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Centratur - zwei Bände in einer Edition. Horst Neisser
Читать онлайн.Название Centratur - zwei Bände in einer Edition
Год выпуска 0
isbn 9783741800696
Автор произведения Horst Neisser
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„Schwarze Geschöpfe sind überall. Gestern hat es viele Tote gegeben. Auch Tiere sind ermordet worden. Die Straßen werden alle bewacht und sind nicht mehr sicher“.
„Was ist mit den Orten vor uns?"
„Du meinst Lindendorf und Eichelhain?"
„Ja, genau“.
„In diesen Dörfern haben die schwarzen Gestalten die Herrschaft übernommen. Die Leute dürfen bei Nacht die Häuser nicht verlassen. Bei Tag werden sie unter Bewachung zur Arbeit auf die Felder getrieben“.
„Das ist ja schlimmer, als ich gedacht habe“, stöhnte Horsa.
„Ich hatte so etwas in den Gedanken des Generals gelesen“, sagte Werhan. „War aber nicht sicher. Es hätte auch ein Irrtum sein können. Doch nun ist klar, der alte Mann hat einen Waffenstillstand mit den Feinden geschlossen. Diesen fragwürdigen Frieden wollen wir stören. Das musste er verhindern. Zugeben konnte er seinen Verrat aber nicht. In gewisser Weise kann ich ihn verstehen. Was will er denn mit seinen Erit-Soldaten gegen Orokòr ausrichten?"
„Es ist seine Pflicht, seine Leute mir zu unterstellen und mir bei der Befreiung des Heimlandes zu helfen“, sagte Horsa verdrossen.
„Auch du kannst dem Heimland auch nicht helfen. Gegen die Orokòr hat niemand eine Chance“.
„Ich bin der Markgraf dieses Landes. Mein Vater wurde vom König als Herrscher eingesetzt. Dieses Land hat uns Meliodas als Lehen verliehen. Ich trage, nachdem mein Vater nicht zurückgekommen ist, die Verantwortung. Wer, wenn nicht ich, sollte Widerstand leisten?"
„Aber deine eigenen Soldaten sind von dir abgefallen. Du kannst doch nicht allein kämpfen“.
„Wenn es sein muss, werde ich auch dieses tun. Ich werde kämpfen bis zu meinem Tod. Das bin ich meinem Vater schuldig! Er hat sich einst an der Seite berühmter Helden auf den Schlachtfeldern von Whyten für die Befreiung von Centratur tapfer geschlagen. Nicht zuletzt ihm ist es zu verdanken, dass die Tyrannei Darkens beendet werden konnte. Ich bin sein Sohn und werde nicht kapitulieren“.
„Stolz ist gut“, sagte Werhan, „aber der deine führt geradewegs in den Selbstmord. Doch ich befürchte, wir müssen dir dorthin folgen. Was meinst du, Marga?"
„Du hast Recht. Wir gehen mit Horsa“.
Dieser wurde rot vor Freude und wusste nicht, warum er trotz der großen Gefahren, denen sie entgegengingen, so glücklich war.
„So weit so schlecht“, sagte Werhan. „Dann wollen wir uns auf den Weg machen. Wir müssen schleunigst die Straße verlassen, wenn wir nicht in kurzer Zeit gefangen und umgebracht werden wollen. Als nächstes brauchen wir Waffen. Ohne Gegenwehr lasse ich mich nicht abschlachten. Dein Schwert haben dir die Soldaten abgenommen, und der General hat vergessen, es dir zurückzugeben. Du bist also auch waffenlos“.
„Am besten wird es sein“, meinte der Graf nach einigem Nachdenken, „wir schlagen uns nach Heckendorf durch. Dort wohnt der treue Mog. Er hat wackere Söhne und kennt Leute, denen man vertrauen kann. Dort bekommen wir sicher auch Waffen. Gutruh hat geheime Kammern, in denen so allerhand Nützliches lagert“.
„Was wird aus unseren Leuten auf der Insel?" fragte Marga bang.
„Wir sollten uns keine Sorgen machen“, antwortete ihr Bruder. „Sie haben Vorräte und sind auf der Insel sicherer als im Heimland. Vater Adelkrag ist ein erfahrener Mann, der schon viele schwierige Situationen durchstanden hat. Er wird das Richtige tun“.
Sie kamen während der Nacht nur langsam vorwärts, gönnten sich aber keine Ruhe. Es dämmerte bereits, als ein kleiner Vogel sich auf die Schulter von Marga setzte. Es war eine Nachtigall. Sie zeigte keinerlei Scheu vor den Menschen, sondern begann sogleich zu flöten. Das Mädchen blieb stehen und hörte genau zu. Als der Vogel sich mit einem letzten Triller wieder in die Lüfte erhob, rief sie erregt: „Gefahr! Der General muss uns doch verraten haben. Sogleich nach unserer Flucht aus dem Fort sind Reiter nach Süden galoppiert, und nun folgen uns auf dieser Straße eine große Anzahl Soldaten. Dies ist aber noch nicht alles. Von Westen und Süden eilen Rotten von schwarzen Männern auf uns zu. Das müssen Orokòr sein. Wir sitzen in der Falle“.
„Entweder hat der General seine Gedanken gut vor mir verborgen oder den Verrat erst später beschlossen“, Werhan war überrascht. „Nun bleibt uns nur noch das Gebirge“.
Horsa nickte stumm. Sie drängten sich nach rechts durch die Büsche am Wegrand und kletterten den steilen Hang hinauf, der sich dahinter erhob. Sie mussten sich an Bäumen und Büschen hochziehen. Kaum waren sie sechzig Fuß über der Straße, da hörten sie Pferde.
Eine raue Stimme rief: „Nun müssen wir das Pack doch bald eingeholt haben! Macht euch bereit. Wenn sie zu fliehen versuchen, bringt sie um“.
Die drei Menschen hielten den Atem an, bis die Meute vorüber war und waren erleichtert, als sie im kühlen Licht des Morgens endlich den Kamm des Berges erreichten. Dort ließen sie sich erschöpft auf den Boden sinken.
„Das war knapp“, stöhnte Werhan.
„Das kann man wohl sagen. Die Nachtigall hat uns gerettet. Was hat sie zu ihrer Warnung veranlasst?" stimmte Horsa zu.
„Sie mag uns einfach“, antwortete Marga sanft.
„Das ist doch Unsinn! Vögel mögen Menschen nicht. Wir sind ihnen so gleichgültig, wie sie uns gleichgültig sind“.
„So stolz wie du, sind die Tiere schon lang. Die Nachtigall, die uns gewarnt hat, war von hoher Geburt. Ihre Warnung entsprang ihrem Adel und ihrem Großmut. Aber nicht alle Vögel sind gleich. Manche sind intelligent und hilfsbereit, andere wieder geschwätzig und nur auf ihren Vorteil bedacht. Ich weiß von Tieren, die sehr unter der Kluft leiden, die zwischen den Lebewesen besteht, und ich kenne welche, die nur das eine Interesse haben, sich das Wams voll zu schlagen“.
„Und du bist sicher, dass du dir das nicht alles nur einbildest, und deine Phantasie mit dir durchgeht?" fragte der junge Graf spöttisch. „Ich habe doch glatt versäumt, die kleine Nachtigall mit all den ihr gebührenden Ehren zu empfangen. Wie kann ich diesen Verstoß gegen die Etikette wieder gut machen?"
Marga antwortete ihm nicht. Sie befanden sich auf einem mit Büschen bewachsenem Grad. Nördlich wurde der Berg von einem Tal eingeschnitten und westlich sah man einen hohen Gipfel, den Geierfels. Ob sie wollten oder nicht, sie mussten auf- und absteigen und konnten nur hoffen, dass sie sich in diesem fremden Gebirge nicht völlig verirrten. Kein Pfad erleichterte ihr Fortkommen. Die Kletterei war gefährlich und Kräfte zehrend. Endlich wichen die Bäume zurück und machten niederen Büschen Platz. Sie hatten den Pass zum nächsten Tal erreicht und einen prächtigen Überblick über das Bustergebirge. Gipfel reihte sich an Gipfel und im Süden breitete sich die weite Ebene des Heimlands aus.
Alle Gefahren schienen mit einem Mal weit entfernt und bedeutungslos. Sie muteten so klein an, wie die Dörfer und Felder aus dieser Höhe.
„Ich wünschte, wir müssten nicht wieder hinunter und könnten immer hier oben bleiben“, seufzte Marga.
„Ich glaube, du unterschätzt die Gefahren, die in dieser unwirtlichen Gegend auf uns lauern“, erwiderte ihr Horsa unwirsch.
Bald quälte sie Hunger, denn sie waren ohne Vorräte. Der General hatte sie zwar frei gelassen, aber völlig ausgeraubt.
„Vielleicht finden wir irgendwo Beeren!" Werhan gab sich optimistisch, während sie sich weiter Hänge hinauf und hinunter quälten. Als die Sonne hinter den hohen Bergen versank, hatten sie zum ersten Mal an diesem Tage Glück. Auf einer kleinen Bergwiese fanden sie eine verlassene Hütte. Sie war aus Bruchsteinen zusammengefügt und hatte ein einfaches mit Schindeln bedecktes Dach. Vorsichtig näherten sie sich der Unterkunft. Sie war unbewohnt. Ein Strohsack lag in der Ecke. Zusammen mit einem grob gezimmerten Tisch und zwei Hockern stellte er die ganze Einrichtung dar. Hier wohnten im Sommer Hirten. Sie hatten bei ihrem Aufbruch das wenige Geschirr, zwei