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versprochen und er mir auch nicht. Onoo weiß, wo er mich finden kann und ich weiß, wo er und seine Familie auf mich warten, wenn sie noch warten, wenn das Kapitel Julie de Bois für sie nicht schon zu Ende ist. Ich habe in den letzten Monaten verstanden, wie diese Menschen denken. Ein Sohn braucht irgendwann eine Frau, mit der er das Gut, das Land seiner Ahnen fortführt. Julie de Bois war akzeptiert, Julie de Bois hätte diese Frau sein können, ich bin mir nur nicht sicher, ob ich es jemals will, es kommt doch auch auf mich an. Ich liebe Onoo und ich hoffe er bricht mit seinen Traditionen, wenigstens sollte er es versucht haben, nur das eine Mal, um für sein Leben zu wissen, was der richtige Weg ist. Ich möchte dies wissen. Ich warte jetzt auf Onoo. Ich schreibe ihm keine Briefe, ich habe ihm alles gesagt, was zu sagen war, jetzt muss er handeln. Es kann aber auch sein, dass ich handele, dass ich nach ein paar Wochen das nächste Schiff nehme und zu meinen Inseln vor dem Winde zurückkehre, zu Onoo zurückkehre und seine Bäuerin werde, ein Teil seiner Familie werde.

      Papeete, 21. September 1911

      Vaters Pläne haben mich überrascht. Vor sechs Jahren hat er seinen Dienst quittiert, aber wir sind auf den Inseln geblieben. Jetzt zieht es ihn fort. Wir haben gemeinsam überlegt, was uns die Zukunft bringen kann. Ich habe dabei auch wieder an Onoo und mich gedacht. Vater und ich haben aber auch über Mutter gesprochen. Vater wollte eigentlich nicht mehr nach Frankreich zurückkehren, aber er hat ernsthaft überlegt, es zu tun, endlich mit Mutter ins Reine zu kommen. Mutter hat ihn verstoßen, ich muss zu Vater halten. Vater meint, dass Mutter bis heute nicht weiß, dass ich noch lebe. Sie hat Vaters Briefe nie beantwortet und er hat ihr doch so oft geschrieben, dass er mich auf Maui wiedergefunden hat, dass ich gerettet wurde. Mutter glaubt, dass Vater mich getötet hat. Ich kann mich nicht mehr gut an Mutter erinnern, ich habe eigentlich keine Erinnerung mehr an sie. Vater möchte noch einmal schreiben und dabei weiß er gar nicht, wo Mutter heute lebt. Vater soll es versuchen, ich stehe zu ihm.

      Papeete, 1. Oktober 1911

      Vater und ich haben wieder lange gesprochen, wir sind auf Pferden die Küste entlang geritten, bis hin zu einer Bucht, bis nach Orofara. Vater ist schon früher oft dort gewesen. Die Bucht ist sehr einsam, genügend Ruhe um nachzudenken und um zu sprechen. Wieder steht eine Entscheidung an. Die Frage ist, ob ich auf Tahiti bleibe und Onoo und mir noch eine Chance gebe. Onoo hat sich nicht bei mir gemeldet, er ist nicht zu mir nach Tahiti gekommen und er hat auch nicht geschrieben. Ich habe ihm das Schreiben beigebracht, jetzt könnte er es nutzen, jetzt hätte es einen so wichtigen Sinn. Vater hat ein Ziel, er will Polynesien verlassen, wir haben über Australien gesprochen. Wann und ob wir nach Australien gehen, hängt von mir ab. Vater wird mich nicht alleine lassen, noch ist er für mich verantwortlich. Ich habe mit ihm über Onoo gesprochen. Vater toleriert meine Liebe zu ihm, das hat er früher ja schon öfter betont. Er sagt, ich sei jung, ich dürfte eine solche Liebe haben. Ich weiß nicht, ob ich Vater verstanden habe. Ich weiß nicht, ob er von alldem weiß, ob er es für ernst genommen hat, dass man von mir erwartet, eine Familie mit Onoo zu gründen. Weiß er es überhaupt, hat es ihm jemand gesagt? Wenn ich das Leben auf den Inseln liebe, dann können wir noch einige Jahre dort leben. Ich habe mich in den letzten Monaten immer mehr von Vater entfernt, das habe ich jetzt eingesehen. Vater kennt mich nicht mehr, ich bin eine Frau geworden. Ich werde eine Entscheidung treffen, und zwar sehr schnell. Entweder entscheide ich mich sofort für Onoo und beuge mich den Wünschen seiner Familie oder ... Es kann auch einen Abschied für länger geben, ich hoffe nicht für immer. Ich kann in einigen Jahren einen Neubeginn machen, wieder nach Ua Huka zurückkehren und von vorne beginnen. Es würde mir leichter fallen, wenn ich in dieser Zeit Onoo bei mir hätte, wenn wir beide diese Distanz zu unserem bisherigen Leben aufbauen können, um dann gestärkt zurückzukehren und das vorgegebene Leben zu leben. Es schmerzt mich, dass ich die ganze Zeit nichts von Onoo gehört habe. Jeden Tag hoffe ich darauf, dass er plötzlich vor mir steht und meine Hand nimmt und an meiner Seite bleibt.

      Papeete, 5. Oktober 1911

      Ich bin ganz ruhig und ich werde es auch sein, wenn irgendwann einmal eine Antwort kommt. Vater hat an Mutter geschrieben. Ich habe Vater zum Postamt begleitet. Morgen geht ein Dampfer nach San Francisco und wird den Brief mitnehmen. Ich weiß nicht, was Vater geschrieben hat.

      Auf der Portland, 12. Oktober 1911

      Ich kann noch nicht glauben, dass es geschehen ist. Wir sind auf See, wir haben Tahiti verlassen. Unser Ziel ist Australien, Brisbane. Vater hat mehr geplant, als er mir erzählt hat, was auch gut so ist. Jetzt, wo er weiß, dass ich mich entschieden habe, werde auch ich Teil seines Planes. Vater hat sich über eine Rückkehr noch nicht geäußert. Ich fürchte, er denkt nicht daran, jemals wieder zurückzukehren. Ich habe das Schiff, die Portland, nur bestiegen, weil ich mir gesagt habe, dass es immer eine Rückkehr geben kann. Ich habe Onoo nun doch geschrieben, ihm den Verlauf der Dinge geschildert. Wenn er jemals zurückschreibt, wird mich seine Antwort erreichen, dafür habe ich zumindest gesorgt. Ich werde meine Notizen für heute beenden, mir wird wieder übel. Ich wundere mich selbst, dass ich die Seereise nicht vertrage, wo ich es doch gewohnt bin auf einem Schiff gegen Wind und Wellen zu fahren. In den letzten Tagen kam die Übelkeit so häufig, dass ich glaube, sie ist eine Reaktion auf meine Entscheidung fortzugehen. Ich sitze den ganzen Tag in der Kabine. Vater bringt mir französische Zeitungen, die Gil Blas und den Figaro. Es lenkt mich ab, obwohl es durchweg alte Ausgaben sind.

      Brisbane, 18. Oktober 1911

      Wir wohnen in einer Pension. Vater sagt aber, dass es nicht für ewig sein kann. Er will uns eine Wohnung oder ein Haus suchen. Vater hat mir auch noch nicht verraten, was er in Australien machen will und ob wir in Brisbane bleiben. Ich habe mich noch nicht an den neuen Kontinent gewöhnt. Ich schlafe schlecht und die monatlichen Leiden einer Frau, die auch ich seit mehr als zwei Jahren habe, lassen auf sich warten. Bei den ganzen Aufregungen der letzten Wochen, meiner Flucht, meiner Entscheidung gegen Onoo, kann ich gar nicht mehr sagen, wann es das letzte Mal war. Ich stelle fest, dass dies alles doch nicht so an mir vorübergegangen ist, wie ich es gehofft habe.

      Brisbane, 26. Oktober 1911

      Es ist erstaunlich. Wir sind keine drei Wochen in Brisbane und schon hat Vater einen neuen Beruf. Er arbeitet bei einem Schiffsmakler. Ich habe verstanden, dass er sich um die Einfuhrgenehmigungen australischer Waren nach Frankreich kümmert. Vater sagt, er macht den ganzen Papierkram und diese Anstellung war der Grund, warum wir nach Brisbane gegangen sind. Er hatte alles schon von Tahiti aus arrangiert. Ich bin stolz auf Vater.

      Brisbane, 30. Oktober 1911

      Das australische Essen bekommt mir gar nicht. Es gibt hier zwar auch die Früchte, die ich von Tahiti kenne, aber das Brot schmeckt anders. Oft habe ich keinen Appetit und dann wieder großen Hunger. Gestern waren wir auf einem Markt. Es gab Zuckerwaren und Vater hat mir eine Schachtel Schokolade gekauft. Schokolade habe ich in meinem Leben höchstens zweimal gegessen. Als wir auf einer Bank Pause machten, habe ich die halbe Schachtel aufgegessen. Ich habe es gar nicht gemerkt, ich habe nur gegessen und gegessen und dabei hatte ich gut gefrühstückt, was in letzter Zeit nicht häufig vorgekommen ist. Ich warte jetzt darauf, dass mir wieder übel wird. Ich bin doch wirklich dumm.

      Brisbane, 3. November 1911

      Es kann nicht sein, ich glaube es noch immer nicht. Meine Beschwerden haben mich gestern zu einem Arzt geführt. Ich bin nicht krank, es ist keine Krankheit, sagt der Arzt und er ist sich sehr sicher. Er zeigte Verständnis für mich, weil er aufgrund meiner Jugend vermutet, dass ich eine ledige Mutter sein werde und er hat natürlich recht. Eine Mutter, ich bekomme ein Kind. Nein es kann nicht sein, ich kann noch nichts an mir sehen, aber jetzt verstehe ich, warum meine Blutungen ausgeblieben sind, es war nicht die Trennung oder die neue Umgebung.

       Brisbane, 4. November 1911

      Vater steht zu mir. Ich habe keine Sekunde gezögert, ihn über den Befund des Arztes zu unterrichten. Als Erstes hat er mich in den Arm genommen. Er hat sofort

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