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und dennoch genossen wir die Anwesenheit des anderen, genossen es, nicht alleine zu sein. Das Wissen, dass es jemanden gab, der immer für einen da war, war unbezahlbar. Ich wusste, dass ich niemals eine bessere Freundin als Poppy finden würde. Zwar war Poppy manchmal etwas durchgeknallt und nicht ganz bei Sinnen, aber gerade diese verrückten Eigenschaften und ihr aufgewecktes Wesen machten sie so einzigartig.

      Ich spürte, dass sie mich wieder ansah und erwiderte ihren Blick. Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Es war dieses Lächeln, das sie immer zeigte, wenn sie mal wieder eine völlig irre Idee hatte oder etwas ausheckte. Meine Vermutung bestätigte sich, als sie einige Schritte nach vorn ging, raus aus dem Schutz des Dachvorsprungs und hinein in den Regen.

      »Poppy? Was machst du da?«, rief ich, als sie sich einige Meter von mir entfernt hatte. »Komm zurück, es regnet in Strömen!«

      Doch Poppy ignorierte meine Rufe und lief weiter hinaus. Plötzlich drehte sie sich zu mir um und das Grinsen auf ihrem Gesicht wurde breiter.

      »Ich weiß.«

      Die Regentropfen begannen langsam aber sicher ihre Kleidung zu durchnässen. Ihre grauen Locken lösten sich nach und nach und die nassen Strähnen klebten an ihren Wangen. Und dann, einfach so, begann sie zu tanzen. Sie streckte die Hände aus und begann sich im Regen zu drehen, sprang in Pfützen und hüpfte auf und ab wie ein kleines Kind.

      Ihre Augen leuchteten und das Lächeln auf ihren Lippen wurde immer breiter, während der Regen sie komplett durchnässte. Die Kleider hafteten ihr auf der Haut und die nassen Strähnen wirbelten um ihren Kopf.

      Im ersten Moment dachte ich, dass sie völlig den Verstand verloren hatte und starrte sie an, als wäre sie von einer anderen Welt. Vielleicht war sie das auch. Doch nach einigen Sekunden sah ich es. Ich bemerkte den glücklichen Ausdruck auf ihrem Gesicht, den Spaß den sie dabei empfand. Poppy ließ los, sie war einfach nur sie selbst. Dieses Bild von ihr würde ich niemals vergessen. Sie wirkte so unendlich glücklich und unbeschwert. Es war wunderschön anzusehen.

      Ich schüttelte den Kopf und konnte nicht glauben, was ich im nächsten Augenblick tat. Ich trat einen Schritt unter dem Dachvorsprung hervor und hob mein Gesicht. In den Himmel blickend genoss ich die Freiheit, die mich völlig unerwartet überkam. Einige Tropfen verfingen sich in meinen Wimpern und ich schloss die Augen, spürte wie der Regen nach und nach auch meine Haare und Kleidung durchnässte. Das Gefühl der kalten Regentropfen auf meiner Haut hatte etwas Befreiendes an sich. Sie vertrieben meine Grübeleien mit einem Schlag. Stattdessen breitete sich etwas anderes in mir aus.

      Vollkommene Schwerelosigkeit.

      Ich fühlte mich so frei und leicht wie ein Vogel, der durch die Lüfte schwebte oder wie die Regentropfen, die in diesem Moment von dem wolkenbehangenen, grauen Himmel rieselten.

      Und dann begann auch ich mich im Regen zu drehen, tanzte und stimmte in Poppys lautes Lachen mit ein. Meine Haare flogen um meinen Kopf, Regentropfen rannen von meinen Strähnen herab und schwirrten durch die Luft. Die Kleider klebten mir wie eine zweite Haut am Leib.

      Seit langer Zeit hatte ich mich nicht mehr so unbeschwert gefühlt, so federleicht. Mein Lachen wurde lauter und Poppy griff nach meinen nassen Fingern.

      Hand in Hand tanzten wir gemeinsam durch den Regen, sprangen in die Pfützen, sodass das Wasser um uns herum aufspritzte und unsere Schuhe durchnässte. Wir benahmen uns wie Kleinkinder und ich konnte gar nicht mehr aufhören zu lachen. Ich lachte so sehr, dass mir der Bauch weh tat. In diesem Moment empfand ich solche Glücksgefühle, wie ich sie schon seit Ewigkeiten nicht mehr erlebt hatte.

      ∞

      Nach unserem albernen Regentanz schwänzten Poppy und ich die restlichen Stunden und fuhren zu mir nach Hause. Nacheinander nahm jeder von uns beiden eine heiße Dusche, um unsere eingefrorenen Gliedmaßen wieder aufzutauen. Ich lieh Poppy frische Kleidung und zusammen kuschelten wir uns aufs Sofa, um einen Film anzuschauen.

      Natürlich fiel die Wahl wie immer auf Iron Man. Wenngleich ich Marvel nicht viel abgewinnen konnte, Poppy war süchtig nach diesen Filmen. Sie futterte fast die ganze Schüssel Popcorn alleine auf und ich fragte mich, wo sie die ganzen Kalorien nur hin steckte. Niemand konnte so viel essen wie Poppy. Genauso war es mit dem Alkohol. Sie konnte alles Mögliche in sich hineinstopfen und nahm nicht zu.

      Als der Film endlich ein Ende fand, schaltete ich erleichtert den Fernseher ab, während Poppy sich noch eine Weile darüber aufregte, dass ihre Eltern sie zwangen übers Wochenende nach Neah Bay zu ihren Großeltern zu fahren. Neah Bay war eine kleine Hafenstadt im Nordwesten Washingtons. Es war von dieser Sorte Kaff, wo jeder jeden kannte.

      Also hielt sich Poppys Begeisterung auch dementsprechend in Grenzen. Nachdem wir noch ein wenig über alltägliche Dinge geplaudert hatten, nahm ihr Gesicht einen ernsteren Ausdruck an und sie sah mich ruhig aus ihren klaren, braunen Augen an. Sofort wusste ich, dass sie nun das Thema zur Sprache bringen würde, über das ich am allerwenigsten reden wollte.

      »Drea«, setzte sie an und rückte ein Stück näher. »Ich weiß, dass du letzten Samstag nicht bei irgendeiner Freundin geschlafen hast und ich weiß auch, dass ein gewisser Englischlehrer mit in dem Club war. Mir ist nicht entgangen, wie du vorhin aus seinem Klassenraum geflüchtet bist. Ich kann eins und eins zusammenzählen«, sie hielt kurz inne und legte ihre Hand auf meine. Ich senkte den Blick, da ich nicht wusste, wie ich reagieren sollte.

      »Es ist okay, wenn du nicht darüber reden möchtest. Aber du sollst wissen, dass du mir alles erzählen kannst. Ich bin immer für dich da. Jederzeit.«

      Ihre einfühlsamen Worte beruhigten mich sofort und ich erwiderte ihr warmes Lächeln. Sie drängte mich also nicht dazu, über letzten Samstag zu reden. Das rechnete ich ihr hoch an. Zwar klang das so ganz und gar nicht nach dem kleinen, naseweisen Wirbelsturm namens Poppy, doch wenn ich absolut nicht über etwas sprechen wollte, hatte sie Verständnis dafür. Ich wusste auch gar nicht, was ich ihr sagen sollte. Ich verstand diese ganze Situation ja selbst nicht einmal. Meine Reaktion auf Logan Black war mir ein Rätsel.

      »Danke Poppy, das bedeutet mir viel«, ich drückte ihre Hand.

      »Ich bin eben die Beste«, sie zuckte nur mit den Schultern, schnappte sich wieder die Schüssel mit dem Popcorn und stopfte sich eine weitere Handvoll in den Mund. Ja, Poppy war wirklich die Beste.

      »Hm, da wäre aber noch etwas, Drea«, brachte sie zwischen zwei Bissen hervor. »Du würdest es mir ja sagen, wenn Mr Black genauso gut küsst, wie er aussieht, oder?«, das altbekannte Grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Und da war sie wieder, die alte Poppy. Ich rollte mit den Augen und griff nach dem nächstbesten Kissen, welches ich ihr direkt ins Gesicht donnerte. Poppys Kichern wurde durch das Kissen erstickt und auch ich konnte mir ein Grinsen nicht mehr verkneifen.

      »Du bist unmöglich, weißt du das?«, lachend schüttelte ich den Kopf. Poppy stand grinsend auf und fegte sich ein paar Krümel von der Hose. Ich erhob mich ebenfalls und brachte sie noch zur Tür. Bevor sie allerdings hinausging, drehte sie sich nochmal zu mir um.

      »Timmy und ich gehen heute Abend ins Barney’s. Wenn du Lust hast mitzukommen, dann holen wir dich so gegen sieben Uhr ab.«

      Das Barney’s war eine Art Café für Jugendliche, der angesagteste Treffpunkt für Leute in unserem Alter. Der perfekte Ort, um mit Freunden abzuhängen, einen kleinen Happen zu essen und über die neusten Gerüchte zu quatschen. Vor dem Unfall meiner Mom vor zwölf Wochen hatte ich mich dort beinahe jeden Abend mit Poppy, Timmy und Danny getroffen.

      War ich denn schon bereit dazu, wieder ins Barney’s zu gehen? Ich würde den anderen aus meiner Schule begegnen, womöglich auch Danny. Auf ihn hatte ich am allerwenigsten Lust. Ich war verunsichert. Einerseits würde mir etwas Ablenkung nicht schaden, um mich von meinen ständigen Grübeleien über Logan Black abzubringen und um etwas Zeit mit meinen Freunden verbringen zu können.

      Andererseits hatte ich dadurch wieder dieses merkwürdige Gefühl, als würde ich zu meinen alten Normen zurückkehren und den Tod meiner Mom verleugnen. Ich konnte doch nicht einfach ganz normal weiter machen, als hätte es den Unfall nie gegeben, als hätte es Mom nie

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