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vergessen, dass bei vermuteter Gefahr, Reisende oft ihre Wertsachen kurzerhand an Ort und Stelle vergraben hatten, um sie vor Dieben zu schützen. Dass sie diese nicht immer zurückholen konnten, blieb immerhin zu vermuten.

      Da der Bach bei jedem Unwetter für Veränderung sorgte, hatten die Ufer wenig Bestand. Wohl deshalb standen direkt am Wasser keine großen, alten Bäume.

      Frank rief sich in Erinnerung, was ihm der Denkmalpfleger dazu erklärt hatte. „Auch wenn es heute kaum noch vorstellbar ist: Früher“, so hatte er doziert, „früher galt der Wald als der natürliche Feind des Bauern. Der sich das ihm mühsam abgetrotzte Ackerland immer wieder zurückzuholen versuchte. Jedoch nicht nur für die Bauern stellte der allgegenwärtige Urwald ein gewaltiges Hindernis dar. Sondern auch für Reisende, Truppen oder Händler.

      Versuche, die Landschaft zu lesen! Stell dir vor, wie es damals ausgesehen haben könnte. Wo würde man sich ansiedeln? Zum Beispiel an Stellen, die über Wasser und Sonne verfügen. Aber nicht direkt an viel begangenen Wegen, wo man jederzeit damit rechnen musste, überfallen zu werden, in diesen unsicheren Zeiten.

      Außer, man konnte sich durch Mauern und Befestigungen schützen. Für deren Bau und Verteidigung man allerdings eine gewisse Mindestanzahl an Menschen benötigte. Die dann auch entsprechend ein Stück Land in der Nähe zur Selbstversorgung finden mussten. Von Dienstleistungen konnte damals nur ein sehr geringer Teil der Leute leben. Solche Stellen findet man häufiger bei Übergängen an Flüssen oder an ähnlichen, durch natürliche Hindernisse begrenzten Arealen.

      Selten, aber äußerst gefragt dürften freiliegende, senkrechte Felsen gewesen sein. In die man sich in Spalten oder Grotten zurückziehen und gut verteidigen konnte.

      Doch diese Plätze sind alle längst abgegrast. Deshalb ist Fantasie gefragt! Zum Beispiel: Kleine, regelmäßig geformte Hügel bleiben stets interessant. Gräberfelder liegen nicht direkt am Wasser. Wo könnte in der Umgebung ein Heer das Lager aufgeschlagen haben? Man hat den Blick oder man hat ihn nicht. Das wirst du bald merken!“

      Die „Ausbildung“ hatte in der privaten Garage des Denkmalpflegers stattgefunden. Er bewahrte offenbar einige Fundstücke, die er verkaufen wollte, in seinem Wagen auf. Weshalb behielt er für sich.

      Frank vermutete, als Vorsichtsmaßnahme. Um für den Fall, dass man ihn mit einem Artefakt erwischte, eine plausible Ausrede parat zu haben. Ein ausgegrabenes Stück im Auto dürfte grundsätzlich weniger verdächtig sein, als eines, das zum Beispiel in seiner Wohnung gesehen wurde.

      Der Denkmalpfleger zeigte ihm an verschiedenen Teilen, worauf er besonders achten sollte. Eine grüne Verfärbung wies auf Kupfer hin. Das zeichnete sich meistens bereits im Boden ab, bevor man auf die Artefakte stieß. Knotenmuster verwiesen auf Kelten. Römische Funde erkannte man an den Waffen und natürlich an der typischen Ausrüstung der Legionäre. Logischerweise konnte sich Frank nur einen Bruchteil der Tipps merken.

      Was ihm jedoch trotzdem auffiel. Der Umstand, dass der Denkmalpfleger den Wagenschlüssel in einem Blechkasten verwahrte, der in der Garage an der Wand hing. Darin lag auch verschiedenes Werkzeug und offenbar einige Ersatzteile, die zu dem alten Benz gehörten. Er bemerkte Franks erstaunten Blick auf die Werkzeuge. „Ich repariere an ihm alles selbst“, ließ er stolz hören. „Ein absolut unverwüstlicher Diesel. Davon laufen in Afrika noch Tausende.“

      Frank zeigte beeindruckt. „So einfach ist das nun auch wieder nicht“, versuchte er zu loben, ohne zu schmeicheln.

      „Na, ja. Etwas Erfahrung ist natürlich schon nötig. Aber machbar ist es.“

      ***

      Mit dem Detektor im Arm schlenderte Frank hin und her durch die Wiese am Bach. Kein Spaziergang. In der ersten Stunde grub er mehrere Kronenkorken und Abziehringe von Getränkedosen, einen Bügelverschluss und etliche rostige Konservendosen aus. Das interessanteste Teil bestand aus einem Stück Stoff, an dem ein Metallteil hing. Ein Druckknopf, wie sich bei genauerer Betrachtung herausstellte.

      Niemals hätte Frank geglaubt, dass so viel Müll einfach in die Natur geworfen wurde. Das Tal glich trotz seiner Idylle eher eine Müllhalde als einem Paradies.

      Frank erkannte allmählich, was der Denkmalpfleger gemeint hatte: Die Landschaft ermöglichte oder verhinderte eine direkte Verbindung zwischen zwei Orten. Ortskundige kannten die besten Möglichkeiten. Mit der Zeit bildete sich mindestens ein Trampelpfad, dem andere Reisende auch ohne Führer folgen konnten. Gewisse Stellen auf diesen Wegen boten einfach Ort und Reiz für eine Rast. Deshalb sammelten sich die Abfälle vorwiegend an solchen Plätzen. In alter Zeit stellten Metalle einen hohen Wert dar und wurden nicht einfach weggeworfen. Sondern beispielsweise verloren, versteckt oder manchmal zusammen mit dem Besitzer begraben. Die modernen Abfälle, die sehr oft Metalle enthielten, überlagerten deshalb meistens die interessanten Fundstellen.

      Frank schaltete den Detektor ab, zerlegte ihn und verstaute ihn im Rucksack. Zuerst erkunden, dann graben, sagte er sich. Müll sammeln war gewiss, zumindest im übertragenen Sinn, eine verdienstvolle Tätigkeit. Aber kaufen konnte man davon nichts.

      Auf dem Kamm, der das Tal nach Süden begrenzte, hielt er Ausschau. Woher wären mögliche Feinde gekommen? Spielte das für seine Suche überhaupt eine Rolle?

      Am ergiebigsten dürfte ein Gräberfeld aus friedlichen Zeiten sein. Geschmückte Skelette in Reih und Glied. Auf denen man seit Jahrhunderten achtlos herumspazierte.

      Frank versuchte, sich vorzustellen wenn man einfach so, einen Meter tief in die Erde hineinschauen und sich der Schätze bemächtigen könnte. Es müsste doch einen Weg geben?

      Auf der linken Talseite fiel ihm eine sanfte Erhebung auf. Die konnte durchaus von Menschenhand stammen. Je länger er sie betrachtete, desto klarer schien es. Wie sollte auf einer Anhöhe, die an dieser Stelle in eine klar begrenzte Ebene überging, auf natürliche Weise ein Hügel entstanden sein?

      Der Weg schien zwar nicht besonders weit, führte jedoch von oben nach unten und wieder hinauf. Völlig nassgeschwitzt erreichte er den östlichen Kamm. Keine Spur mehr von einem Hügel. War er einer optischen Täuschung erlegen? Blödsinn, der Hügel existierte. Er ließ sich bloß nicht mehr erkennen, wenn man direkt darauf stand.

      Entschlossen packte Frank die Sonde aus. Schon nach wenigen Schritten ertönte das erste Signal. „Na also“, brummte er vor sich hin, „geht doch!“

      ***

      In Berlin blätterte zur gleichen Zeit der Rentner Michael Gerteis den Bericht durch, den er gerade im Briefkasten gefunden hatte. Verfasst von einem Karl Heinz Huber. Der Name sagte ihm nichts. Genauso wie er keine Ahnung hatte, wer ihm das Papier zugespielt hatte und wozu.

      An Heinrich Lehmann, den sie als Agent Armin Schuppers im Westen „beschäftigt hatten“, erinnerte er sich.

      Eine alte Geschichte, die mit einem Liquidierungsauftrag einen klaren Abschluss gefunden hatte. Weshalb ihn wohl jemand mit dieser ollen Kamelle beschäftigen wollte? Gerteis zuckte mit den Schultern. Begannen die Genossen mit beginnender Altersdemenz damit, ihre „Heldentaten“ zu verherrlichen?

      Trotzdem las er die Seiten aufmerksam durch. Eine absolut glatt gelaufene Sache, was nicht immer der Fall gewesen war. Dieser Mann war praktisch ohne Aufsehen erledigt worden. In einem Hotel, das kurz nach der Aktion abgerissen wurde. Zufall? Das wusste Gerteis auch nicht genau. Es war üblich gewesen, Informationen nur an diejenigen weiterzugeben, die sie tatsächlich benötigten. Das hatte sich bewährt.

      Gerteis stutzte. Fingerabdrücke? Von der Leiche des Agenten? Die angeblich nicht mit denen übereinstimmten, die in der Akte hinterlegt waren? Er selbst hatte diese Abdrücke besorgt, von einem Glas, das Lehmann bei einem Treffen benutzt hatte. Irrtum ausgeschlossen! Konnte sich nur um eine Schlamperei handeln.

      Nicht auszudenken, wenn der noch am Leben wäre. Gerda hatte sich inzwischen zur erfolgreichen Landespolitikerin entwickelt. Lehmann hatte sie damals als Waldtraut Scholz gekannt.

      Michael Gerteis erinnerte sich ganz besonders an die Aufmachung, die Mia, die extrem begabte Maskenbildnerin des MfS, Gerda alias Waldtraut verpasst hatte, um Lehmann zu täuschen. Erschreckend

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