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unbedingt beliebt waren Bootsmanöver in den modernen geschlossenen Booten, die sich achtern in tiefem Sturz vom Schiff lösen ließen. Es war Jahrmarktsensation pur, wenn man in so einer schräg hängenden Bootsröhre, mit Hosenträgergurten angeschnallt, rückwärts in die Tiefe sauste. Das konnte, je nach Schiffsgröße, über drei, vier, fünf oder noch mehr Stockwerke gehen. Aus den Bullaugen sah man plötzlich seinen Rattendampfer davonfahren, und es war so still, weil mit dem Zossen auch der Lärm aus Zeche Elend davon brackerte... Und dann – juchhu! – gab’s den Aufprall, das spritzende Eintauchen im Meer. Und das seekrankmachende Geschaukel und Einatmen der Abgase des Bootsmotors. Nee, man war froh, wenn man diese Kotzröhren oben auf dem heimatlichen Wurstwagen wieder verlassen durfte.

      Aber lieber Freifallboote und einen Dschungel an Vorschriften, wie sie auf deutschen Schiffen die Sicherheit erzwangen, als unter Schattenflagge marode Rettungsboote, die diesen Namen gar nicht mehr verdienten. Da gab es auf manchem Totenschiff nur noch Attrappen, die leckgeschlagen und morsch in den Davits vergammelten.

      Schwer vorstellbar war es schon, bei Sturm und Seegang ein Schiff verlassen zu müssen. Dabei gingen Rettungsboote sowieso leicht zu Bruch, und die später eingeführten zusätzlichen Rettungsinseln hatten ebenfalls ihre Tücken. Sie liefen bei Seenotfällen oft mit Wasser voll. Oder sie kenterten bei Sturm, und Menschen sowie Notausrüstung gingen verloren.

      Man konnte dankbar sein, niemals in Seenot geraten zu sein. Obwohl ich mich an einige Ereignisse erinnere, die einer Schiffsuntergangsstimmung gleichkamen. Mitte der sechziger Jahre fuhr ich auf der 1928 gebauten "Griesheim", deren Achterpiek Ärger machte. Dieser hintere Ballasttank war stets nur halb oder dreiviertel voll gefahren worden. Das war zwar nicht erlaubt, aber notwendig, um das Mannschafts-Logis nicht absaufen zu lassen. Die Tankdecke war nämlich gleichzeitig der Fußboden der Mannschaftsräume, schön rustikal mit Holzplanken belegt – und durchlässig wie ein Sieb!

      Nun war im Sturm die Belastung durch die rauschenden Ballastwassermassen für das Schott im Tank, eine Art Zwischenwand, zu stark geworden. Es hatte sich losgerissen, donnerte im halbvollen Tank hin und her und drohte, ein Loch in die Schiffswand zu schlagen. Um die riesige Eisenplatte abzubremsen, war die Achterpiek vollständig geflutet worden. Als Folge soff das Logis ab. Aus den Fußböden der Kajüten schossen Fontänen und Wasserspiele. Aufgequollene Dielen wölbten sich, sprangen hoch. Das Wasser stieg, rauschte durch die Gänge, lief in Schränke, Schubladen und Kojen. Es herrschte besagte Schiffsuntergangsstimmung.

      Währenddessen war der alte Kasten immer zwischen Englands und Frankreichs Küste hin und her gekreuzt, unfähig auch nur eine Meile gegen den Sturm anzudampfen. Und er schaffte es erst nach langer Zeit, trotz harter Ruderlage, durch den Wind auf Gegenkurs, sozusagen auf den anderen Bug zu kommen. Wie auf einem Windjammer hatte man das altertümliche Steuerrad einfach festgezurrt und gehofft, dass sich der Kahn in einem günstigen Moment durch den Südweststurm boxen würde. Neun Tage lang waren wir damals von Rotterdam bis zur Südwestecke Portugals unterwegs gewesen, eine Zeitspanne, in der superschnelle ‚Liner‘ den Atlantik fast zweimal überquerten.

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       Bootsmanöver auf der alten 'Griesheim', ca. 1966

      Wir waren jedenfalls nicht abgesoffen. Nur die Wohnräume der Matrosen und der Maschinenbesatzung sahen aus wie nach einer Katastrophe. Trotz Werftreparatur – man hatte angeblich zwei bis dreihundert Löcher in der Tankdecke geschlossen – mussten wir dieses Scheißspiel ein weiteres Mal durchmachen!

      Jahre später, auf der "Woermann-Ubangi", einem 10.000-Tonner, erlebte ich nachts um vier Uhr das Gefühl des beinahe Kenterns. Das Geklöter und Geschepper war nichts im Vergleich zu dem Gefühl, das ein Schiff vermittelt, wenn es sich von 25 Grad Schlagseite an Backbord auf 40 Grad Schlagseite an Steuerbord legt. Es waren endlose Sekunden, in denen man sich dauernd die bange Frage stellte: „wann hört das endlich auf!“ Nein, in solchen Augenblicken tröstete einen kein noch so fachmännisch durchgeführtes Bootsmanöver.

      8. SIMPATICO

      Da mag der Wind wehen wie er will, Hein Seemann wird mit seinen Döntjes irgendwann immer in Gewässern landen, wo es mit tantenhafter Kaffeekränzchenziererei vorbei ist. Und was soll’s auch! Storys aus Puffs und Pinten erzählen doch nur von den Schwächen und Schwachheiten der Seeleute, haben also etwas sehr Menschliches an sich.

      In meinem Wust von Tonbändern fand ich folgenden Mitschnitt einer Plauderei mit dem Ersten meines damaligen Schiffes, Ende 1980. Er erzählte aus der Glanzzeit Puerto Limóns, Costa Rica, so in den Jahren 1966, 1968.

      „Das war in Puerto Limón die erste Zeit auch noch so. Wenn man am ersten Abend an Land ging, und man war mit einer los, und am nächsten Abend wollte man nicht wieder, da hattest du aber ´n schweren Stand! Damals war das noch alles in der Stadt. Richtige Kneipen mit Bordellbetrieb nebenbei, kleine Tanzlokale‚ Oasis-Bar, Portuguesa-Bar…“

      „War das die berühmte Kneipenreihe direkt gegenüber der Pier?“, fragte ich.

      „Nee, das war in Puerto Cortés, Honduras. Da machte man gleich die Leinen vorm Puff fest. Der Dampfer hatte gerade angelegt, da war die Besatzung schon verschwunden. Dann wurde mal kurz mit dem Typhon gehupt, und da guckten aus irgendwelchen Fenstern die ‚Piepels‘ (Seemannsschnack für Leute, englisch ‚people‘) heraus. Dann hieß es: wenigstens Ladebäume hoch und Luken auf, und dann waren sie wieder verschwunden. Zum Mittagessen wurde wieder kurz gehupt. Dann waren sie abermals verschwunden...“

      „Tja, das waren heiße Zeiten! Aber das ist dann bei ‚Fifi‘ alles unter den Wellen begraben worden.“

      „Wer war Fifi?“

      „Ein Hurrikan. Sommer 1974.“

      „Wie sah das denn vorher aus?“

      „Na, da war die Pier, dann kam eine schmale Straße, so dass ein Lastwagen fahren konnte, und auf der anderen Seite, da waren einstöckige kleine Holzhäuser. Unten die Kneipe und oben waren die... diese... kleinen Abteilungen...“

      Der Erste wusste sich zu zieren. Früher oder später würde das Wort ‚Fickställe‘ aber doch fallen, mit dem die Seelords die kleinen Liebeskabuffs so drastisch zu bezeichnen pflegten.

      „Was kostete zu der Zeit noch so eine Nacht der heißen Liebe?“, fragte ich den Ersten.

      „Ach du großer Gott! Fünf Dollar, dann war man besoffen und man hatte seine kleinen Freuden dabei. Eine ganze Nacht lang, und morgens um halb sieben war noch das Frühstück mit drin...“

      „Die Damen durften nicht rüber aufs Schiff kommen?“

      „Nee, rüber durften sie nicht. Von Seiten der Schiffsführung aus... Aber oben, da hatten sie so einen kleinen Balkon. Und morgens, da veranstalteten dann alle Damen auf ihren Balkons die große Waschung. Dann haben sie sich entblößt und von oben bis unten abgeschrubbt. Und auf dem Dampfer, da standen sie alle mit Ferngläsern und stierten! Das war dann noch so ´ne kleine Zugabe. Wie gesagt, das Notwendigste an Bord wurde erledigt. Aber in der restlichen Zeit hatte man sich in den Kneipen oder in den Betten herumgetrieben!“

      „Wie lange habt ihr gelegen?“

      „So ´ne Woche.“

      „War das ein Bananenhafen?“

      „Nee, Stückgut und Bananen, aber da war extra eine Bananenpier.“

      „Wie lange lag so ´n Bananenjäger?“

      „Wir haben für 235.000 Kartons etwa acht Stunden Ladezeit gebraucht. Aber das war meist nur in Cortés, wo das so schnell ging. Zum Glück klappte das mit der Eisenbahn nicht so recht. Wenn da Stückgutdampfer und Bananenjäger lagen, dann ging die große Schlägerei um die Waggons los. Wer am besten schmierte, der bekam die Waggons. Und, hatte man Glück, dann waren die Waggons weg!“

      Wer kannte ihn nicht, den ‚Bananaboat-Song‘ von Harry Belafonte, in dem der Tallyman zum Zählen der Bananen aufgefordert wurde, zum Tallieren, wie Seeleute

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