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Arm. Hinterlässt dezente Frische.

      Aus Lautsprechern quakt eine Stimme Notfall-Anweisungen zweisprachig. Während eine Stewardess Schwimmweste und Sauerstoffmaske pantomimisch interpretiert. Die Düsen donnern los, werden leiser, flüstern. Zwei Stunden bis Palma de Mallorca. Hophopsahophop setzen die Räder auf. Alle klatschen. Hören nicht auf zu klatschen. Als wären sie froh, dem Tod entronnen zu sein.

      Kaum draussen auf der Gangway überfällt uns Kerosin. Die schöne blaue Luft geschwängert von den Emissionen aus hundert Düsen. Dick zum Ersticken. Koffergedränge am Laufband. Aus allen Lautsprechern gellt Spanischenglischdeutsch. So laut, dass ich es kaum verstehe. Leihwagen organisiert. Rückwärtsgang gesucht, gefunden und ab in Richtung Colonia de Sant Jordi. Alle Fenster offen. Noch kämpft Pinienduft gegen das Kerosin. Wird stärker, je weiter wir uns vom Aeropuerto entfernen. Gewinnt die Überhand.

      Endlich Pinienduft pur. Wind treibt die Sonne über rot ausgetrocknetes Land. Flügellahm recken sich Windmühlen ins Blau. Ehemalige für die Felder-Wirtschaft notwendige Wasserschöpfer. Das bröckelig bröselnde Mauerrechteck unter ihnen ein „Safareig“, Behälter, in den die Flügelwesen das Wasser aus den Bergen pumpten. An rotockerziegelgedeckten Häusern eins, zwei, drei Palmen. Wie Hausheilige. Wir riechen die Trockenheit und jagen dem Meer entgegen.

      Der kleine Seat gibt sein Bestes. Vorbei an endlosen Trockenmauern aus schräg zusammengepassten Steinbrocken. Sie halten die Erde fest, wenn der Frühjahrsregen alles wegschwemmen will. Auf den Feldern dahinter wachsen, blühen und gedeihen Mandeln, Orangen, Limonen und Aprikosen. Wuchernde Kakteenfeigenbüsche an den Mauern der Bauernhäuser wie festgeklebt. Ihre süßlichen Stachelfrüchte mögen Schweine zum Fressen gern. Neuerdings werden sie in deutschen Supermärkten als südländische Delikatesse angeboten.

      Durch zwei Landstädtchen, Lucchmajor und Campos. Sehen aus, als leisteten sie noch erfolgreich Widerstand gegen den zunehmenden Autoverkehr. Scheinen sammelndes Zentrum zu sein, das sie immer schon waren. Noch. Weit hinaus streckt sich die Treppe zur Kirche, als holte sie die Beter von der Strasse. Noch.

      An einer Straßenkreuzung eine Gruppe von fünf hochgewachsenen Pinien. Ein unübersehbarer Wegweiser zum „Baño san Joan“. Vielleicht gelingt es mir, Rose in das schwefelige, siebenunddreißig Grad warme Wasser zu bugsieren. Ihrer Haut zuliebe natürlich.

      Ich kenne die großen steinrauen Tröge, in denen man eine Viertelstunde aushalten muß. Den Nacken an die harte Kante gelehnt. Zum Abschluss der Prozedur holt man sich frischkühles Wasser aus dem messingdunkel aufgerissenen Schnabel einer Ente. Bevor das Zweiquadratmeterlinnen den Körper im Nu getrocknet hat.

      Unsere Finka nicht mehr weit. Die alte Dorfstrasse mit neuen Bogenlampen. Vorbei am „Marisol“, in dem wir ganz sicher manche Tage ausklingen lassen. Bei Kerzenschein und rotem Wein aus grünen Gläsern. Achtung, zweite Abbiegung links. Das weiße, geranienüberwucherte Mäuerchen führt uns mit Schwung bis vor das Tor aus geschmiedetem Eisen. Schlüssel passt.

      Die pinkfarbigen Bougainvillea unter dem auskragenden Dachgesims winken uns zu. Die Läden geschlossen. Drinnen ist es kühl. Und alles noch am alten Platz. Blaugelbe Kacheln schmusen mit piniendunklem Holz. Geruch von Kaffee und dunkel Gebratenem in den Schrankritzen. Schiebe das Fenster in der Küche auf. Im abschüssigen Garten schleicht vorsichtig eine Katze um vielerlei stachelige Gewächse. Beäugt die neuen Gäste.

      Ich höre das Meer rauschen und klatschen. In gleichmäßigen Abständen Schaum über die Steine schütten. Das muß ich sehen und einatmen. In mich aufsaugen, bis ich genug habe. Wird es je sein? Frage ich mich. Rasch die zehn Meter hinunter zum steinklüftigen Strand. Wo bleibt Rose? „Rose!“

      Sie läuft auf mich zu, an mir vorbei. Wirft ihre Schuhe ab und springt auf den erstbesten größeren Stein und von da in ein Wasserloch. Jauchzt. Lacht: „Hier bleibe ich.“ Derweil versickert Welle um Welle im Sand zwischen den grauen Basaltbrocken. Und hört nicht auf, solange wir dort sind. Die Steine glitzern von Wasser und schräg einfallendem Sonnenlicht. Wir sind angekommen. Auf Mallorca, meiner Insel der Liebe. Isla d´amor. So nenne ich sie ab heute.

       „du hast dich mir und ich mich dir überlassen – von den Rändern der Zeit sind wir gesprungen in die Mitte des Augenblicks – wir haben die Lichter angezündet in unseren Augen – und sind davon geschwommen – hoffnungsvoll“

      Paella für vier.

      Es sind Jahre vergangen und Paella nur noch eine Idee. Idee von großer, schwarzer Eisenpfanne. Bis an den Rand gefüllt mit safransattem Reis und Meeresgetier und Fleisch. Freundlich mit Zitronenschnitzeln besteckt, je nach Talent des Kochs für´s Dekorative. Unvergessliches, saftdampfendes Mallorcaerlebnis.

      Ich habe grosse Lust darauf. Richtige Sehnsucht am blanken Tisch Mittelmeer zu atmen, zu genießen. Mit den Augen, beiden Händen und einer ausgehungerten Seele. Endlich wieder nach Jahren. Ob Rose, die Feinschmeckerin, solch wildes Durcheinander auf dem Teller mag? Habe letzte Woche noch mit ihr in Schloss Anholt viergängig geschlemmert. Und mit gebügelten Stoffservietten inklusive Schlossemblem die fettigen Lippen abgetupft, bevor wir das Glas nahmen. Wir feierten den vierten Monat unseres Kenenlernens.

      Erinnere mich ans „Marisol“. Eines vieler Restaurants nah am Sandstrand von Colonia de Sant Jordi. Wie alle mit Freiluftplätzen und weißen Plastikmöbeln unter gestreiften Markisen. Diese hier gelbweiß. Andere grünweiß oder blauweiß. Für fröhliches Strandtheater. Acht Uhr abends. Die Sonne schwächelt schon und bereitet sich auf die Nacht vor. Leute kommen aus allen Richtungen. Aus Zelten, Bungalows, den Etagenwohnungen in vierstöckigen Neubauten. Alle mit Meerblick. Sonst könnte man sie nicht vermieten. Am Straßenrand stauen sich dicht an dicht die kleinen Coches. So Autos auf Spanisch.

      Sie haben jetzt Zeit, sich von den ungeduldigen Gasgebern zu erholen. Langsam verkriecht sich der Benzingestank. Die Luft wird klar. Ich rieche Meer. Und das, was in den Pfannen und Töpfen der Köche brutzelt und brodelt, zur Freude von Restaurantbesitzern und Gästen.

      An welchem Tisch möchtest Du gerne sitzen, Schatz?“ Noch haben wir die Wahl. „Möglichst weit draußen, wo ich das Meer atmen kann“ die erwartete Antwort. Die blanke Kunststoffplatte ziert ein Aschenbecher. Sonst nichts. Warten wir´s ab. Mit ausdruckslosem Gesicht nähert sich einer der Camareros. Juan, wie ich hörte, in Jeans und geblümtem, kurzärmeligem Hemd.

      „Buenas Tardes, ich sprechen Deutsch, un poco.“ Reicht uns mit ausgestreckter rechter Hand die Speisekarten. Während die linke den Aschenbecher zur Seite schiebt. Zweimal Lista de Platos. Fettiger brauner Umschlag mit goldgeprägtem „Marisol“. Eingeklemmt fünf Einzelblätter in Plastikhüllen. Entreméses, Vorspeisen eine Seite. Sopas, Suppen halbe Seite. Ensalades, Salate halbe Seite. Pescados, Fisch zwei Seiten. Carnes, Fleisch zwei Seiten. Postres, Dessert eine Seite. Especialidades, Spezialitäten eine Seite. Bebidas, Getränke heiße und kalte, Vino blanco, vino tinto, Weiß- und Rotweine, Digestivos, Schnäpse, Cognac drei Seiten. Alles in drei Sprachen: spanisch, englisch, deutsch.

      Rose blättert mit spitzen Fingern durch das Angebot. Überlässt mir dann die Bestellung. Wir wollen Paella, nichts anderes. Vielleicht ein Postre hintennach. Und einen Café solo. Plötzlich steht Juan wieder am Tisch. Lächelt erwartungsvoll. Ich komme ihm zuvor: „Quisieramos una paella para dos personas e una botella pequeña de vino tinto de Ferrer, Binisalem por favor. Wir möchten eine Paella für zwei Personen und eine kleine Flasche Rotwein von Ferrer. Den Roten kenne ich noch von früher. Louis Ferrer soll immer noch einer der besten Winzer auf der Insel sein. Probieren wir eine halbe Flasche.

      „En seguida,“ sofort. Mit Schwung nahm Juan die fettigen Speisekarten und warf sie den Leuten nebenan auf den Tisch. Warum so unfreundlich? Vielleicht, weil sie in Badehosen hier sitzen. Späte Strandläufer. Wir hatten uns auf Restaurantbesuch eingestellt. Wie zuhause. Wir wollen es so lassen. Uns selbst zuliebe. Wie man kommt gegangen, so wird man auch empfangen. Stimmt überall. Dreißig Minuten später.

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