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dass er aus Verantwortung, sondern aus Liebe zu mir kommt. Wenn ich ihm jetzt die Wahrheit schreibe, ihm einen dritten Brief schicke, dann wird er mir nicht glauben. Ich habe auch schon überlegt, mit meinem Kind, wenn ich es dann bekommen habe, nach Ua Huka zurückzukehren. Ich weiß nur nicht, wie ich Onoo nach so vielen Monaten davon überzeugen, kann, dass es sein Kind ist. Ich habe zunächst beschlossen, erst einmal Mutter zu werden.

      Brisbane, 9. April 1912

      Ich träume in den letzten Wochen viel wirres Zeug. Einmal habe ich mich über eine Wiege gebeugt und in dem Bettchen so viele Kinder liegen sehen, dass ich sie nicht zählen konnte. Sie sahen alle gleich aus, sie hatten alle ein Kleidchen an und eine Haube über dem winzigen Gesicht. Dieser Traum hat mich aber davon überzeugt, dass ich ein Mädchen gebären werde. Ich habe auch von Onoo geträumt, wie kann es anders sein. Ich denke es belastet mich, dass er nicht bei mir ist. Im Traum habe ich mich in dem Haus seiner Familie auf Ua Huka gesehen. Ich lag im Schlafraum seiner Eltern und alle Familienmitglieder, Onoos Brüder und seine Schwester Vanessa standen um das Bett herum. Onoo und seine Eltern standen im Hintergrund. Sie haben über mich gesprochen, aber ich konnte sie nicht verstehen, weil das Kind, das auf meinem Bauch lag, so laut geschrien hat. Es war alles so merkwürdig real.

       Brisbane, 17. April 1912

      Ich warte auf mein Kind. Die Hebamme war jetzt jeden Tag bei mir. Sie hat mich untersucht und jedes Mal den Kopf geschüttelt, weil es noch nicht so weit ist. Ich erinnere mich, dass der Arzt damals von Mitte April gesprochen hat, aber diese Prognose liegt lange zurück. Ich hoffe trotzdem, dass ich bald von dieser Last befreit werde. Noch mehr als die Last wiegt aber die Spannung über das, was da in meinem Bauch herangewachsen ist. Vater hat sich zwei Wochen freigenommen. Er ist ebenfalls in Erwartung.

      Brisbane, 19. April 1912

      Gestern wurde in der Zeitung ausführlich über das Schiffsunglück berichtet. Dass so ein riesiges Schiff überhaupt untergehen kann, bleibt mir ein Rätsel. Und dann die vielen Menschen, die nicht mehr gerettet werden konnten. Der Herold schreibt von weit über tausend Ertrunkenen. Ich werde neues Leben gebären, so ist der Lauf, Menschen gehen, Menschen kommen.

      Brisbane, 29. April 1912

      Heute Morgen habe ich geglaubt, es wäre so weit. Ich hatte starke Rückenschmerzen. Ich habe es noch ausgehalten und gewartet, bis die Hebamme zu ihrem täglichen Besuch bei mir vorbeischaute. Sie gab dann Entwarnung und hat mir gezeigt, woran ich erkennen kann, ob es losgeht. Außerdem würde ich es höchst wahrscheinlich an den Wehen merken. Wir sind noch einmal alles durchgegangen, obwohl sie es mir schon so oft erklärt hat. Meine Hebamme ist für eine Hausgeburt und will mich erst ins Krankenhaus bringen lassen, wenn es wirklich notwendig ist. Manchmal glaube ich, ihr ausgeliefert zu sein, dann denke ich aber wieder, dass ich bei ihr in guten Händen bin. Vater ist ausgerechnet heute wieder zur Arbeit gegangen, obwohl er noch den Rest der Woche freigehabt hätte. Er will sich seinen Urlaub aufsparen, für die Zeit, wenn es wirklich geschieht. Vater ist so merkwürdig aufgeregt. Ich glaube es liegt daran, dass er bei meiner Geburt nicht dabei sein konnte und jetzt Verpasstes nachholen will. Ich bin dankbar für seine Fürsorge.

      Brisbane, 28. Mai 1912

      Tom ist schon drei Wochen alt. Ich finde erst jetzt die Kraft und Zeit, meinem Büchlein wieder ein paar Zeilen anzuvertrauen. Ich habe bis kurz vor Pfingsten im Krankenhaus gelegen. Die Geburt war sehr anstrengend, obwohl ich es jetzt, nach drei Wochen, gar nicht mehr so empfinde. Mein Kind hat all dies verdrängt, das große Glück ihn in den Armen zu halten. Vater hat mitgezählt. Er sagt, ich habe mich fast fünfundsechzig Stunden gequält, zweieinhalb Tage lang, von der ersten heftigen Wehe bis zu dem Zeitpunkt, als die Hebamme mir mein Kind gegeben hat. Es ist nun doch kein Mädchen geworden. Tom, ich hatte erst an Thomas gedacht, was würdiger klingt, aber jeder wird ihn ohnehin sein Leben lang nur Tom rufen und da habe ich es gleich so festgelegt. Tom hat dunkelbraune Locken und braune Augen, wie Onoo. Seine Hautfarbe ist recht hell, ich hätte damit gerechnet, dass sie dunkler sein würde. Tom soll sich seiner Herkunft niemals schämen müssen. Er soll ein stolzer Marquesaner sein, ein französischer Marquesaner, der wohl in dem Vielvölkerstaat Australien aufwächst, so wie es scheint. Wir leben alle nicht dort, wo unsere Wurzeln sind. Dies scheint das Schicksal unserer kleinen Familie zu sein. Natürlich ist Vater ganz stolz. Es gab bisher keine Männer in unserer Familie, das hat er extra betont. Nach der Geburt habe ich noch einiges an Blut verloren, darum hat die Hebamme mich schließlich doch in ein Hospital bringen lassen. Es ist aber alles gut gegangen und sie hat mir versprochen, dass es beim nächsten Kind einfacher wird. Als sie das gesagt hat, schoss es mir für eine Sekunde in den Kopf, dass doch noch alles gut werden könnte. Mir kam in den Sinn, dass Onoo mich besucht und wir hier in Brisbane oder auf Tahiti heiraten und in den nächsten Jahren weitere Kinder bekommen würden. Dieser Gedanke beherrschte mich merkwürdigerweise nur sehr kurz, sehr, sehr kurz. Dann hatte ich plötzlich so ein Gefühl, als wenn schon alles zu spät sei, als wenn Onoo und ich nicht wieder zusammenkämen. Es hat mich nicht erschreckt und ich weiß jetzt auch warum. Ich bin bis hierhin ohne ihn gekommen. Ich werde es auch noch weiter schaffen, ohne ihn. Zum Schluss habe ich noch gedacht, dass ich ungerecht sei, weil Onoo nie die Chance hatte, etwas von seinem Sohn zu erfahren, oder doch. Wenn er auf meine letzten Briefe geantwortet hätte, dann hätte er es auch erfahren.

      Brisbane, 3. Juni 1912

      Die Formalitäten der Geburt habe ich gestern erst erledigt. Ich habe es persönlich gemacht. Vater war zunächst dagegen, doch dann hat er nichts mehr dazu gesagt, es schließlich mit einem Nicken bedacht. Ich habe Tom den Namen seines Vaters gegeben. Er heißt fortan Tom Onoo Ropaati. Einen Tom Jasoline wird es nicht geben, soll es nicht geben, denn wenn Tom seinen Vater schon nicht an seiner Seite hat, so soll er von anderen wenigstens nicht als vaterlos gehalten werden. Tom Onoo Ropaati, der Sohn der Französin Julie Jasoline und des stolzen Marquesaners Onoo Ropaati.

      Brisbane, 17. Juni 1912

      Ich habe mir den Artikel ausgeschnitten. Es gab natürlich schon vorher Zeitungsartikel, an denen Vater beteiligt war, mit seinen Fotografien beteiligt war. Jetzt hat er aber auch den ganzen Text geschrieben, zwar ohne Foto, aber der Text eines Artikels ist doch das Wichtigste. Ich denke es ist sein Erster in einer Zeitung, in der Iris. Es geht um einen Beschluss des Bürgermeisters, um die Müllabfuhr. Ich finde Vater hat es sehr verständlich dargestellt. Vater meint, es ist wichtig für Brisbane, wird aber leider den Rest der Welt nicht interessieren, wenn er aber einmal über etwas wirklich Wichtiges schreibt, kann es sein, dass es auch an richtige französische Zeitungen in Europa verkauft wird oder an andere australische Zeitungen, natürlich ins Englische übersetzt. Viel Geld hat Vater mit dem Schreiben noch nicht verdient, es ist ja auch erst ein Artikel und er wurde auch nur zum Test angenommen. Ich hoffe er bekommt weitere Aufträge.

      Brisbane, 12. Juli 1912

      Vater muss so viel lesen und schreiben, dass er zu seinem Vergnügen nur selten liest. Die Zola-Romane stapeln sich bei ihm. Ich glaube, es war doch keine gute Idee, die vielen Bücher zu kaufen und es kommen ja noch mehr und dann war es ja auch nicht billig. Gestern habe ich Vater daher etwas vorgelesen. Er hatte aus dem ersten Band, aus dem »Glück der Familie Rougon«, erst achtzig Seiten geschafft. Ich habe auf Seite dreiundachtzig begonnen und wir sind bis Seite hundertvier gekommen. Ich hoffe Vater hat auch heute Abend wieder Lust, dass ich ihm etwas vorlese. Leider fehlen mir die ersten Seiten, wenigstens hat Vater mir ungefähr erzählt, wie die Geschichte begonnen hat.

      Brisbane, 1. August 1912

      Vater arbeitet nicht mehr als Angestellter. Durch einen Bekannten ist er endgültig auf das Zeitungsgeschäft gekommen. Er macht jetzt Fotografien und schreibt auch noch mehr Artikel auf Englisch. Noch wurde nicht so viel von ihm veröffentlicht, weil er aber eine eigene Fotokamera besitzt, bekommt er ein kleines Gehalt vom Herold. Einen Artikel, den Vater geschrieben hat, möchte ich aber doch erwähnen. Es geht um die Kraft der

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