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exakt enger, was mit geschlossenen Augen niemals möglich gewesen wäre. Frau von Kellberg, die neben Leo stand, zitterte vor Aufregung. Anna, Stefan und die vier Polizisten sahen dem Ganzen sehr interessiert zu und Leo konnte sehen, wie sie die Köpfe zusammensteckten, sich unterhielten und zu Madame sahen. Alle schienen von diesem Medium nicht sehr überzeugt und einige machten sich lustig über das ihnen gebotene Schauspiel.

      Plötzlich blieb Madame stehen und sackte in sich zusammen. Da sie sich einige Minuten nicht mehr rührte, lief Leo zu ihr und half ihr auf.

      „Was ist mit Ihnen, Frau Esmeralda? Geht es Ihnen nicht gut?“

      Völlig erschöpft antwortete diese:

      „Das war zu viel für mich, ich muss mich ausruhen. Bitte bringen Sie mich weg von diesem Ort.“

      Na bravo, dachte Leo. Erst kommt sie ungebeten hierher und dann darf ich auch noch helfen, sie wegzubringen. Da es eh schon spät war, machten sich alle gemeinsam auf den Weg zurück zum Parkplatz. Madame, die sich als ziemlich dick und unsportlich erwies, was ihre weite Kleidung weitgehend verdeckt hatte, keuchte und war knallrot im Gesicht. Frau von Kellberg hielt sich ganz wacker. Sie lief immer in unmittelbarer Nähe von Madame, um vielleicht eine Information von Ihr zu bekommen. Leo war klar, dass sie so, wie sie keuchte, kein Wort rausbekommen würde. Annas Schuhe waren völlig ruiniert und auch die teuren Strümpfe hatten Löcher und Risse. Sie war sauer und mit ihren Kräften am Ende, aber zum Glück war Stefan bei ihr und stütze sie. Trotz ihres Zustandes konnte er es sich nicht verkneifen, sich fortwährend über unpraktische und augenscheinlich unbequeme Schuhe von Frauen lustig zu machen.

      Nach über einer Stunde waren sie endlich am Parkplatz angekommen und dort setzten sie sich auf eine für Besucher installierte Bank, die bei schönem Wetter einen gigantischen Blick ermöglichte. Inzwischen war es 19.30 Uhr und dunkel geworden, die Aussicht konnten sie nur noch erahnen. Die letzten Meter hatten sie mit Hilfe von Taschenlampen zurücklegen müssen, die Stefan und seine Männer zum Glück dabei hatten. Frau von Kellberg hatte in ihrem Wagen einige Wasserflaschen, die sie den anderen anbot. Madame trank gierig, erholte sich zusehends und atmete nach endlos langen Minuten endlich wieder etwas flacher, wobei ihr knallroter Kopf zwischenzeitlich zu platzen drohte.

      „Bitte Madame,“ flehte Frau von Kellberg sie an, „so sagen Sie doch endlich, was Sie gesehen haben.“

      Leo, Stefan, Anna und die anderen Polizisten hatten einen Halbkreis gebildet und starrten Madame an. Sie waren wahnsinnig gespannt auf das, was jetzt kommen würde. Es war totenstill, keiner wollte auch nur ein Wort verpassen, denn darauf hatten sie nun lange genug gewartet.

      „Schreckliche Dinge habe ich gesehen,“ begann Madame mit einem jämmerlichen Ton, „schreckliche Dinge. Ich bin noch völlig erledigt. An diesem Ort sind Dinge passiert, die ich mir nicht einmal vorstellen kann. Ich habe Blut gesehen, viel Blut. Und viele junge Menschen, die ein Fest feiern. Dazu viel Alkohol, Aggressivität, Streit, ….. ich muss mich erst einmal beruhigen. Bitte bringen Sie mich weg von hier.“

      „Ja natürlich Madame. Bitte entschuldigen Sie, dass ich Sie mit meiner Neugier überfallen habe, aber ich konnte nicht anders. Wir fahren ins Hotel und dort ruhen Sie sich aus,“ sprach Frau von Kellberg. Sie nickte Leo, Anna und Stefan zu, hakte Madame bei sich ein und die beiden liefen zu dem teuren, goldfarbenen Sportwagen. Frau Esmeralda brauchte ein paar Minuten, bis sie in dem Wagen Platz genommen hatte, denn der war sehr tief und für eine Frau mit ihrem Umfang überaus ungeeignet.

      Die Umstehenden starrten den beiden hinterher und sahen sich ungläubig an. Und schließlich lachten die Polizisten und auch Stefan laut los.

      „Was soll das denn jetzt gewesen sein?“, fragte Anna, der wegen ihrer Schuhe das Lachen vergangen war. „Die veräppelt uns doch.“

      „Na klar tut sie das,“ sagte Leo verärgert, „das war völlige Zeitverschwendung. Solche Leute nutzen doch nur die Hilflosigkeit und die Angst von verzweifelten Menschen aus. Ich könnte kotzen.“ Er ging zu seinem Wagen und musste erst einmal tief durchatmen und versuchte, sich zu beruhigen. Was war nur in Frau von Kellberg gefahren, dass sie diesem Unfug Glauben schenkte?

      Anna hörte Leo nicht oft so reden und wusste, dass er jetzt nicht mehr ansprechbar war. Er war nicht nur verärgert, sondern stinksauer. Anna war überzeugt davon, dass es tatsächlich Menschen mit übersinnlichen Fähigkeiten gab, aber sie wollte mit Leo jetzt nicht darüber diskutieren. Diese Esmeralda war eindeutig eine Hochstaplerin, die es leider in Massen gab.

      „Für heute ist für alle Feierabend. Morgen ist auch noch ein Tag,“ entschied Leo. Das Büro musste warten, für heute hatte er genug. Allen waren die Strapazen anzusehen. Vor allem Anna kam es sehr entgegen, dass sie nach Hause fahren und sich umziehen konnte. So, wie sie aussah, konnte sie sich nirgends blicken lassen, vor allem nicht im Büro. Sie wäre das Gespött der Kollegen.

      Nach einem kurzen Stopp bei einer Fast-Food-Kette fuhr Leo in sein Appartement. Er setzte sich vor den Fernseher. Er musste sich dringend ablenken, so sehr hatte er sich über dieses Medium aufgeregt. Er zappte durch einige Programme, denn ein Programmheft besaß er nicht. Er stellte zu seiner Freude fest, dass auf einem Programm eben erst ein Tierfilm angefangen hatte; er liebte diese Filme. Er holte sich ein Bier zu seinen Hamburgern und Muffins und ließ sich berieseln. Er hatte an diesem Tag sehr viel erlebt und wollte jetzt auf keinen Fall darüber nachdenken, sondern nur noch seinen Feierabend genießen und zur Ruhe kommen. Nachdem er gegessen hatte, schlief er auf der Couch ein.

      6.

      Am nächsten Tag waren Leo und Anna pünktlich im Büro. Es klopfte, die Tür ging auf und eine junge Kollegin wedelte mit einem Stück Papier in der Hand. „Ist eben reingekommen!“, rief sie, knallte das Papier auf Leos Schreibtisch und war auch schon wieder draußen. Leo las das Fax und Anna sah ihn fragend an.

      „Die Polizei in Hamburg hat unsere Suchmeldung von Maximilian von Kellberg erhalten. Sie haben einige Gemeinsamkeiten bei einer Suche ihrerseits nach einer jungen Frau festgestellt. Dabei handelt es sich um eine gewisse Nadine Siebert, 22 Jahre, die ebenfalls seit dem 14. Juni vermisst wird. Und auch sie war im Urlaub auf Sylt, sie war im gleichen Hotel abgestiegen.“

      „Das kann kein Zufall sein,“ rief Anna, sprang auf und nahm Leo das Fax aus der Hand, um sich selbst von dessen Inhalt zu überzeugen.

      „Das ist mit Sicherheit kein Zufall, ich rufe den Kollegen in Hamburg sofort an.“

      Leo wählte die Nummer mit der Durchwahl, die auf dem Fax stand, und landete direkt bei dem zuständigen Beamten Viktor Weinmann.

      „Hallo Herr Weinmann, hier Leo Schwartz, Polizei Ulm. Ich habe eben Ihr Fax bekommen und bin sehr erstaunt über gewisse Gemeinsamkeiten in unserem Fall Maximilian von Kellberg und Ihrem Fall Nadine Siebert.“

      „Moin Kollege Schwartz, ich dachte mir, dass Sie das interessiert. Ich habe Ihre Vermisstenmeldung erst nach dem Wochenende gelesen und da ich den Fall Siebert bearbeite, sind mir die Gemeinsamkeiten sofort aufgefallen. So wie ich das sehe, sind die beiden eventuell gemeinsam verschwunden. Wir sind bisher davon ausgegangen, besser gesagt haben darauf gehofft, dass Nadine Siebert irgendwann wieder auftaucht. Nachdem Sie jetzt einen Todesfall haben, der sehr wahrscheinlich mit dem Verschwinden von Nadine zusammenhängt, müssen wir von dem Schlimmsten ausgehen,“ sagte Viktor Weinmann, der auf Leo einen sehr ruhigen Eindruck machte.

      „Das ist zu befürchten. Ich hätte gerne alle Informationen über den Fall Siebert. Vielleicht finde ich eine Spur, die uns weiterbringt. Wenn ich ehrlich bin, haben wir nicht viel. Für jeden noch so kleinen Hinweis wären wir dankbar.“

      „Gerne. Ich lasse Ihnen die Unterlagen per Fax zukommen und wünsche Ihnen viel Glück. Wenn Sie Fragen haben, zögern Sie nicht, mich anzurufen.“

      „Vielen Dank, Herr Weinmann. Sie bekommen im Gegenzug das, was wir bis jetzt im Fall von Kellberg haben. Dann werden Sie sehen, was wir für Schwierigkeiten haben. Vielleicht fällt Ihnen dazu was ein.“

      Kurze Zeit später klopfte es an der Tür, die junge Kollegin kam wieder ohne Aufforderung ins

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