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der Doktor. Obwohl ich froh war, den Klang seiner Stimme zu hören, so war meine Freude doch nicht ungemischt. Ich dachte mit Beschämung an meine ungehorsame Aufführung und mein heimliches Weglaufen; und da ich sah, wohin es mich gebracht hatte – in welche Gefahren und in welche Gesellschaft –, da schämte ich mich, ihm ins Gesicht zu sehen. Er mußte bei dunkler Nacht aufgestanden sein, denn der Tag war kaum angebrochen; und als ich an meine Schießscharte lief und hinaussah, sah ich ihn bis an die Knie in dichtem Nebel stehen wie damals Silver.

      »Sie, Herr Doktor! schönsten guten Morgen!« rief Silver, der im Nu wach war und von bester Laune strahlte. »In aller Herrgottsfrühe! Aber der Vogel, der früh aufwacht, kriegt sein Futter, wie das Sprichwort sagt. George, mach' dich auf die Beine, mein Sohn, und hilf Doktor Livesey auf Deck! Mit Ihren Patienten steht's gut, Doktor – alle wohl und munter!«

      So schwatzte er, die Krücke unter dem einen Arm und die andere Hand gegen die Wand des Blockhauses gestützt – in Stimme, Benehmen und Mienen ganz der alte John.

      »Wir haben auch 'ne richtige Überraschung für Sie, Herr,« fuhr er fort. »Wir haben einen kleinen Gast hier – hehe! Einen neuen Gast zum Schlafen und Essen, Herr, frisch und munter wie 'ne Fiedel – hat geschlafen wie ein Superkargo, dicht an der Seite vom alten John, die ganze Nacht!«

      Dr. Livesey war inzwischen über die Palisaden geklettert und schon ziemlich dicht an Silver herangekommen, und ich konnte die Unruhe in seiner Stimme bemerken, als er fragte:

      »Doch nicht Jim?«

      »Jim, wie er leibt und lebt!« rief Silver.

      Der Doktor blieb stehen, doch sagte er kein Wort, und es dauerte mehrere Sekunden, bis er imstande zu sein schien, weiterzugehen.

      »Hum,« sagte er schließlich, »erst die Pflicht und dann das Vergnügen – wie er selber vielleicht hätte sagen können, Silver. Erst wollen wir uns mal eure Patienten ansehen.«

      Einen Augenblick später war er in das Blockhaus eingetreten. Er nickte mir nur mit einem grimmigen Lächeln zu und machte sich an seine Arbeit bei den Kranken.

      Er schien keine Furcht zu haben, obgleich er wissen mußte, daß unter diesen heimtückischen Teufeln sein Leben an einem Haar hing. Aber er plauderte mit seinen Kranken, wie wenn er in seinem Beruf eine ruhige Familie in England besuchte. Ich vermute, daß sein Benehmen auf die Leute wirkte; denn sie betrugen sich, wie wenn gar nichts vorgefallen wäre – wie wenn er immer noch Schiffsdoktor wäre und sie pflichttreue Leute vor dem Mast.

      »Und Euch geht's gut, Freund,« sagte er zu dem Burschen mit dem verbundenen Kopf, »und wenn jemals einer dichte dran war, so seid Ihr es gewesen; Euer Schädel muß so hart wie Eisen sein. Na, George, wie geht's? Ihr habt ja eine prächtige Farbe; Eure Leber hat sich ganz und gar umgekehrt, Mann. Habt Ihr die Medizin genommen? Hat er die Medizin eingenommen, Leute?«

      »Jawoll, Herr Doktor! Gewiß hat er eingenommen!« antwortete Morgan.

      »Nämlich, seht mal, da ich nun mal Rebellenarzt bin, oder Gefängnisarzt, wie ich es lieber nenne,« sagte Dr. Livesey in seiner gemütlichen Weise, »so ist es für mich eine Ehrensache, keinen Mann für König Georg (Gott erhalte ihn!) und den Galgen zu verlieren.«

      Die Burschen sahen einander an, schluckten aber die boshafte Bemerkung hinunter, ohne ein Wort zu sagen.

      »Dick fühlt sich nicht gut, Herr,« sagte einer.

      »Nicht? Na, denn kommt mal her und laßt mal Eure Zunge sehen. Nein – das würde mich allerdings wundern, wenn er sich gut fühlte. Vor dem seiner Zunge könnten die Franzosen Angst kriegen. Noch ein Fieberfall!«

      »Na, siehst du!« sagte Morgan; »das kommt davon, wenn man Bibeln kaputt schneidet!«

      »Das kommt davon – wie ihr das nennt–, daß ihr dumme Esel seid!« antwortete der Doktor; »und davon, daß ihr nicht Vernunft genug habt, anständige Luft von Gift zu unterscheiden und trockenes Land von einem elenden Pestmorast. Ich halte es für höchst wahrscheinlich – obgleich das natürlich nur so eine Meinung von mir ist –, ihr werdet alle noch eine Teufelsgeschichte haben, bis ihr die Malaria wieder aus euren Knochen loswerdet! Sich in einem Morast lagern! Silver, ich muß mich über Euch wundern. Ihr seid doch nicht so ein Dummkopf wie die meisten; aber Ihr scheint mir auch keine Ahnung zu haben, was für die Gesundheit nötig ist!«

      Hierauf gab er jedem von den Leuten etwas Medizin zu schlucken, und sie hörten seine Vorschriften mit einer wirklich komischen Gefügigkeit an, mehr wie Waisenknaben als wie mit Blutschuld belastete Meuterer und Seeräuber. Als er damit fertig war, sagte er:

      »Nun, für heute wäre es erledigt. Und jetzt möchte ich wohl mal ein paar Worte mit dem Jungen sprechen, wenn ich bitten darf.«

      Und er nickte nachlässig nach der Richtung, wo ich stand.

      George Merry stand an der Tür und spuckte, um den Geschmack von der Medizin loszuwerden; aber kaum hatte der Doktor gesprochen, so bekam er einen roten Kopf, drehte sich um und schrie mit einem wilden Fluch:

      »Nein!«

      Silver schlug mit der flachen Hand auf das Branntweinfaß und brüllte:

      »Ru–he!«

      Und dabei sah er wirklich wie ein Löwe aus; dann fuhr er in seinem gewöhnlichen Ton fort:

      »Herr Doktor, ich dachte auch schon dran, denn ich weiß ja, daß Sie den Jungen gern hatten. Wir sind Ihnen alle untertänigst dankbar für Ihre Freundlichkeit, und haben Vertrauen zu Ihnen, wie Sie sehen, und schlucken Ihre Medizin, wie wenn's Grog wäre. Und ich denke, ich habe was ausfindig gemacht, was uns allen passen wird. Hawkins, wirst du mir dein Ehrenwort als ein junger Gentleman geben – denn ein Gentleman bist du, obgleich armer Leute Kind –, dein Ehrenwort, daß du nicht das Ankertau kappen willst?«

      Ich gab ohne Besinnen das verlangte Wort.

      »Dann, Herr Doktor,« sagte Silver, »stellen Sie sich man auf die andere Seite von den Palisaden da, und sobald Sie draußen sind, will ich den Jungen nach der Innenseite herunterbringen, und ich rechne, Sie können durch die Sparren Ihr Garn mit ihm spinnen. Guten Tag, Herr Doktor, und unsere besten Empfehlungen an den Squire und Käpp'n Smollett.«

      Die Mißbilligung, die nur Silvers furchtbare Blicke lange unterdrückt hatten, brach sofort los, als der Doktor das Haus verlassen hatte. Silver wurde rundheraus beschuldigt, ein doppeltes Spiel zu treiben – sie sagten, er versuche einen Sonderfrieden für sich zu schließen und opfere die Interessen seiner Verbündeten und Opfer. Mit einem Wort: sie warfen ihm ganz genau das vor, was er wirklich tat!

      Dies schien mir so auf der Hand zu liegen, daß ich mir gar nicht vorstellen konnte, wie er auch diesmal wieder ihres Ärgers Herr werden könnte.

      Aber er war allen übrigen mehr als doppelt überlegen, und sein Sieg in der letzten Nacht hatte ihm wieder ein großes Übergewicht gegeben. Er nannte sie Dummköpfe und Esel; sagte, es sei notwendig, daß ich mit dem Doktor spräche; fuchtelte ihnen mit der Karte vor den Gesichtern herum und fragte sie, ob sie vielleicht den Vertrag an demselben Tage brechen wollten, an dem sie auf die Schatzsuche ausgehen sollten.

      »Nein, beim Donner!« rief er; »den Vertrag müssen wir brechen, wenn die Zeit dazu da ist. Und bis dahin will ich den Doktor an der Nase herumführen, und wenn ich seine Stiefel mit Branntwein ölen sollte.«

      Hierauf befahl er ihnen das Feuer anzuzünden und humpelte auf seiner Krücke hinaus, die andere Hand auf meine Schulter gelehnt. Die Meuterer blieben ganz verdutzt zurück; er hatte sie durch seine Zungenfertigkeit zum Schweigen gebracht, obwohl eigentlich nicht überzeugt.

      »Langsam, Junge, langsam!« sagte er. »Sie könnten im Handumdrehen über uns herfallen, wenn sie sähen, daß wir es eilig hätten.«

      So gingen wir denn ganz gemächlich über den Sand bis an die Stelle, wo der Doktor auf der anderen Seite der Palisade auf uns wartete, und sobald wir in bequemer Sprechweite waren, blieb Silver stehen und sagte:

      »Sie werden mir auch dies auf die gute Seite schreiben, Doktor, und der Junge wird Ihnen erzählen,

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