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friedlich wäre es doch, jetzt in einem Einbaum über einen ruhigen See zu paddeln. Stattdessen beobachtet sie wie Jusuf mit dem Ende eines Drahtseils, welches jetzt von der Winde abgewickelt wird, versucht den steilen Weg hochzusteigen. Je höher er kommt, umso schwerer wird das Drahtseil. Olivia steigt aus, sie will ihm helfen. Mit ihren guten Schuhen hat sie besseren Halt als Jusuf, welcher barfuss im Schlamm steht. Mit vereinten Kräften schaffen sie es, einen starken Baum zu erreichen und das Seil zu befestigen.

      Nun heult der Motor wieder auf. Das Seil spannt sich. Langsam bewegt sich der Lastwagen die Steigung empor. Meter um Meter wird der Lastwagen hochgezogen. Olivia und Jusuf sind damit beschäftigt, das Holzstück nachzuschieben. Nach zwanzig Meter wird die Position gesichert und das Seil an einem Baum weiter oben befestigt. Meter um Meter überwinden sie die Steigung. Endlich wird es etwas flacher und auch der Weg ist trockener. Das Seil kann eingerollt werden und es geht wieder zügiger weiter.

      Stunden später scheint die Passhöhe erreicht zu sein. Auf einem kleinen Platz stellt der Fahrer den Lastwagen ab. Unter den Bäumen ist ein Unterstand. Zeit für eine Pause. Olivia sucht sich im Rucksack etwas zu essen. Noch hat sie einige Reserven mit Proviant aus der Zivilisation. Jusuf lehnt den Schokoriegel, den sie ihm angeboten hat, ab, er hat seine eigene Verpflegung. Er kaut auf einer Wurzel, noch hält sich ihr Forscherdrang im Rahmen. Sie fragt gar nicht, um welche Pflanze es sich handelt. Sie ist total erschöpft und will jetzt noch keine Experimente mit fremden Nahrungsmitteln eingehen. Später im Dorf muss sie sich an die einheimische Nahrung gewöhnen.

      Nun nimmt sie den kleinen Fotoapparat hervor. Am Morgen hat sie ganz vergessen, einige Bilder von dieser abenteuerlichen Fahrt zu schiessen. Nun holt sie es nach. Von Lastwagen sieht man beinahe nichts mehr. Er ist vollständig mit einer Schlammschicht bedeckt. Während der Fahrer noch einigermassen sauber aussieht, sehen Jusuf und Olivia aus, wie wenn sie eben vom Schlammkatschen kommen. Stolz stellen sie sich vor den Laster und der Fahrer macht einige Fotos. Ihre Freundin Anna wird sich kranklachen wenn sie diese Bilder sieht. Die liegt jetzt in Basel in ihrer Studentenbude und wird noch tief schlafen. Eine solche Fahrt wäre sicher nichts für sie, da könnten ja ihre Fingernägel schmutzig werden.

      Nachdem sie sich etwas erholt haben, winkt ihr der Fahrer zu. Anscheinend soll sie im Folgen. Hinter dem Unterstand führt ein schmaler Fussweg in den Wald. Sie folgt ihm mit einem mulmigen Gefühl. Der Weg steigt nochmals leicht an, ist jedoch nicht so glitschig. Sie kommen gut voran.

      Nach einer Viertelstunde lichtet sich der Wald. Sie erreichen eine baumfreie Zone. Am einen Ende der Lichtung ist eine Kante sichtbar. Offensichtlich befinden sie sich auf einem Berg, dessen Flanke auf einer Seite beinahe senkrecht abfällt. Vorsichtig nähert sie sich der Kante und ist verzaubert. Von diesem Punkt aus kann man weit über die Insel blicken. Ein unglaublicher Ausblick. Der Wald unter ihr muss unendlich gross sein. Soweit man schaut, eine geschlossene grüne Decke. Sie macht zahlreiche Fotos.

      «Dort ist dein Dorf», erklärt ihr Jusuf und zeigt auf einen Punkt in der Ferne.

      «Das ist noch sehr weit weg», meint Olivia, «kann man diesen Felsen vom Dorf aus sehen?»

      «Vermutlich nicht, die Bäume sind zu hoch. Die Dorfbewohner kennen vermutlich eine Stellen, von der aus man die Wand sehen kann.»

      Olivia kann sich kaum satt sehen. So viel Natur auf einmal, hat sie noch nie gesehen. Welche Tiere leben wohl in diesem Wald? Sicher ist, man muss höllisch aufpassen, dass man sich nicht verläuft, man würde nie mehr herausfinden.

      «Komm», erklärt Jusuf, «es gibt noch eine Überraschung!»

      Jusuf folgt der Kante der Felswand und winkt. So schnell wie möglich versucht sie ihm zu folgen.

      Einige Meter von der Kante entfernt sieht sie eine mit Blättern bedeckte Hütte. Jusuf geht direkt auf sie zu. Als sie sich nähern, tritt ein Mann aus der Hütte.

      «Komm, hier kannst du telefonieren», erklärt Jusuf voller Stolz.

      «Was, Telefonieren?»

      «Ja, die Regierung hat hier ein Satellitentelefon installiert.»

      «Du meinst ich kann nach Hause telefonieren?»

      «Ja, und erst noch kostenlos. Die Regierung ist sehr grosszügig. Eigentlich muss Prior den Wald beobachten und Waldbrände oder andere Vorkommnisse nach Jakarta melden, doch ein privates Gespräch ist nicht verboten.»

      Prior ist ein kleiner jünger Eingeborener mit einem breiten Lachen im Gesicht. Mit einem verschmitzten Grinsen bittet er Olivia ihm zu folgen.

      Staunend betritt Olivia die Hütte. Prior bietet ihr einen Stuhl an. Dann bemerkt sie das Gerät. Auf einem Tisch steht tatsächlich ein Satellitentelefon.

      «Hast du die Nummer, welche du anrufen willst?»

      «Ihr Telefonbuch hat sie nicht mitgenommen, die Nummer ihrer Wohnung weiss sie natürlich auswendig. Schnell schreibt sie sie auf ein Blatt Papier. Prior beginnt zu wählen. Es knackt und rauscht, dann ein Summton. Wieder Knacken und endlich hört sie den vertrauten Summton. Viermal, fünfmal, sechsmal. Ist Anna nicht zu Hause?

      Dann endlich die verschlafene Stimme: «Ja, was gibt’s?»

      «Olivia! - Hallo Anna, ich wollte mich noch einmal melden!»

      «Bist du wahnsinnig geworden, mich um sechs morgens Uhr zu wecken?»

      «Entschuldigung! – Ich weiss gar nicht welche Zeit ihr in der Schweiz habt. Seit mehreren Tagen habe ich erstmals die Möglichkeit zu telefonieren, da wollte mich kurz melden.»

      «Ach du bist es, Olivia», langsam wird Anna wach und begreift, wer sie anruft, «natürlich darfst du mich um diese Zeit anrufen, ich bin nur noch nicht richtig wach», entschuldigt sich Anna.

      «Du glaubst nicht wo ich bin?», beginnt Olivia.

      «Also, mach’s nicht so spannend, schiess los, so früh am Morgen bin ich nicht für ein Quiz geschaffen.»

      Damit war der Bann gebrochen. Olivia erzählt ihrer Freundin alles, was sie in den letzten Tagen erlebt hat. Die Männer schauen sich verwundert an. Sie verstehen kein Wort was die beiden miteinander zu besprechen haben. Sie wundern sich nur, dass es so lange dauert. Was will man machen, sie haben Verständnis, schliesslich ist es für Olivia das letzte Telefongespräch für längere Zeit.

      «Ach Olivia, ich muss leider abbrechen, es ist Zeit, ich muss zur Uni. Dein Anruf hat mich gefreut.»

      «Gut Anna, ich mache jetzt Schluss, die Männer schauen auch schon langweilig in der Gegend rum, sie wollen weiter. Ich wollte nur, dass du weisst, das ich unterwegs bin.»

      «Bist du sicher, dass du das durchstehst?», fragt Anna, «für mich tönt es sehr gefährlich.»

      «Ich bin auch nicht mehr sicher, dass ich hier heil rauskomme, es dürfte eine harte Prüfung werde. Doch jetzt ist es zu spät, ich kann nicht mehr zurück. Drück mir die Daumen, ich glaube ich werde es brauchen.»

      «Mach ich, - übrigens Tim hätte gern einige Steine von dieser Insel, wenn du etwas findest, bringe sie mit. Er meint die Insel könnte geologisch sehr interessant sein.»

      «Geologisch interessant? – Ich sehe nur Bäume, vielleicht finde ich doch noch einige Steine, dann bringe ich sie mit, allerdings nur kleine.»

      «Schon gut, wenigstens einige Steinchen, das wird ihn zufrieden stellen.»

      «Also, tschüss», Olivia kommen beinahe die Tränen, sie muss das Gespräch beenden.

      «Tschüss Olivia, - pass auf dich auf!»

      Anna

      Anna muss sich beeilen, sie hat eine Verabredung mit ihrem Professor. Auch wenn zurzeit keine Vorlesungen zu besuchen sind, Ferien hat sie keine. Der Professor will mit ihr das Thema für ihre Semesterarbeit besprechen. Sicher wartet er nicht gerne, auch wenn sie eine gute Entschuldigung hat. Das Schminken muss heute ausfallen und auch Kaffee braucht sie keinen mehr, sie ist noch total aufgedreht. Die

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