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wie sie dir gefallen könnte.«

      Sie lachte, und das Lachen hatte auf einmal einen himmlischen Klang. Als die Musik wieder aufspielte und Maria dem fremden Mann in die Augen schaute, fiel ihr ein Satz ein, den Hannes einmal zitierte und der von einem Nietzsche stammen soll. Was gedacht werden kann, kann auch ausgeführt werden. Aber diese Weisheit des ihr unbekannten Nietzsche lag für Maria gefühlt in großer Ferne.

      Sie tanzten noch eine Stunde zusammen und tranken miteinander. Paul war nicht geizig. Sie spürte die Kraft eines Bauernburschen in seinen Armen und in seinem Leib, die nicht einmal Hannes hatte, und der war sehr sportlich gewesen. Und sie spürte das watteweiche in ihm, das er bekam, wenn er sagte: »Augen hast du, die könnten einen schon um den Verstand bringen.«

      Dass er dabei mehr auf ihre Bluse als in die Augen schaute, wunderte sie, erklärte es sich aber mit einer gewissen Scheu eines jungen, unerfahrenen Mannes. Dieses Bild verflüchtigte sich schnell, wenn Paul sie kraftstrotzend und zielsicher über das Parkett wirbelte. Ob ihrer Fehleinschätzung kam ein sonderbares Gefühl in sie, das lauwarme Glück flüchtiger Paare, das sie zu verdrängen suchte. Was sollten jetzt ihre tiefen Gedanken? Es gab viel mehr Frauen als Männer, hübsche und weniger hübsche, jüngere als sie und ältere. Manch eine ließ diesen Paul nicht aus den Augen, andere schickten wütende Blicke zu Maria. Er aber wich nicht von ihrer Seite. Maria fühlte sich nicht nur innerlich hochgehoben, sie war zum ersten Mal so voller Mut und fühlte sich so wichtig, dass sie nur noch singen wollte. Die Kapelle spielte Lilli Marlene, und Maria sang mit. »Vor der Kaserne vor dem großen Tor stand eine Laterne und steht sie noch davor. So wolln wir uns da wiedersehen, bei der Laterne wollen wir stehen, wie einst Lilli Marlen. Unsre beiden Schatten sah‘n wie einer aus, dass wir uns so lieb hatten, das sah man gleich daraus. Und alle Leute sollen sehen, wenn wir bei der Laterne stehen, wie einst Lilli Marlen…

      Die beiden Schatten hatten es Paul angetan. Wenn sie in sein Gesicht sah, schien es ihr, als sei er sehr zufrieden, wie einer, der etwas genau dort haben wollte, wo es momentan war.

      »Wollen wir nicht woanders hin gehen, wo unsere Schatten… ich meine, wo man ungestört …reden kann?«

      Das klang zwar nicht sonderlich überlegen aber immerhin vernünftig. Vermutlich wollte er sich der anderen Frauen erwehren, die ihn belauerten. Auch wenn ihr die Musik ausnehmend gut gefiel, zu reden war immer erstrebenswert. Zudem musste sie nicht mehr ständig darauf achten, dass sie von Paul nicht ausschließlich auf der Spiegelfläche herumgewirbelt wurde, bis ihr Rock sich aufblähte und er dabei seine Blicke nicht vom Spiegelboden ließ. Das war das Einzige, was sie jetzt nicht länger brauchte. Zumal man bei der lauten Musik nicht einmal richtig miteinander reden konnte. Das Reden war die Seite des Lebens, die sich von ihr verabschiedet hatte, das wahre Reden jedenfalls. Nicht der Plausch mit den Nachbarn, nicht der mit den Kindern. Das Reden, wie sie es mit Hannes so gut konnte… Sie hob mit beiden Händen ihr welliges Haar an und ließ es langsam wieder in den Nacken fallen. Jetzt bloß nicht an Hannes denken, befahl sie sich. Jetzt lag ihr am Herzen, etwas von Paul zu erfahren, wie er lebte, wie er dachte, was er plante. Also mussten sie reden. Nicht mehr ganz so widerwillig verließ sie den Saal und ging mit ihm mit. Draußen wird sie von sich selbst sagen, sie folge nur dem Wunsch, es Lotte gleichzutun, die sich offenbar irgendwo anders als auf der Tanzfläche prächtig amüsierte. Wann hatte sie sich zuletzt einmal amüsiert?

      Es war stockdunkle Nacht. Nicht eine helle Laterne gab es weit und breit, aber Paul führte sie sicher über die Straße und nach ein paar Schritten durch ein Tor in einen offenbar großen Hof. Die Fenster vom Wohnhaus waren alle dunkel. Also schliefen die Leute, die darin wohnten.

      »Hier wohnen wir«, flüsterte er wie ein Kind, das sich heimlich aus dem Bettchen schlich. »Meine Eltern und ich. Wir haben viel Land und einen Stall voller Vieh. «

      Paul öffnete eine hölzerne Tür. Sie quietschte in den Angeln, aber er hatte offenbar den Bogen raus, das Geräusch zu verhindern.

      »Wo sind wir hier…?«

      »Bei den Zossen«, sagte er, »aber keine Sorge, die schlafen jetzt auch.« Was sind denn Zossen, fragte sie sich, aber die Blöße, in seiner Welt nicht Bescheid zu wissen, gab sie sich nicht. Paul hatte plötzlich einen asthmatischen Atem bekommen, als er raunte: »Hast du schon mal gesehen, wenn ein Hengst die Stute besteigt?«

      Oh ja, das hatte sie wohl, und sie war sehr jung und sehr erschrocken vor dem rötlichen Schwengel, der seinen Weg kraftvoll suchte. Paul wartete nicht auf ihre Antwort, zerrte aber merkwürdig an ihrem Mantel.

      »Hier ist es nicht so kalt.« Paul flüsterte verdächtig. Sie dachte, seine Eltern dürften nichts von seiner Bekanntschaft erfahren. Noch nicht. Sein Satz vom Gefängnis konnte darauf schließen lassen. Dabei war er doch mehr als erwachsen und konnte für sich selbst bestimmen.

      Es war in der Tat warm in dem Raum, der offenbar sehr groß war, größer als vermutet. Sie tasteten sich vorwärts bis zu einer Wand, an der eine Bank stand oder etwas andres, was mit Stroh ausgelegt war. Also konnte man hier gut sitzen und reden. Und vielleicht nahm er sie auch jetzt wieder in seine starken Arme. Sie stellte sich jedenfalls vor, wie es sein könnte, nicht nur auf der Tanzfläche zu spüren, noch begehrenswert zu sein.

      »Die Wärme kommt von den Tieren«, sagte er wie nebenbei, aber nicht mehr flüsternd. »Deinen Mantel brauchst du gar nicht.«

      Das stimmte. Es war warm, aber ob die Wärme anhielt, wenn sie sich nicht mehr wild im Tanz drehten, nur noch still dasaßen und redeten, oder ob die Wärme, die sie spürte, nur von innen kam, solange sie so aufgewühlt war von dem verblüffenden Umstand, blieb abzuwarten. Wer würde nicht aufgeregt sein, wenn man ausgerechnet dem Mann gefiel, von dem man geglaubte, dass er einen beim ersten Blick bereits abgekanzelt hatte.

      Paul drückte sie auf das Stroh. Sein Griff war fest, aber nicht hart oder unvorsichtig. Dennoch war das Gefühl, nach so langer Zeit wieder von einem Mann dirigiert zu werden, äußerst befremdlich. Sie musste ihm von Hannes erzählen, unbedingt, und davon, wie sie jetzt lebte. Aber wie konnte sie es anstellen, um ihn nicht zu verstimmen.

      »Haben wir nicht ein Glück, dass wir noch leben?«, flüsterte sie und fischte im Dunklen nach seiner Hand, die nicht mehr nur an ihren Mantelknöpfen großen Gefallen gefunden hatte.

      »Glück nenne ich es nicht«, raunte er, schien aber keine Lust zu haben, über das Warum zu reden.

      »Die meisten Menschen wären schon glücklich, wenn sie nur das Leben zurückbekommen würden, was sie mal hatten«, versuchte sie es noch einmal und hoffte, er würde sie jetzt fragen. Er fragte nicht nach ihrem Leben, was sie sehr schade fand. Immerhin wollte sie nichts anderes, als klare Verhältnisse, jetzt, wo sie wusste, wo er wohnte und was er war. Als Bauernsohn hatte er bestimmt kein leichtes Leben; aber totsicher auch keine Not.

      Noch immer ließ er nicht von ihren Knöpfen, die zugegeben nicht leicht zu öffnen waren.

      »Wie soll man wissen, was Glück ist, wenn man ihm nie begegnet.« Mit seinen merkwürdig melancholischen Worten floss ein Stöhnen aus dem Mund, das bedauernswert war, das aber auch genau das Gegenteil sein konnte. Sie war eine erwachsene Frau und kannte die Nöte der Männer nur zu gut.

      »Möchtest du nicht mehr reden?«, entfuhr es ihr, obwohl ihr inzwischen statt seiner Hände auf ihrem Leib erst einmal seine Lippen auf ihrem Mund gefallen würden.

      Sein schwerer Atem blieb, aber erst einmal erfuhr sie bei jedem Knopf, den er öffnete etwas mehr von Paul: Er war als Bauer von der Front verschont worden, um für Brot und Kartoffeln zu sorgen, und er führte auch jetzt ein ziemlich gutes Leben, weil er mit den Russen gut konnte, wie er sagte und was immer das heißen mochte. Aber Glück nenne er es dennoch nicht. Es war ein kluger Schachzug, nichts weiter. Seine Hände wurden ungestümer, aber jetzt suchten sogar seine Lippen nach ihren, was Maria erregte. Mit schwerem Atem stieß er heraus: »Von mir aus sollte kämpfen wer wollte. Ich hatte keine Lust, mich im Schützengraben als Rabenfraß wiederzufinden.«

      So aufgewühlt sie auch war, diese Haltung von Paul tat Maria weh. Ein lediger Bauernsohn ließ lieber die Väter von Tausenden Kindern verrecken? Wie viele Kinder standen jetzt ohne Väter da, und wer

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