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blättere in meinen Tagebuchblättern zurück und finde unter dem 20. Juni 1981 folgenden Eintrag: „Erreichen die Straße von Gibraltar. Abends stellen sich der Chief und der Zweite Ingenieur zu einem Tonbandgespräch zur Verfügung, dessen einleitendes Thema mir in den Sinn kommt, als wir die südspanische Sonnenküste entlang pflügen: Das Wasser ist voller Unrat und Dreck. Hier hatte ich mich vor etwa sechs Jahren mit einem Australier im Faltboot hinausgewagt, und in einem langgezogenen Strömungsband voller Abfälle waren wir zweimal einem Hai begegnet, der sich in dieser witterungsgesättigten Jauche sichtlich wohl fühlte. Wir hatten ihm mit leisen Paddelschlägen weiten Raum gegeben, was der haierfahrene australische Kanu-Surfer bei den Ausmaßen der Rückenfinne als Gebot der Vernunft erachtet hatte...“

      Damals, Mitte der siebziger Jahre, war mir die Verschmutzung dieser Gewässer hautnah vorgeführt worden. Inzwischen war mir beim Schippern durch das Mittelmeer immer deutlicher geworden, welche Sauerei da stattfand. Im Bereich großer Küstenstädte wurde die See zur keimstrotzenden Kloake. Streckenweise konnte man im Mittelmeer alle paar Meter ein Stück Plastik schwimmen sehen: leuchtende Einkaufstüten, bunte Kunststoffkanister, weiße Styroporfetzen, die Farbenpracht sämtlicher Polyäthylen-Gebrauchsartikel, denen eine gedankenlose Wegwerfgesellschaft Lebewohl gesagt hatte. Und diese farbenprächtige Schweinerei war nur die augenfällige Oberfläche eines weitaus tiefer gehenden Problems, vor dem auch wir Seeleute gerne die Augen verschlossen.

      So fragte ich also den Chief, was mit dem alten Öl gemacht werde.

      „Normalerweise kommt das in den Schlammtank, und dann – irgendwie geben wir das dann an Land. Wenn die Möglichkeit besteht. Oder man pumpt es ab, in Ölzonen, wo das erlaubt ist.“

      „Nun sind Sie aber in einem Fahrtgebiet, wo das nicht möglich ist. Was machen Sie dann?“

      „Tja, was mach ich dann... Wenn’s dunkel ist, dann raus den Mist. Und hoffen, dass es keiner sieht!“

      „Es ist nicht erlaubt. Aber, aus welchen Gründen machen Sie es trotzdem?“

      „Um Schwierigkeiten mit der Reederei aus dem Wege zu gehen. Und weil ich keine Gelegenheit habe, das Zeug abzugeben. Wo soll ich damit hin?“

      „Haben Sie das schon so praktiziert?“, fragte ich noch einmal. Des Chiefs Antwort war ehrlich: „Natürlich!“

      Wir kamen auf das Öltagebuch zu sprechen. Chief und Zweiter waren sich einig, dass man eventuelle Falscheintragungen mit größter Vorsicht vornehmen sollte. Der Chief gab zu: „Ja, man muss es schon frisieren, mit der Menge, muss eben sagen, dass alle vier Wochen oder so gepumpt wurde. Oder mal richtig was aufschreiben: fünf, sechs, sieben Tonnen. Und da muss man mit hinkommen. Man darf da nicht zu oft was reinschreiben!“

      Der Zweite meinte zu diesem Problem: „Wurst ist mir das auf gar keinen Fall! Und wenn ich Öl über Bord pumpe, dann ist das für mich, dass ich unter einem Zwang stehe, das zu machen. Weigere ich mich, dann kann ich damit rechnen, dass ich die längste Zeit, wenn ich Chief wäre, als Chief gefahren bin. Also ist das eine reine Überlegungssache, dass einem das Hemd näher ist als die Hose, und man dann das Öl doch in verbotenen Gebieten über Bord pumpt. Es bleibt einem ja gar keine andere Möglichkeit, wenn man Familie hat, wenn man Verpflichtungen hat...“

      Die beiden Schiffsingenieure konnten noch ein markantes Beispiel für die Aggressivität des Mittelmeerwassers beisteuern. Sie erzählten, dass sie die Seewasserrohre im Mittelmeergebiet alle sechs Monate austauschen müssten. „Dann sind sie durchgefressen“, sagte der Chief. „Wenn wir aber im Atlantik, oder sonst wo herum schippern, dann halten die Dinger gut und gerne zwei Jahre!“

      Über die Manipulationen, mit denen Kapitän und Chief eines Säureverklappungsschiffes die Umwelt betrogen hatten, berichtete mir ein ehemaliges Besatzungsmitglied: „Die bekamen pro Abfahrt eine extra Prämie. Also ließen sie beim Laden über die geöffneten Ventile den Dreck gleich in den Fluss fließen. Und wenn dann das Schiff offiziell voll war, hatten sie bereits einen Teil der Ladung abgelassen und Zeit für eine schnelle Tour gewonnen. Den Rest pumpten sie während der Fahrt aus den Tanks, also schon lange, bevor das Schiff die genehmigte Verklappungszone in der Nordsee erreichte. Die fuhren nur rein und raus, und kassierten Prämien...“

      Als vor einigen Jahren das Öldesaster auf einer Bohrinsel von einem Mitglied der Crew eines Versorgers fotografiert wurde, was von einem Hubschrauber aus beobachtet worden war, sollte der Mann den belichteten Film herausrücken. Als er sich weigerte und nicht unter Druck setzen ließ, kaufte man sich sein Schweigen für angeblich zweieinhalbtausend Dollar.

      Auch das Meer, vor allem das Meer ist Umwelt! Aber es wird weiter gemauschelt, beschissen und betrogen. Über die Leihgabe Erde können wir kleinen, einzelnen Menschlein längst nicht mehr bestimmen. Wir dürfen zwar kräftig mithelfen, den ollen Globus mit Überfluss voll zu müllen. Doch besitzen wir den Planeten Erde? Nein, den Anspruch haben längst Institutionen erhoben: Der weltweite Filz der Konzerne und Trusts, die Multis, die ‚Global Player‘...

      2. KRIEGSGELÜSTE UND FATALES KAFFEEKOCHEN

      Für eine ganze Woche hatte ich mich während der Werftzeit in Bremerhaven nach Hause absetzen können. Sieben rundum schöne Tage, obwohl sich unser Mädchen mit einem bösen Keuchhusten quälen musste. Sie war aber sichtlich glücklich, wieder einen Papa zu haben und deutete jede sichtbare Dreierkonstellation ihrer kindlichen Umwelt – etwa drei zufällige Sonnenkringel – mit anrührendem Plapperstimmchen: „Mama, Papa, Miriam!“

      Mitte Mai 1982 lagen wir am Scheldekai Antwerpens. Die Beladung der "Marlene-S" mit einer kompletten, für den Irak bestimmten Fabrikanlage in Kisten und Kästen, dauerte gleich mehrere Tage. Es war tatsächlich wieder so wie einst in der Stückgutfahrt, und wir nutzten die Liegezeit zu ausgiebigen Stadtbesuchen.

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      Seit Bremerhaven hatte sich die Mannschaftsliste wieder stark geändert. Unten wie oben gab es neue Gesichter. Wir hatten einen neuen Chief, und Kapitän Ruhnau wirkte weitaus gemütlicher und gelassener als sein Vorgänger. Schließlich befand sich noch ein Gast an Bord: die Verlobte des Zweiten Steuermanns.

      Im östlichen Mittelmeer herrschte endlich prachtvolles Sommerwetter. Abends saß ich meistens beim Chief Thiele, dessen Kammer zur ‚blauen Grotte‘ erkoren worden war, um mit ihm und dem Ersten Schlüter einen gemütlichen Plausch zu halten. Gelegentlich gesellten sich der Zweite Ing, der Zweite Offizier und seine Verlobte dazu, oder der Alte warf einen kurzen Blick in unsere fidele Korona und bedauerte es sichtlich, von 20 bis 24 Uhr auf Wache gehen zu müssen. Ja, die Stimmung war wieder harmonisch. Ganz eindeutig!

      Zwei Dutzend Schiffe aus aller Welt hatten vor Mersin, im Osten der Türkei, Anker geworfen. Am Haken schwojend genossen wir die Tage der Ruhe, räkelten uns während der Freizeit in der Sonne und hielten abends kurzweilige Klönschnacks. Der neue Alte, Kapitän Ruhnau, schien noch einer von diesen gemütlichen Seebären zu sein, die in der Seefahrt einen befriedigenden Lebensinhalt sahen und dies in einer von genießerischer Lebensart geprägten Ruhe auf ihre Umwelt übertrugen. Er liebte ein anregendes Beisammensein mit Storys und Geschichten über die Dinge, die hinter der Kimm auf Entdeckung warteten. Er liebte die dazugehörenden Drinks und seinen stets qualmenden Tabaksknösel.

      Die Weltgeschichte hatte wieder ein Schlagzeilenthema: Der Falklandkonflikt lieferte auch unserer täglichen Funkpresse aufwühlende Textblöcke. Da schlugen abermals sich zivilisiert bezeichnende Völker aufeinander ein. Nationalistische Leidenschaften wurden strapaziert. Und junge Männer ließen sich für den eitlen Wahnwitz geschniegelter Operettengeneräle und für eine im Britannia-rules-the-waves-Denken steckengebliebene Eiserne Lady die Gliedmaßen zerfetzen und die Gedärme zerfleischen. Und die beschränkten Mariner-Bräute jubelten auch noch! Sie hatten scheinbar ihr letztes Krümelchen Verstand vervögelt, denn keine plärrte Rotz und Wasser bei der Vorstellung, dass Krieg barbarisch in die Weichteile fetzt, dass sie ihren pimmelstrammen Kriegshelden querschnittsgelähmt, ohne Gesicht, mit abgeschossenen Eiern, als einen in seiner eigenen Kacke dampfenden Torso zurückbekommen könnte! Falls überhaupt. Wie phantasielos

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