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dann haben sie uns. Hier oben können wir nicht unseren Lebensabend verbringen“.

      „Erst einmal haben wir Zeit gewonnen“, sagte Horsa beruhigend.

      Der Fels war schmal und fiel nach hinten steil ab. Wenn sie unachtsam waren, würden sie in die Tiefe stützen. Marga hatte sich schweigend darangemacht, Steine zum Werfen zu sammeln und stapelte sie auf einem kleinen Haufen.

      „Es gibt nicht viele Steine“, sagte sie. „Wir müssen sparsam mit ihnen umgehen“.

      Stunde um Stunde saßen sie auf dem Felsen und warteten auf das Ende. Die Sonne brannte auf sie nieder. Es war einer dieser seltenen heißen Tage im Spätherbst. Bald waren ihre Kleider von Schweiß getränkt.

      „Wenn es doch schon dunkel wäre“, dachte Horsa.

      Werhan musste seine Gedanken erraten haben, denn er sagte: „Wenn es Nacht wird, kriegen sie uns!"

      Sie wussten alle, dass er Recht hatte.

      „Ich bin schuld, dass ihr nun in dieser aussichtslosen Lage sitzt. Ohne mich hätte euer Treck längst das Heimland wieder verlassen. Ihr opfert euer Leben“, sagte Horsa zerknirscht. „Was werdet ihr beide machen, wenn wir das hier heil überstehen?"

      „Wir kommen mit dir nach Heckendorf, das ist doch ausgemacht“.

      „Und wenn es uns wirklich gelingt, das Heimland zu befreien, was werdet ihr dann tun?"

      „Du fragst ein dummes Zeug. Das können wir doch jetzt noch nicht wissen. Über etwas zu rätseln, was man nicht wissen kann, ist nicht nur Zeitverschwendung, sondern auch Dummheit“.

      Der Durst wurde unerträglich. Die Zunge schwoll in ihren Mündern und fühlte sich wie ein riesiger Klumpen an. Hals und Stimmbänder entzündeten sich, so dass das Sprechen immer schwerer fiel. Der Schwindel nahm zu.

      „Wir bekommen einen Sonnenstich“, krächzte Werhan. „Gleich fallen wir um. Die haben uns noch vor der Dunkelheit“.

      In der Tat hatte sich der Halbkreis um den Felsen enger zusammengezogen. Einige der Taks wagten erneut einen Angriff. Sie wurden von den Steinen rasch wieder zurückgetrieben und ahnten nicht, dass diese Wurfgeschosse die letzten waren.

      Horsas Kopf dröhnte vor Schmerzen. Mit der Zeit war ihm alles gleichgültig geworden. Er begann, mit seinem Leben abzuschließen. Träge suchte er in seinen Taschen nach einem Schnupftuch, das er über seinen Kopf breiten und sich damit ein wenig vor der brennenden Sonne schützen konnte. Da umschlossen seine Finger einen Gegenstand, den er schon lange mit sich herumtrug, den er aber bisher, aus welchen Gründen auch immer, nicht näher betrachtet hatte. Gelangweilt zog er das Ding heraus. Es war eine kleine goldene Kugel an einem goldenen Kettchen. Er hatte sie in dem Brief seines Vaters gefunden und seitdem nicht mehr beachtet.

      „Wenn doch jetzt Aramar hier wäre“, dachte er sich und sah den alten Mann in seinem langen grauen Gewand ganz deutlich vor sich. „Aramar würde dem Spuk hier rasch ein Ende bereiten“.

      Die Kugel glänzte in der Sonne. Plötzlich begann sie zu funkeln und sandte grelle Blitze aus. War es die Reflexion der Sonne, oder strahlte sie von innen heraus?

      „Wenn doch jemand dieses Licht sehen würde und uns zu Hilfe käme! Am besten wäre es jemand wie Aramar!" dachte er sich. „Aber jede Hoffnung ist wohl in dieser Einsamkeit vergeblich“.

      Dann steckte er die Kugel resigniert wieder in seine Hosentasche.

      Nach einiger Zeit sah Werhan aus der luftigen Höhe eine Gestalt in einem grauen Mantel den schmalen Weg aus Osten herankommen. Sie war groß. Es schien ein Mensch zu sein. Er ging gebeugt und stützte sich auf einen großen Stock. So wie es aussah, war der Mann alt und lief geradewegs in seinen Untergang. Die Gefährten richteten sie sich mit letzter Kraft auf und riefen, so laut sie konnten, um den Fremden zu warnen. Aus ihren rauen Kehlen kam zwar nicht viel mehr als ein Krächzen, aber der Alte schien sie gehört zu haben. Doch statt umzukehren und davonzulaufen, beschleunigte er seine Schritte. Die Taks hielten mit der Erstürmung der Felszinne inne. Aufheulend stürmten sie dem Neuankömmling mit vorgestreckten Zangen entgegen.

      Doch der Mann wich nicht zurück. Seine Gestalt war nun auch nicht mehr gebückt, sondern hoch aufgerichtet, und sein weißes Haar blitzte in der Nachmittagssonne. Er benutzte seinen schweren Stock als Waffe und hieb ihn dem ersten Angreifer quer übers Gesicht. Nun war er von der Meute umzingelt. Doch er behauptete sich gegen die Übermacht. Sein Stock kreiste um ihn, er hieb und stieß und schlug mit Macht, und wo er traf, hinterließ er eine blutige Spur. Nach jedem Schlag des Stabes stand ein Gegner weniger. Das Ganze ging so schnell, dass man den Bewegungen kaum mit den Augen folgen konnte.

      Damit hatten die Taks nicht gerechnet. Sie waren es gewohnt, dass man vor ihnen floh. Schon allein die drohende Geste, mit der sie ihre Klauen schärften, trug dazu bei, dass jeder vor diesen teuflischen Wesen davonlief. Mit den Flüchtenden hatten sie dann leichtes Spiel. Sie stellten den Opfern nach, schlugen ihre Krallen in die Rücken der zitternden Leiber und zerfleischten sie. Im Grunde waren die Taks feige, und als sie nun auf jemanden trafen, der sich ihnen zum Kampf stellte und ihren natürlichen Waffen eine ebenso wirksame Waffe entgegen zu setzen hatte, da ergriffen sie die Flucht. Der Mann eilte ihnen ein Stück nach, erwischte noch den einen oder anderen, der zu langsam lief, dann war der Spuk vorbei.

      Auf seinen Stab gestützt stand der Retter am Fuß des Felsens und rief hinauf: „Ihr könnt herunterkommen. Es droht keine Gefahr mehr“.

      Die völlig entkräfteten jungen Leute brauchten eine ganze Weile, bis sie wieder auf dem Weg standen und ihrem Retter danken konnten. Sie hatten vermutet und gehofft, es wäre Aramar. Aber diesen alten Mann kannten sie nicht. Der öffnete rasch sein Bündel und gab ihnen zu trinken und ein wenig später zu essen. Es dämmerte bereits, als die Lebensgeister der Drei endlich wieder erwacht waren, und sie die Kraft fanden, Fragen zu stellen.

      „Das war wirklich ein glücklicher Zufall, der Euch im rechten Moment hierher geführt hat“, sagte Horsa.

      „Es gibt keinen Zufall“, antwortete der Retter. „Ich sollte kommen, und ich bin gekommen“.

      „Wer hat Euch geschickt?"

      „Ich wurde nicht geschickt. Ich wusste, dass ich kommen soll. Der Sinn, weshalb man etwas tut oder lässt, stellt sich in der Regel erst später heraus“.

      „Was soll auch die immer wieder gestellte, törichte Frage nach dem Sinn“, sagte Marga abschätzig. „Es war ein für uns überaus glücklicher Zufall“.

      „Es gibt keinen Zufall in der Welt“, entgegnete ihr der Alte ernst. „Selbst, wenn ein Schmetterling irgendwo auf einer Wiese stirbt, so ist es geplant und hat seinen Sinn für das Ganze. Auch wenn wir diesen Sinn nicht erkennen können. Es gibt Leute, die glauben, dass es nur das wirklich gibt, was sie sich erklären können. Sie machen ihren kümmerlichen Geist zum Mittelpunkt des Universums und schränken gleichzeitig die Welt auf ihre eigene beschränkte Existenz ein“.

      „Was hat Euch also hierhergeführt? Ihr seid im rechten Augenblick gekommen. Ich hatte schon mit meinem Leben abgeschlossen und war dabei, mich nicht in den Abgrund zu stürzen“, unterbrach Werhan den Disput. „Ihr habt uns das Leben gerettet“.

      Der Fremde lächelte ging aber nicht weiter darauf ein. Stattdessen sagte er: „Wir sollten uns auf den Weg machen, bevor es völlig dunkel ist. Diese Stelle eignet sich nicht zum Übernachten. Vielleicht kommen die Taks wieder zurück. Sie sehen in der Dunkelheit besser als wir. Ich wäre ihnen dann unterlegen. Wo wolltet ihr eigentlich hin, als euch diese Bestien überfallen haben, und wer seid ihr?"

      Horsa lächelte verlegen: „Wir machen einen Ausflug und haben uns verirrt“.

      „So, ihr habt euch verirrt? Was war denn das Ziel eures Ausflugs, und wo seid ihr vom Weg abgekommen?"

      Jetzt mischte sich Werhan ein: „Bevor Ihr weiter fragt, sagt uns lieber, mit wem wir es zu tun haben. Ihr werdet sicher verstehen, dass man in diesen unsicheren Zeiten nicht jedermann seine Pläne verraten kann“.

      „Ich

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