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wissen Sie, ich bin doch ein wenig betrunken, und meine Frau ist auch gerade nach Hause gekommen“, log Jakob und legte auf. Leise schlich er zur Tür und lauschte. Bis auf das Radio, das in der Küche stand, war es still in der Wohnung. Jakob ließ kaltes Wasser in die Badewanne laufen und legte sich hinein. Auf seinem Handy suchte er eine Playlist mit dem Namen Gute Laune Musik heraus, eine Liste, die er sich gern schon morgens beim Kaffeetrinken anhörte, speziell an Sommertagen und Sonntagen, weil sie zu einem Tag passte, der schon morgens um zehn Uhr hochsommerlich heiß war. Er steckte sich die Ohrstöpsel ein und kühlte sich im Wasser ab, wobei er eine Quietscheente mit in die Badewanne nahm. Als die Jackson Five sangen, nahm er von draußen die Stimme des Fisches wahr. Er ignorierte es einige Minuten, versuchte, die Stimme als Einbildung abzutun, aber es funktionierte nicht. Er hörte eindeutig seinen Vater, der ihn zu sich zitierte.

      „Telefon“, rief der Fisch, als es klingelte. "Vielleicht geht es dir besser, wenn du mal was Starkes trinkst, anstatt dieses Weißweins. Was Ordentliches! Ich sehe da einen hervorragenden Whisky in deinem Regal stehen."

      Die Idee war gar nicht schlecht, dachte Jakob in der Badewanne. Der Whisky war ein Geschenk eines Freundes, ein edler Tropfen, sauteuer. Aber leider stand im Kühlschrank keine Cola, um den Whisky damit zu mischen.

      „Und komm ja nicht auf die Idee, den guten Whisky mit diesem süßen Weicheierzeug zu mischen“, rief der Fisch. „Und jetzt komm endlich raus!“

      Jakob stieg aus dem Wasser, öffnete die Tür und lief tropfend bis zur Ecke im Flur, von der aus er in die Küche lugte. Der Fisch lag auf der Küchentheke. Langsam schlich Jakob den Gang entlang auf ihn zu und versuchte sich einzureden, alles sei normal. Aber der Fisch stemmte sich auf die linke Flosse, legte den Schwanz hoch und seine rechte Flosse ungefähr dorthin, wo bei einem Menschen der Hintern wäre.

      „Du ... du siehst aus wie eine Badende, wenn du so da liegst.“

      „Wie eine was?“

      „Eine Badende“, sagte Jakob zaghaft. „Malerei, verstehst du?“

      „Wie eine Tunte meinst du? Kann ich nix für, die Flosse ist zu kurz, ich komm nirgendwo damit hin.“

      Jakob nahm einen Stuhl vom Esstisch und setzte sich, nass und mit hochgezogenen Schultern, in die Ecke der Küche. Misstrauisch beäugte er den Fisch, schloss die Augen, öffnete sie wieder und drückte sie abermals fest zu. Belustigt legte der Fisch sein Kinn in Falten.

      „Jakob, ich bin dein Vater.“

      „Du bist tot“, antwortete Jakob spontan.

      „Ja, soweit richtig, allerdings hat sich da etwas geändert. Ich wurde reinkarniert.“ Der Fisch strich sich über seine Schuppen. „Mir ist heiß, mach mich mal nass.“ „Wie bitte?“ „Mir ist heiß, du sollst mich nass machen.“ „Nein, das andere.“ „Was das andere? Reinkarniert? Meinst du das? Das heißt wiedergeboren.“

      „Ich weiß, was das bedeutet“, sagte Jakob, nahm die Sprühflasche für die Bonsais von der Fensterbank und sprühte eine Wasserwolke Richtung Fisch, die sich augenblicklich in der heißen Sommerluft auflöste, bevor sie überhaupt in die Nähe des Fisches kam.

      „Ist nicht dein Ernst, oder?“, fragte der Fisch.

      Jakob stand auf und schob seinen Arm mit der Sprühflasche so weit wie möglich in Richtung Fisch, ließ dabei den linken Fuß aber als Anker am Stuhlbein verhakt.

      „Also, wir haben folgendes Problem“, sagte der Fisch und rieb sich die feinen Wassertropfen mit der Flosse über die Schuppen, so gut es eben ging. "Ich gehöre hier nicht hin."

      „Ach was.“ Jakob saß wieder auf dem Stuhl und sprühte sich ebenfalls ein.

      „Ich glaube, es ist besser, du bringst mich zum Meer zurück. Jetzt.“

      „War das eine Bitte?“

      „Nein, warum?“ Der Fisch sah auf.

      „Hab ich mir schon gedacht.“ Jakob stand auf. „Du hast dich nicht verändert“, fügte er nach einer Weile hinzu.

      „Findest du?“, fragte der Fisch ironisch. „Jetzt mach kein Theater und bring mich zum Meer zurück. Die dämlichen Fische haben mich aufgefressen, und deswegen sehe ich nun so aus.“ Er deutete auf seinen Körper. „Man wird nicht reinkarniert, indem man aufgegessen wird, Papa.“

      „Warum sonst sollte ich ein Fisch sein?“

      „So ungebildet bist du nicht. Du wurdest herabgestuft wegen ganz miesem Karma.“

      „So ein Blödsinn. Karma. Weswegen sollte ich mieses Karma haben? Nordsee übrigens.“

      Jakob sagte nichts, sondern sah seinen Vater einfach nur an. Dann nahm er die Sprühflasche zur Hand, besprühte den Fisch abermals mit einer Wasserwolke und begab sich in sein Schlafzimmer, um zu packen. Der Fisch blieb in der Küche zurück und verteilte das Wasser auf seinen Schuppen.

      

       Alfred

      Alfred saß in einem Sessel jener Wohnung, die schon seit so vielen Jahren sein Heim war. Hier, umgeben von vertrauten Gegenständen, dem Mobiliar und den vielen Fotos fühlte er sich zuhause. Er sah auf die Teile seines Lebens, von denen nun ein großer Teil nicht mehr an seinem angestammten Platz stand, sondern in Koffern und Umzugskisten verstaut war. Judy lag in ihrem Körbchen und döste vor sich hin. Noch immer gab es vieles, das nicht verpackt war, und er wusste nicht, wie er es anstellen sollte, sein ganzes Leben einzupacken, um es an einen anderen Ort zu bringen. Mit seiner Schrift, die die eines alten Mannes war, hatte er in den letzten Tagen versucht, die Umzugskartons sinnvoll zu packen und zu beschriften, aber es verwirrte ihn, dass sich scheinbar nicht zusammenhängende Dinge in ein und demselben Karton befanden. Auf einem las er die Worte Socken, Ordner, zwei Kochtöpfe, Gießkanne. Das passte nicht, und so stand er auf, öffnete den Karton, packte die Töpfe aus und versuchte, in einem anderen einen Platz für sie zu finden. Der Karton mit dem Brockhaus war zu schwer. Alfred überlegte, ob er vier Ausgaben herausnehmen sollte, um Platz für die Töpfe zu bekommen. Aber wohin könnte er den Brockhaus packen? Zu den Socken? Alfred setzte sich zurück in seinen Sessel. Nichts an dieser Situation fühlte sich richtig an. Seit achtundvierzig Jahren lebte er in dieser Wohnung, er kam noch zurecht, kaufte Kleinigkeiten selbst ein und löste jeden Tag zwei Kreuzworträtsel. Er schrieb seinen Freunden regelmäßig Briefe und kümmerte sich um die Bonsais. Die Nachbarstochter besserte ihr Taschengeld auf, indem sie manchmal für ihn Besorgungen machte, und einmal am Tag kam jemand vorbei, um nach ihm zu sehen. Er stand jeden Morgen um sieben Uhr auf, zog sich an und band sich eine Krawatte um.

      Jeden Tag.

      In regelmäßigen Abständen telefonierte er mit seiner Tochter, was er immer akribisch in einem Kalender notierte. Diese Gespräche waren sich alle sehr ähnlich, und das stimmte Alfred traurig. Immer sprachen sie darüber, wie selten sie sich doch sahen, wie wenig er von den Enkelkindern und auch von seiner Tochter selbst mitbekam. Immer wieder antwortete sie, es läge an der weiten Entfernung, sie könne es sich nicht leisten, ein Wochenende auf der Autobahn zu verbringen, nur um ein paar Stunden bei ihm zu sein. „Dann kommt doch für länger“, schlug er oft vor, aber von seiner Tochter kamen nur Ausreden, dieselben, die er schon seit Jahren hörte. Alfred gefielen die Telefonate mit seiner Tochter seit langem nicht mehr, denn jedes Mal fühlte er sich danach besonders einsam. Und nun hatte sie entschieden, dass er seine geliebte Wohnung verlassen solle. Dieser Gedanke schmerzte ihn sehr, und so stand er auf, um mit Judy eine kleine Runde durch den Park zu drehen, vorbei am Ententeich, an dem eine Bank stand, auf der er und Judy sich gern ausruhten. Beim Aufstehen fiel sein Blick auf die Kommode mit den Bilderrahmen. In der letzten Zeit war es vorgekommen, dass ihn ein leichter Schwindel überkam. So war es auch jetzt im Moment des Aufstehens, denn Alfred war es, als bewege sich der Bilderrahmen mit dem Bild seiner Frau ein kleines Stück auf den Rand der Kommode zu. Er setzte sich vorsichtig zurück in den Sessel und ließ seinen Blick durch den Raum streifen. Er fühlte keinen Schwindel mehr, auch keine anderen körperlichen Symptome, nur die Einsamkeit bedrückte ihn. Als er wieder aufstand,

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