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weder gewaschen, noch gekämmt hatte. Er trug eine kleine Nickelbrille und man konnte aufgrund der Glasstärke der Brille erkennen, dass er sehr schlechte Augen hatte. Seine Kleidung war leger: Jeans, Turnschuhe und ein T-Shirt. Julius war Sohn eines Bankers, seine Mutter war Hausfrau. Er studierte entgegen den Erwartungen seiner Eltern Naturwissenschaften. Leo befragte ihn zu seinem Verhältnis zu Maximilian und zu dem Tag des Verschwindens.

      „Ich war mit Maximilian noch nicht lange befreundet, wir kannten uns eigentlich nicht näher. Wir haben uns in einer Passauer Kneipe kennengelernt, als ich meine Eltern zuhause besuchte. Sie müssen wissen, dass ich in Bayreuth studiere. Sie haben Glück, dass ich noch in Passau bin, in einer Woche enden die Semesterferien. Maximilian und ich trafen uns also in der Kneipe und verstanden uns auf Anhieb. Eines Tages beim Bier hat mir Maximilian erzählt, dass er nach Sylt in Urlaub möchte und hat mich dazu überredet, mich anzuschließen. Ich hatte nichts Besseres vor, also bin ich mit.“

      „Es geht um die Party am 14. Juni, als Maximilian verschwand. Woran können Sie sich erinnern?“

      „Bei der Party war ich nur kurz, es hat mir nicht gefallen. Ich bin nicht der geborene Party-Typ. Ich lass mich nicht gerne volllaufen, ich ziehe interessante Gespräche vor und lese lieber.“

      „Wann haben Sie die Party verlassen?“

      „So gegen 22.00 Uhr schätze ich.“

      „Wann haben Sie Maximilian von Kellberg zum letzten Mal gesehen?“

      „Auf der Party. Als ich ging, war er gerade am Tanzen. Das war das letzte Mal, dass ich ihn gesehen habe.“ In Julius Augen standen Tränen, deren er sich nicht schämte.

      Leo wandte sich an den nächsten Freund, an Benjamin Aschenbrenner. Er war der Sohn eines Zahnarztes und einer Psychotherapeutin, und wie Julius ebenfalls 24 Jahre alt. Er saß mit seiner sichtlich teuren Kleidung aufrecht auf dem Stuhl. Er war 1,83 Meter groß und hatte eine sehr sportliche Figur. Seine Frisur war kurz und sehr modern mit Haargel in Form gebracht. Seine wachen, blauen Augen sahen Leo erwartungsvoll an.

      „Auch an Sie habe ich die gleichen Fragen, Herr Aschenbrenner. Wie war Ihr Verhältnis zu Maximilian und wie haben Sie den Abend des 14. Junis erlebt?“

      Leo überraschte die tiefe, klare Stimme.

      „Maximilian und ich kennen uns schon von klein auf, wir sind praktisch zusammen aufgewachsen. Unsere Eltern sind sehr eng befreundet. Nach der Schule war es klar, dass wir gemeinsam studieren. Wir haben uns für Jura entschieden und uns gemeinsam an der Uni Passau eingeschrieben. Zu dem Abend auf Sylt kann ich nicht viel sagen. Ich saß an der Bar und habe mich mit einigen Leuten unterhalten. Maximilian hat sich vorwiegend auf der Tanzfläche aufgehalten und hat alle möglichen Mädchen angemacht. Irgendwann ist er dann mit einem Mädchen verschwunden. Später habe ich ihn noch einmal mit einem anderen Mädchen gesehen. Das muss nach Mitternacht gewesen sein, eher halb eins. Da ich müde war, habe ich Maximilian und Tim noch zugewinkt und bin auf mein Zimmer.“

      „Danach haben Sie Maximilian nicht mehr gesehen?“

      „Nein, das war das letzte Mal.“ Er senkte den Kopf, um die Tränen zu verbergen. Von Anfang an hatte er sich bemüht, sachlich zu bleiben, was ihn arrogant erscheinen ließ. Er musste sich anstrengen, um die Fassade aufrecht zu erhalten. Aber gerade diese Gefühlsregung machte ihn fast schon wieder sympathisch.

      Leo bekam langsam ein Bild von Maximilian von Kellberg. Er wandte sich an den dritten Studienkollegen Tim Mahler, der in einem roten Jogginganzug vor ihm saß. Tim bemerkte Leos abschätzende Blicke.

      „Tut mir leid, ich war im Training und bin direkt hierher. Ich hoffe, Sie stören meine Klamotten nicht.“

      „Nein, keineswegs. Bei der Gelegenheit möchte ich mich bei Ihnen allen bedanken, dass Sie es möglich gemacht haben, pünktlich zu erscheinen; in welcher Kleidung auch immer. Welchem Sport gehen Sie nach?“

      „Eigentlich mache ich so gut wie alles, aber vor allem spiele ich mit Leidenschaft Fußball. Ich studiere Biologie und Sport auf Lehramt. Um mein Studium zu finanzieren, kellnere ich in einer kleinen Bar in der Altstadt. Meine Mutter hat kein Geld, um mich finanziell zu unterstützen. Sie ist Sekretärin in einem Exportunternehmen und hat mich allein aufgezogen. Ich komme über die Runden, das Studium läuft prima.“

      „Sind Sie ein guter Fußballer?“, wollte Leo wissen, der eine Schwäche für Fußball hatte.

      „Ich kann das selbst nicht so beurteilen,“ antwortete Tim Mahler bescheiden, „aber mein Trainer meint, dass ich das Zeug zum Profi habe. Die ersten Anfragen von Profivereinen flattern bereits ins Haus. Ich bin erst 20 Jahre alt, mal sehen, was noch kommt. Ich verlasse mich aber nicht auf eine eventuelle Profikarriere. Ein kaputtes Knie oder dergleichen, und ich stehe auf der Straße.“

      Insgeheim beneidete Leo diesen Jungen. Er wollte früher auch so sein wie Tim Mahler, aber er hatte nicht die nötige Disziplin. Tim war mit 1,98 Meter sehr groß. Er hatte schwarze, kurze Haare und eine gebräunte, gesunde Gesichtsfarbe. Eben einer dieser Jungs, die von den Mädchen umschwärmt werden und die überall beliebt sind.

      „Sehr vernünftig, junger Mann. Ich habe natürlich die gleichen Fragen auch an Sie.“

      „Ich kenne Maximilian von der Uni, wir haben uns beim Sport kennen gelernt. Maximilian war auch begeisterter Fußballspieler, aber er hatte nicht den gleichen Ehrgeiz wie ich. Er kommt zwar aus sehr reichem Haus, aber er war nicht so ein eingebildeter Schnösel, sondern völlig normal.“ Dabei sah Tim Benjamin an, der keine Miene verzog. „Maximilian hat mich zu diesem Urlaub auf Sylt überredet und hat das alles auch bezahlt. Ich habe keinen Cent übrig, aber Maximilian sah das locker und hat mich einfach eingeladen. Er wollte unbedingt, dass ich mitkomme. Wir hatten auf Sylt richtig viel Spaß. Bezüglich des weiblichen Geschlechts waren wir auf einer Wellenlänge, wenn Sie verstehen, was ich meine. Wir beide haben es richtig krachen lassen. Durch mein Studium, das Training und meinen Nebenjob habe ich sehr wenig Freizeit und habe diesen Urlaub wirklich ausgenutzt.“

      Leo musste grinsen, genau so hatte er sich Tim vorgestellt.

      „Ja, ich kann mir vorstellen, wie Sie das meinen. Fahren Sie fort. Wie ist der Abend verlaufen?“

      „Wie Benjamin schon sagte. Maximilian und ich sind gleich auf die Tanzfläche und auf die Mädchen los. Wir wurden ziemlich schnell fündig und sind mit den Mädels abgezogen, jeder für sich natürlich. Später sind wir uns wieder begegnet, tranken ein Bier zusammen und haben uns wieder unter die Leute gemischt. Ich habe gegen später noch ein Mädchen aufgerissen und bin mit auf ihr Zimmer. Maximilian habe ich nur kurz von weitem mit einem Mädchen am Strand gesehen.“

      „Welche Uhrzeit?“

      „An dem Abend habe ich jegliches Zeitgefühl verloren. Ich ließ mich einfach treiben und genoss das Leben. Ich bin mir sicher, dass das nach Mitternacht gewesen sein muss.“

      „War außer Maximilian und dem Mädchen noch jemand am Strand?“

      „Darauf habe ich nicht geachtet. Ich sah Maximilian und das Mädchen, das ich nicht beschreiben könnte. Ich kann mich an ihr langes Haar erinnern, das im Wind wehte. Das war das letzte Mal, dass ich Maximilian sah.“

      Leo spürte, dass Tim das alles sehr nahe ging. Er atmete schwer und ihm versagte langsam die Stimme.

      „Dann waren Sie der Letzte von Ihnen, der Maximilian auf der Party gesehen hat?“, fragte Leo weiter.

      „Das kann gut sein, aber sicher bin ich mir nicht. Ich weiß, dass Julius nicht so auf Partys steht. Ich habe Benjamin gesehen, wie er sich mit einigen Leuten heftig gestritten hat. Wann die beiden von der Party weg sind, kann ich nicht sagen.“

      „Hör mal Tim,“ empörte sich Benjamin sehr laut, „ich habe dir und Maximilian doch noch zugewinkt. Das muss gegen halb eins gewesen sein.“

      „Tut mir leid, Kumpel. Ich kann mich weder an die Uhrzeit, noch an das Winken erinnern.“

      Benjamin war sichtlich sauer.

      „Mit wem haben Sie sich gestritten und um

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