeit eines Doppelnamens Gebrauch und nannte sich seither Margreth Kollinger-Heidfeld.

      Wie sehr ihre Pflegeeltern sie geliebt hatten, machte ihr die plötzliche Erbschaft klar, die sie nach dem Tod der beiden erreichte. Karl und Maria Kollinger waren am 11. September 2001 bei dem terroristischen Anschlag auf das World Trade Center in New York zu Tode gekommen und hinterließen ihr ein Vermögen, das ihr ein sorgenfreies Leben gewährleistete. Ihr Schmerz über den Tod der Beiden, die ihr vor Jahren das Leben gerettet hatten, war überwältigend und hatte ihr fast das Herz aus dem Leib gerissen. Sie hatte zum zweiten Mal ihre Eltern verloren. Doch die Arbeit als Journalistin bei der New York Times vereinnahmte sie so sehr, dass der Schmerz mit der Zeit auf ein Mittelmaß abebbte.

      Mit der rechten Hand faltete sie die vor ihr liegende Zeitung zusammen und legte beide Hände flach darauf.

      „Ob Sie noch einen Kaffee möchten, Frau Kollinger?“ fragte Leonhard erneut geduldig.

      „Ja, bitte. Oder nein, warten Sie. Bringen Sie mir einen Cognac. Ja“, sagte sie nochmals, wie zur Bestätigung. „Einen Cognac.“

      Leonhard schritt gemächlich zur Theke, um seiner Frau, die hinter der Theke arbeitete, den Auftrag weiterzugeben und Maggie faltete die eben zusammengelegte Zeitung für einen kurzen Moment wieder auf.

      Grausiges Verbrechen in Hermeskeil - Täter noch unbekannt

      sprang ihr die Schlagzeile des Aufmachers im Trierischer Volksfreund entgegen. Ein Bild von einem Toten hatte man nicht veröffentlicht, wohl aber eins von dem Haus und der Stelle hinter dem Anwesen, wo man den Toten gefunden hatte.

      Nachdem der Wirt den Cognac mit einem Gesundheitswunsch vor Maggie abgestellt hatte, gab sie sich der Lektüre hin und sog Satz für Satz, Wort für Wort des Inhalts in sich auf. Sie lächelte bei dem Passus, der besagte, dass die Polizei im Dunkeln tappte und Hinweise aus der Bevölkerung bei jeder Polizeidienststelle entgegengenommen würden.

      Sie las den Artikel nochmals und dann noch einmal. Irgendetwas schien sie nicht zu verstehen, denn sie schüttelte mit leicht zugekniffenen Augen fast unmerklich den Kopf.

      Der Cognac brannte in ihrer Kehle, doch dann fühlte sie eine wohlige Wärme in sich emporsteigen. Sie faltete die Zeitung zusammen und verstaute sie in ihrer Handtasche.

      Als Leonhard an ihrem Tisch vorbeikam raunte sie ihm zu, er solle den Verzehr mit auf die Gesamtrechnung setzen.

      „Haben Sie vor, länger in unserem Hotel zu wohnen?“, fragte der Wirt erwartungsvoll.

      Maggie nickte und lächelte. Hotel hatte er gesagt. Eine Absteige würde sie diese Unterkunft eher nennen. Leicht hätte sie sich eine andere Bleibe suchen können, doch sie wusste: nah am Menschen war man nur in einer Kneipe wie dieser. Hier wurde an der Theke über alles geredet, was in der kleinen Stadt so geschah, anders als in einer schweigenden Lobby eines übersituierten Hotels. Ja, sie würde noch einige Zeit hierbleiben, solange, wie sie es für notwendig empfand.

      Wenn alles vorbei sein würde, dann würde sie sich um eine Anstellung bemühen, bei irgendeiner Zeitung im Lande, vielleicht sogar beim Trierischer Volksfreund. Die Zeit würde ihr eine Lösung anbieten, da war sie sich sicher. So oder so. Doch erst hatte sie Wichtigeres zu erledigen.

      Maggie lehnte sich in dem alten Wirtshausstuhl zurück und schwenkte das Glas mit dem noch vorhandenen Schluck Cognac. Ihr Blick streifte durch das Lokal, das an diesem Nachmittag schwach besucht war. Zwei Männer mittleren Alters standen an der Theke. Sie unterhielten sich gelangweilt, wie es den Anschein hatte. Mit etwas Abstand von ihnen stand ein junger Mann, vielleicht um die achtzehn, wie Maggie schätzte. Ab und zu warf er eine Münze in den Geldautomal an der Wand neben der Theke.

      Zwei Tische waren mit Gästen besetzt, bei denen es sich offensichtlich um Urlauber oder Feriengäste handelte.

      Ihr Blick streifte die Theke, wo Leonhard, der Wirt und seine Frau Agnes sich leise unterhaltend auf die nächsten Bestellungen der Gäste warteten.

      Als ihr Blick auf den Bahnhofsuhr ähnlichen Chronometer an der Wand ihr gegenüber fiel, kam ihr der Gedanke, dass die Läden der kleinen Stadt noch für mindestens drei Stunden geöffnet waren. Sie brauchte etwas Neues zum Anziehen, einige Toilettenartikel und einen Koffer für spätere Reisen.

      Sie trank den letzten Schluck Cognac, verstaute die Zeitung in ihrer Handtasche und verließ das Gasthaus.

      Vor der Tür stieß sie mit einem Mann zusammen, der seine Blicke in der Gegend umherschweifen ließ und dabei Maggie vollkommen übersah.

      „Das tut mir leid, junge Frau. Ich war in Gedanken. Verzeihen Sie, bitte.“

      „Schon gut. Ist ja nichts passiert“, sagte Maggie und wollte an dem hochaufgewachsenen Mann, den sie auf etwa 40 Jahre schätzte, vorbei.

      „Darf ich meine Schusseligkeit irgendwie gutmachen?“, fragte er lächelnd und zeigte eine Reihe blendend weißer Zähne in seinem braungebrannten Gesicht. „Vielleicht bei einem Abendessen in diesem … Lokal? Ach, wie dumm! Verzeihen Sie mir. Ich habe mich Ihnen noch nicht vorgestellt. Satorius. Hans Satorius. Ich bin Reporter der örtlichen Zeitung und habe, wie man so schön sagt, mein Tagewerk vollbracht. Na, habe ich Chancen, dass Sie mein Angebot annehmen?“

      „Ein Reporter? Interessant.“ Maggie erwähnte mit keinem Wort, dass er eine Kollegin vor sich hatte. Ein Reporter? Eigentlich konnte ihr nichts Besseres widerfahren. Infos aus erster Hand … die Gelegenheit würde sich nicht so oft bieten.

      „Margreth Kollinger.“ Keck sah Maggie Satorius von der Seite her an und reichte ihm ihre Hand. „Wenn Sie eine Stunde warten können? Ich habe noch einige Dinge zu erledigen, bevor die Läden schließen. Haben Sie schon einmal hier gegessen?“ Maggie zeigte in Richtung der Gaststättentür.

      „Ach was. Ich habe noch in keiner Gaststätte in Hermeskeil gegessen. Sie sagen das so, als ob …“

      „In der Nähe der Kirche gibt es ein Restaurant. Am Saar-Hunsrück-Steig heißt es, oder so ähnlich“, unterbrach ihn Maggie. „Treffen wir uns dort.“

      “In einer Stunde also?“

      „Sagen wir lieber in zwei Stunden. Was sind schon 60 Minuten für den Einkauf einer Frau?“

      Kapitel 14

      „Ich habe alles an Akten, was für uns interessant sein könnte, bei der Staatsanwaltschaft kopiert“, sagte Overbeck und legte einen Stapel bedruckten weißen Papiers vor Leni auf dem Schreibtisch ab.

      „Die Akte Thompson?“ Lenis Interesse stieg auf Anhieb und sah Overbeck erwartungsvoll an.

      „Die Akte Thompson-Heidfeld. Die beiden waren nicht verheiratet.“

      „Aha, interessant.“

      „Was soll daran interessant sein. Nicht jedes Pärchen heiratet gleich. Wie steht es eigentlich mit dir? Hast du einen Freund. Oder bist du verheiratet. Oder gibt es da einen Lebensgefährten?“

      „Finde es heraus, wenn es dich so sehr interessiert. Sollten wir nicht lieber jetzt die Akten durchforsten?“

      „Okay, schon gut.“ Overbeck ließ sich auf seinen Bürostuhl fallen. „Ein Kaffee wäre nicht schlecht.“

      „Gute Idee. Machst du mir einen mit.“ Während dieser schlagfertigen Antwort war sie bereits dabei, in den Akten herumzublättern. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie sich Overbeck erhob und sich an der Kaffeemaschine zu schaffen machte. Kurz darauf stellte er eine Tasse mit dampfendem Inhalt vor Leni auf dem Schreibtisch ab, und das ohne eine anzügliche Bemerkung, wie Leni erstaunt feststellte.

      „Also, da haben wir den Tatortbericht, den Bericht der Spurensicherung und die Ergebnisse der Auswertungen.“ Overbeck zeigte auf einige der beschriebenen Blätter.

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