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statt in die Kleider hineinzuschlüpfen, aus ihnen herauszukommen. Das geht übrigens ganz leicht. Man braucht nur so – zu machen – und dann so – so – so – und dann so – und so – und so – und dann –«

      »Mein Gott! Fräulein Salsafette!« riefen ein Dutzend Stimmen. »Was fällt Ihnen ein! – Gott bewahre! Genug, genug! – Wir sehen deutlich genug, wie es gemeint ist! – Halt, halt!« Und einige sprangen schon von ihren Sitzen, um Fräulein Salsafette davon abzuhalten, sich in das Kostüm der Mediceischen Venus zu werfen.

      Da wurde die allgemeine Verwirrung noch durch laute, gellende Schreie gesteigert, die aus einem inneren Teil des Schlosses zu dringen schienen.

      Meine Nerven wurden von diesen Schreien nicht wenig erschüttert, für die andern aber hatten sie geradezu eine bedauernswerte Wirkung. Nie in meinem Leben sah ich vernünftige Leute so fürchterlich erschrecken. Sie wurden alle leichenblaß, sanken in ihrem Stuhl zusammen und lauschten, bebend vor Angst, auf eine Wiederholung jener Töne. Sie kamen – näher und lauter – und dann ein drittes Mal sehr laut, und dann ein viertes Mal mit anscheinend verminderter Heftigkeit. Bei diesem offenbaren Nachlassen des Lärmens gewann die Gesellschaft schnell ihre Fassung zurück, und wie vorher war alles voll Leben und Heiterkeit. Ich wagte jetzt eine Frage nach der Ursache jener sonderbaren Störung.

      »Nichts von Bedeutung,« sagte Herr Maillard. »Wir sind dergleichen gewohnt und kümmern uns nicht viel darum. Hie und da brechen die Irren in ein gemeinsames Geheul aus; einer steckt den andern damit an, ähnlich wie Hunde des Nachts einander zum Bellen reizen. Es kommt jedoch gelegentlich vor, daß diesem Schreien ein allgemeiner Versuch, auszubrechen, folgt, was natürlich nicht ganz gefahrlos wäre.«

      »Und wieviel Pfleglinge haben Sie?«

      »Gegenwärtig nicht mehr als zehn.«

      »Hauptsächlich Frauen, wie ich schätze?«

      »O nein – lauter Männer, und kräftige dazu, kann ich Ihnen sagen.«

      »Wirklich! Ich habe immer angenommen, die Mehrzahl der Irrsinnigen sei weiblichen Geschlechts.«

      »Meistens ist es so, aber nicht immer. Vor einiger Zeit hatten wir hier siebenundzwanzig Patienten und darunter nicht weniger als achtzehn Frauen; in letzter Zeit hat sich aber, wie Sie sehen, vieles geändert.«

      »Ja – vieles geändert, wie Sie sehen«, fiel der Herr ein, der vorhin Mamselle Laplace auf den Brokat getreten hatte.

      »Ja – vieles geändert, wie Sie sehen!« brüllte die ganze Gesellschaft auf einmal.

      »Haltet den Mund!« rief mein Gastgeber aufgebracht. Worauf minutenlang vollkommene Stille herrschte. Eine der Damen nahm Herrn Maillards Befehl wörtlich und hielt sich bis zum Ende des Gesprächs den großen Mund gehorsam mit beiden Händen zu.

      »Und jene Dame,« sagte ich und beugte mich zu Herrn Maillard, »die gute alte Dame, die uns das Kikeriki vormachte – sie ist, wie ich annehme, harmlos – ganz harmlos, wie?«

      »Harmlos?« sagte er mit unverhohlenem Staunen. »Wie – wie – wie meinen Sie das?«

      »Nur ein leichter Fall«, sagte ich und tippte mit dem Finger an die Stirn. »Ich nehme an, es ist kein schwerer, kein gefährlicher Fall, wie?«

      »Mein Gott! Was denken Sie denn! Diese Dame, meine liebe alte Freundin Frau Joyeuse, ist so gesund wie ich. Gewiß, sie hat ihre kleinen Eigenheiten – aber, Sie wissen ja: alle alten Frauen – alle sehr alten Frauen sind mehr oder weniger sonderbar!«

      »Gewiß,« sagte ich – »gewiß – und die andern Herren und Damen hier –«

      »Sind meine Freunde und Beamten,« fiel mir Herr Maillard ins Wort und richtete sich abweisend in die Höhe – »meine besten Freunde und Gehilfen.«

      »Wie, allesamt?« fragte ich, »die Frauen und alle die übrigen?«

      »Allerdings,« sagte er – »wir könnten ohne die Frauen gar nicht auskommen; sie sind die besten Irrenwärterinnen, die es gibt; sie haben so ihre eigene Weise, wissen Sie; ihre strahlenden Blicke haben eine ganz besondere Wirkung – so ähnlich wie der Zauber der Schlange, verstehen Sie.«

      »Gewiß,« sagte ich – »ganz gewiß! Aber sie benehmen sich ein wenig sonderbar, wie? – Sie sind nicht so ganz richtig, wie? – Meinen Sie nicht?«

      »Sonderbar! – Nicht ganz richtig! – Ist das Ihr Ernst? Gewiß, wir hier im Süden sind nicht sehr zimperlich – lassen uns ein wenig gehen – genießen das Leben, wissen Sie ...«

      »Gewiß,« sagte ich; »gewiß!«

      »Und dann ist vielleicht der Wein, der Clos de Vougeot, ein wenig schwer, wissen Sie – ein wenig stark – verstehen Sie, eh?«

      »Gewiß,« sagte ich; »gewiß! Beiläufig gesagt, mein Herr, ist meine Annahme richtig, daß Sie sagten, statt des berühmten Besänftigungs-Systems hätten Sie nun ein System rücksichtsloser Strenge eingeführt?«

      »Keineswegs. Die Kranken befinden sich zwar in strengem Gewahrsam, aber die Behandlung – die ärztliche Behandlung, meine ich – ist geradezu eine angenehme.«

      »Und das neue System ist Ihre eigene Erfindung?«

      »Nicht ganz. Zum Teil geht es auf Dr. Teer zurück, von dem Sie sicher gehört haben; andrerseits habe ich aber Modifikationen eingeführt, die, wie ich mit Vergnügen feststelle, von dem berühmten Professor Feder stammen, mit dem Sie, wenn ich mich recht erinnere, die Ehre haben, näher bekannt zu sein.«

      »Ich muß leider bekennen,« erwiderte ich, »daß ich bisher nicht einmal den Namen eines der Herren gehört habe.«

      »Gütiger Himmel!« rief mein Wirt, schob seinen Stuhl zurück und erhob die Arme zum Himmel. »Ich habe mich wohl verhört! Wie? Sie wollen doch nicht sagen, Sie hatten von dem bekannten Dr. Teer und dem berühmten Professor Feder nie gehört

      »So ist es, wie ich beschämt gestehe«, entgegnete ich. »Aber Wahrheit ist die Hauptsache! Und ich bin tief unglücklich, mit den Werken dieser zweifellos hervorragenden Männer nicht vertraut zu sein. Ich werde das aber sogleich nachholen und ihre Schriften sorgsam durcharbeiten. Herr Maillard, Sie haben mich – ich muß es bekennen – Sie haben mich wirklich tief beschämt.«

      Und das war Tatsache.

      »Nichts mehr davon, lieber junger Freund,« sagte er liebenswürdig und drückte mir die Hand – »trinken wir ein Glas Sauterne miteinander.«

      Wir tranken. Die Gesellschaft tat ein Gleiches: alle tranken maßlos. Sie schwatzten – scherzten – lachten – verübten tausend Tollheiten. Die Fiedeln kreischten, die Trommel dröhnte, die Blasinstrumente gellten und bellten – und die ganze, durch die Wirkung des Alkohols immer wüster werdende Szene artete aus in höllische Raserei. Herr Maillard und ich, einige Flaschen Sauterne und Clos Vougeot vor uns, setzten indessen mit aller Kraft unserer Lungen die Unterhaltung fort. Ein mit normaler Stimme gesprochenes Wort hatte nicht mehr Aussicht, vernommen zu werden, als die Stimme eines Fisches vom Grunde der Niagara-Fälle.

      »Sie erwähnten vor Tisch«, brüllte ich ihm ins Ohr, »die Gefahren, welche das alte Besänftigungs-System mit sich brachte. Würden Sie mir darüber Aufschluß geben?«

      »Ja«, erwiderte er. »Es hat gelegentlich große Gefahren. Die Launen Wahnsinniger sind unberechenbar, und sowohl ich als auch Dr. Teer und Professor Feder sind der Ansicht, daß es niemals ratsam ist, sie unbewacht herumgehen zu lassen. Ein Irrer mag für einige Zeit ›besänftigt‹ werden, wie man so sagt, im Grunde aber ist er immer geneigt, in Tobsucht auszubrechen. Seine Verschlagenheit ist groß, ja sprichwörtlich. Wenn er einen Plan hat, so verbirgt er seine Absicht mit bewunderungswürdiger Schlauheit, und die Gewandtheit, mit der er ein Geheiltsein vortäuscht, bietet den Psychiatern eines der seltsamsten Probleme. In der Tat: wenn ein Geisteskranker vollkommen gesund erscheint, ist es hohe Zeit, ihn in die Zwangsjacke zu stecken.«

      »Aber die Gefahr, mein lieber Herr – von der Sie

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