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Ich weiß nicht, ob sogar Aramar sie bewältigen könnte. Akandra, wir sollten nicht so größenwahnsinnig sein und diese wahnwitzige Mission übernehmen!"

      Die junge Frau achtete nicht auf sein angstvolles Stammeln und wiederholte ihre Frage: „Was geschieht, wenn es uns gelingt, dem König die Zauberkette abzustreifen?"

      „Nun, wenn der König der Rutaner aus Pareiras Bann befreit ist, wird er sein Volk zum Kampf gegen die Vespucci führen. Der Zorn über die Demütigung ihres Königs, die sie so lange hatten hinnehmen müssen, wird den Kampfesmut der Rutaner ins Unermessliche steigern. Selbst wenn es den Rutanern nicht gelingt, die Vespucci zu besiegen, so werden sie doch dieses Volk der toten Dinge so beschäftigen, dass es für die Eroberung der Welt keine Zeit und auch keine Kräfte mehr hat.

      Aber, und das macht diese Mission besonders gefährlich, die Vespucci kennen auch die Verheißung. Es gibt in jedem Volk einen Verräter, und irgendjemand hat ihnen davon erzählt. Deshalb bewachen sie alle Straßen und Grenzen und töten vorsorglich jeden Angehörigen eines kleinen Volkes. Viele Zwerge mussten schon sterben. Überall lauern ihre Agenten. Auch der Überfall auf das Heimland, den sie durch den Zauberkönig in Szene gesetzt haben, hat letztlich nur den Zweck, mögliche Retter des Rutanerkönig zu eliminieren. Bis jetzt waren die Vespucci mit ihren Vorsichtsmaßnahmen recht erfolgreich. Ihre Wachsamkeit nahm deshalb in der letzten Zeit ab. Hier liegt eure Chance."

      „Die Vespucci sind also zu allem Überfluss auch noch gewarnt. Überall sind Agenten, die nur darauf lauern, Angehörige eines kleinen Volkes umzubringen. Je mehr Einzelheiten ihr berichtet, desto unmöglicher erscheint mir die Erfüllung dieses wahnwitzigen Auftrags."

      Marcs Stimme zitterte vor Verzweiflung.

      „Sei doch endlich still!" fauchte ihn Akandra an. Dann fuhr sie an die Älteren gerichtet fort: „Also nehmen wir an, die Vespucci werden besiegt. Was dann?"

      „Wenn die Vespucci besiegt sind, könnte dies die Wende bedeuten. Ein neuer Anfang wäre möglich. Die Sterblichen hätten die Chance sich ihrer Wurzeln zu erinnern. Die Rechtschaffenen könnten dann verhindern, dass böse Mächte erneut willige Partner auf der Welt finden. Wir, die Älteren, könnten aufklären, die neuen Generationen anders erziehen, das Böse in der Welt gleich im Keim ersticken! Dann bestünde eine Chance, alle die guten Willens sind, für immer aus der Sklaverei, aus der Angst und dem Schrecken zu befreien."

      „Für immer?" Marc lachte bitter auf. „Ist dies nicht eine schöne Illusion? Glaubt man nicht nach jedem Sieg, dass alles besser wird? Hält man nicht jeden Kampf für den letzten und doch kommen immer wieder neue?"

      „Marc, deine Zweifel sind berechtigt. Natürlich wird es nicht einfach sein. Aber sollte man nicht zumindest den Versuch wagen und sich nicht mit den Übeln der Welt abfinden? Ist nicht schon die Hoffnung selbst ein erster Schritt in die richtige Richtung?"

      Der junge Mann ließ sich nicht so rasch überzeugen und wandte schroff ein: „Das sind doch törichte Illusionen. Das Böse, was immer man auch darunter verstehen mag, ist ein Teil in jedem von uns. Ihr redet, als gäbe es einen Feind, der das Böse wie eine Art Krankheit in die Welt bringt, die Sterblichen damit gleichsam infiziert. Das ist doch Unsinn. Niemand glaubt von sich selbst, dass er böse ist, niemand will böse handeln. Wenn er es dennoch tut, und wir alle wissen, dass ununterbrochen Unrecht begangen wird, so glaubt jeder, dass er im Recht ist. Ich, so denkt man sich, handle nur so, weil es mein gutes Recht ist, oder weil die anderen mich dazu zwingen und so weiter und so fort.

      Selbst wenn man die Vespucci besiegen könnte, wären doch Mord und Totschlag, Neid und Hader nicht aus der Welt. Den einzigen Weg in die richtige Richtung sehe ich darin, uns selbst zu verändern. Wir sollten nicht glauben, wenn wir irgendwelche Kriege führen, dann würde sich schon alles zum Besseren wenden.

      Natürlich müssen wir uns jetzt vor den Orokòr schützen. Aber was soll dieser sinnlose Marsch zu einem fernen Volk, den ihr von uns verlangt? Von mir aus haben die Vespucci die Orokòr und sogar den schrecklichen Zauberkönig aufgehetzt. Meinetwegen sind ihre Agenten überall. Dennoch muss der Kampf ums Überleben hier geführt werden.

      Ich bin zwar noch jung, aber ich habe mich, so lange ich denken kann, immer für die Vergangenheit interessiert. Wenn ich also das, was ich von der Geschichte kenne, richtig deute, dann haben alle Leute immer nach irgendeinem Feind in der Welt gesucht. Ihr ganzes Bestreben und damit ihr Glaube und ihre Hoffnung waren stets darauf ausgerichtet, diesen Feind zu vernichten. Wäre er erst ausgemerzt, so meinte man zu allen Zeiten, dann würde alles gut werden. Mit der Begründung, das so genannte Böse bekämpfen zu wollen, hat man aber zu allen Zeiten furchtbares Unheil angerichtet und Unrecht begangen. Wenn zwei sich bekämpfen, so denkt doch jeder, er verteidige sich nur gegen das Böse im anderen.

      Im Namen des Guten wird ständig böse gehandelt. Wir müssen endlich aufhören, nach dem Bösen in den Anderen zu suchen und beginnen, uns selbst zu verändern. Wir selbst sind das Böse. Einer ist des anderen Wolf, und dieses Übel kann nur jeder selbst bei sich beenden. Ich kann nur für mich selbst beschließen, endlich kein Wolf mehr zu sein.

      Ich dachte bisher, dass nur wir Sterblichen zu töricht seien, die wirklichen Zusammenhänge zu erkennen. Doch nun höre ich diese unsinnige Argumentation von euch Unsterblichen."

      Dies war eine lange Rede gewesen. Marc war, während er gesprochen hatte, aufgestanden und hin und her gelaufen. Er hatte rote Flecken im Gesicht. Nun setzte er sich wieder, trommelte aber noch immer nervös mit seinen Fingern auf die Armlehne des Sessels. Die Älteren hatten ruhig zugehört. Ihren Gesichtern war weder Zustimmung noch Ablehnung abzulesen.

      Eine der Frauen entgegnete: „Du hast nicht unrecht. Sicher war die Suche nach dem, wie du es nennst, ‘so genannten Bösen’ häufig die Ursache für Tyrannei, Gewalt und Hass. Natürlich haben sich die Sterblichen oft gegenseitig mit dem Argument gequält, das Böse im andern zu bekämpfen. Aber warum ist das so, woher stammt diese wahnwitzige Rechtfertigung für Untaten und Unterdrückung? Weil eben das Böse in der Welt ist und sich in eure Herzen geschlichen hat. Das Böse benutzt die Furcht vor dem Bösen, um die Welt zu beherrschen. Dem gilt es Widerstand zu leisten, da hast du ganz Recht. Das Böse in jedem einzelnen muss bekämpft werden. Aber allein könnt ihr damit nicht fertig werden, dazu seid ihr zu schwach. Du kannst dich noch so leidenschaftlich dagegen wehren, das Böse in euch wird gesteuert und genährt von bösen Mächten, und die kommen von außerhalb."

      „Also wäre der einzige Weg, die Welt zu befrieden, alle Wesen umzubringen? Dann hätte das Böse keinen Nährboden mehr. Ein schöner Friede wäre das. Die Orokòr sind demnach die Heilsbringer“, warf der Erit erbittert ein.

      „Dies wäre in der Tat ein törichter Weg, obgleich schon viele mit diesem Gedanken gespielt haben."

      „Also steckt uns alle in Quarantäne!"

      „Vielleicht ist diese Welt eure Quarantäne?"

      Marc wandte sich wieder der geforderten Aufgabe zu: „Was haben mir die Vespucci getan? Ich bin sicher, dass die Vespucci selbst glauben, mit den besten Absichten zu handeln. Schließlich wollen sie der Welt doch nur eine Ordnung bringen, die sie selbst für die beste halten. Sie haben also keinerlei Unrechtsbewusstsein. Dennoch schickt ihr mich in den Kampf gegen sie. Krieg soll eurer Meinung nach geführt werden, um die Welt zu retten? Mit Kriegen werden aber keine Übel bekämpft, die Kriege sind selbst das Übel. Sogar die Taube ist ein grausames Tier, das eine unterlegene Artgenossin ohne Unterlass und ohne Erbarmen quält. Die Taube ist grausamer als der Wolf."

      Jetzt mischte sich Akandra wütend ein. Sie hatte bisher stumm zugehört und war nun mit ihrer Geduld am Ende: „Marc versucht vielleicht die böse Macht uns durch dich zu beeinflussen? Ist der Feind vielleicht schon in deiner Gestalt unter uns oder du bist ganz einfach ein Hasenfuß, der nach Ausflüchten sucht, um sich vor der Gefahr drücken zu können."

      Dann wandte sie sich an die Älteren: „Habe ich euch recht verstanden? Wenn die Vespucci besiegt sind, werden auch die Orokòr vernichtet werden?"

      Einer der Älteren antwortete ihr mit Bedacht: „Eines kann man mit Sicherheit sagen, ein endgültiger Sieg über die Orokòr ist nur möglich, wenn sie von den Vespucci nicht mehr unterstützt

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