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aber in allen Einzelheiten beschrieben worden war, und die stimmten: Ein Karree aus blauen, gelben und roten Glasflächen direkt vor dem Bühnenpodest, wo die Kapelle saß. Unter dem Glas brannte Licht — welch eine Verschwendung!

      Später konnte sie beobachten, wie das Licht blau oder gelb, manchmal auch rot an den Beinen der Tanzenden empor kroch bis tief unter die Kleider der Frauen. Das schien der geplante Sinn dieser Fläche zu sein, die damit zum Ruf des Hauses beitrug. Drumherum in zwei Reihen standen Holztische und hölzerne Stühle, die bereits zur Hälfte belegt waren. Am Tresen stand der Wirt, der mit Adleraugen jeden taxierte, der von seiner Tochter, die den Einlass machte, hereingelassen worden war. In der Vitrine hinter dem Mann standen nur drei Flaschen Schnaps, ein Klarer, vermutlich Wodka, mit dem die Russen handelten. Ein Brauner vom Schwarzmarkt, und die Flasche mit grünem Pfefferminzlikör, der im Licht funkelte wie ein Smaragd. Daneben ein Fass, dessen Zapfhahn der Chef bereits bediente.

      Die kleine Kapelle spielte sich leise ein. Einer auf einem Schifferklavier, ein anderer an einem Schlagzeug und einer der drei Musiker wechselte zwischen Flöte und einem golden glänzenden, gebogenen Instrument mit kleinen Hebeln, das Maria noch nie zuvor gesehen, vermutlich aber schon gehört hatte, denn dessen Töne gefielen ihr besonders gut und erweckten nie gesehene Bilder zum Leben, von Meer und Strand und Himmel und Sonne.

      Erst einmal saßen die beiden Frauen nur da, lauschten der Musik und beobachteten, wie sich der Saal zu füllen begann. Zum Trinken war noch nicht die Zeit gekommen. Sie mussten ihr bisschen Geld gut einteilen. An der großen Eingangstür standen jene Kerle, die keine Plätze beanspruchten. Sie holten sich vom Wirt, was sie brauchten und standen wie in den Startlöchern, um schnell bei ihren Auserwählten sein zu können. Maria schaute zweimal verstohlen auf die Gruppe und könnte meinen, auch für sie sei nichts dabei, wie es der pomadige gesagt hatte. Kurz darauf waren auch jene beiden unter den Wartenden, die ihr schon, vor der Tür aufgefallen waren: Der große, pomadige, der sie beide abwertend beurteilt hatte, ebenso der mit der Schiebermütze, der Lotte zugewinkt hatte. Jetzt starrten sie immerzu in ihre Richtung. Im schummerigen Licht des Saales glänzte das Haar des Größeren nicht mehr so auffällig und er sah auch sonst gar nicht mehr so garstig aus. Der Kleinere, dem Lotte offenbar gefiel, stand auf dem Sprung, als wartete er ungeduldig auf den Startschuss, um quer über die Tanzflächen zu rennen.

      Mit dem Auftakt zum Tanz hatte es auch Lotte sehr eilig, mit eben diesem Kerl, den sie offenbar von irgendwo kannte, für zwei Runden auf der Tanzfläche zu verschwinden. In der Tanzpause hatte sie Maria atemlos erklärt, sie habe diesen Waldi auf dem Schwarzmarkt kennengelernt, habe ihm einen Mantel und ein paar fast nagelneue Schuhe ihres Mannes vermacht und sei dafür großzügig belohnt worden. Vermacht? Und belohnt. Für Maria hörten sich die Worte nicht nach Schwarzmarkt an, aber darüber sollte sie nicht sinnen. Die Menschen brauchten ihre speziellen Methoden, um nicht zu verhungern, bisweilen auch dunkle Kanäle.

      Nach dem zweiten Tanz blieb Lotte ganz weg. Maria kam sich mal wieder verlassen vor. Erst jetzt kam ihr der Gedanke, für Lotte nur das Alibi gewesen zu sein, um sich mit diesem Kerl zu treffen. Weiß der Geier, woher sie ihn wirklich kannte und wo die beiden jetzt waren.

      Es ging ihr besser, wenn sie sie sich nicht dauernd umschaute, ob Lotte zurückkam, also bestellte sie sich einen winzigen Likör, nippte aber nur daran, weil sie sich einen zweiten nicht mehr leisten wollte. Das Zeug brannte in ihrer Kehle und es war ihr, als müsste sie sofort eine Zigarette haben, aber allein ohne Lotte zu rauchen, traute sie sich nicht.

      Sie verfolgte die Bewegungen des Musikers mit dem blechernen Instrument und hoffte, er würde es nie wieder weglegen. Und dann hoffte sie ebenso sehr, der Kerl, der sie zu den ersten Tänzen aufgefordert hatte, käme nicht noch einmal. Alles Hoffen schien umsonst, als sie hinter sich eine Stimme vernahm, die etwas sagte wie: Wie wär's mit uns beiden? Mit ihr hatte diese Stimme nichts zu tun, redete sie sich ein. Wenn sie einfach nicht reagierte, würde er sich um eine andere Frau bemühen, Frauen gab es ja mehr als Männer.

      »Darf ich bitten?«, sagte die Stimme jetzt spürbar höflicher. Trotzig drehte Maria den Kopf und erkannte, dass es nicht der unmusikalische Trampel von vorhin war. Der Kerl, aus dem die Worte kamen, sah auf einmal so normal aus, blickte sie so offen an, dass Maria die Absurdität ihrer Lage gar nicht erkannte. Normalerweise sprangen die Mädchen freudig auf, wenn sie nur einer aufforderte. Sie aber blieb sitzen, schüttelte ihren Kopf noch immer mit der Einstellung, sie habe den unbeholfensten Tänzer der Welt vor sich. Es war aber der Kerl mit der vielen Pomade im Haar, dem sie vermutlich noch vor einer halbe Stunde gar nicht zugesagt hatte. Nix für mich. Seine Augen sahen für einen Moment fast so aus wie Hannes Augen, nicht so klar aber freundlich, nur heller, nebelgrau, was auf Maria ungewöhnlich wirkte. Sie wusste im selben Moment, dass sie sich nur etwas vormachte, dass sie, wenn sie mit ihm zur Tanzfläche ginge, sofort eine andere Meinung haben würde. Diese Kerle hatten über die Jahre des Krieges vermutlich nie richtig zu tanzen gelernt.

      »Ich bin Paul«, sagte er, während sein Kopf mitsamt der Schulter eine leichte Verbeugung andeutete. »Ich wohne hier… ich meine, etwas weiter oben… auf dem Hof meiner Eltern.« Es schien abrupt, wie er seine Vorstellung beendete, aber Maria liebte es, wenn ein Mann höflich war. Und dass sich einer erst vorstellte und erst dann sein Recht einforderte, hatte sie das erste Mal nur von Hannes erlebt, und das blieb so bis zuletzt.

      Irgendetwas zog sie vom Stuhl. Er hob seine Arme zur Tanzposition und sie legte sich willenlos hinein und schwebte mit ihm davon, als sei sie von einem Schluck Pfefferminzlikör bereits berauscht. Bei seinen vielen Drehungen, die für seine kräftige Statur federleicht ausfielen, jedenfalls im Gegensatz zu ihrem ersten Tänzer, schaute sie immer wieder zur kleinen Bühne, um ihren Lieblings-Musiker nicht aus den Augen zu verlieren.

      »Der Saxophonspieler gefällt dir wohl?«

      Aha, dachte sie. So heißt das Instrument also. Dann lachte sie: »Nicht so sehr der Spieler wie das Instrument«, erwiderte sie, obwohl sie aus unerklärlichem Grund nach ein paar Drehungen bereits außer Atem war.

      »Wer bist du? Woher kommst du?«

      »Ich bin kein Wer«, versuchte sie seine Nähe durch innere Distanz zu vergrößern. »Und ich bin wohnhaft, wo du noch nie warst.«

      »Wohnhaft? Ist dein Zuhause auch wie die Haftanstalt?«

      Warum sollte sie darauf etwas erwidern. Ihr Zuhause ist keine Haftanstalt, obwohl sie das Leben irgendwie ebenso einengte. Weil sie nichts sagte, zog er sie kräftig an sich heran: » Dann wird es Zeit, dass dich einer aufmuntert.«

      Als sie seine starken Arme spürte, wurde sie ganz leicht, ganz biegsam, als sei ihre Zeit mit Hannes zurückgekommen.

      »Ich heiße Maria«, sagte sie zögernd, aber noch ehe sie von ihren Kindern oder ihrem Schicksal reden konnte, schob der Mann, der Paul hieß, ihren Oberkörper wieder etwas von sich, schaute durchdringend in ihr Gesicht, lächelte aber süßsäuerlich und sagte: »Maria? Hoffentlich bist du keine Heilige.«

      Sie wusste mal wieder nichts zu erwidern. Heilig war sie gottlob nicht, aber das hieß ja nicht, dass sie Gott verdammte, obwohl es nach dieser elenden Zeit nun wirklich einen Grund dafür gegeben hätte.

      Ab jetzt tanzte dieser Paul immer wieder mit ihr, blieb gleich an ihrem Tisch sitzen, weil Lotte noch nicht wieder aufgetaucht war. Maria fühlte sich von dem starken Mann wie in den Himmel gehoben. Früher mit Hannes hatten sie oft getanzt, und sie waren sehr gut aufeinander eingespielt, was sie bei diesem Mann noch vermisste, logisch, alles brauchte seine Zeit. Bei seinen wilden Drehungen, wenn er sie über die Spiegelfläche wirbelte, dass ihr Rock zu schweben begann, konnte sie seinen großen Schritten nicht gut folgen und ihre Füße stießen bisweilen zusammen. Jedes Mal entschuldigte sie sich bei ihm, obwohl ja nicht nur sie die Schuldige war, wenn der Rhythmus nicht stimmte. Ihm fehlte die Einfühlung auf ihren Körper, wie ihr das Gefühl für seine Größe noch fehlte. Auch wenn sein Blick mehr zum Spiegel ging als zu ihr, fühlte sie seinen festen Griff, als sei das einer, der sie sicher durchs Leben geleitete. Dennoch stießen ihre Schuhe mal wieder gegeneinander, so ungeübt sie nach den Jahren der Entbehrung von allem Lustvollen war.

      »Es tut mir leid…«, rutschte wenigstens ihr heraus. Er sah keinen Grund, sich zu entschuldigen. Im Gegenteil.

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