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ich von mir abzulenken, während Nina den Text las. Nachdem sie mir die Antwort immer noch schuldig blieb, knuffte ich ihr in die Seite. Sie schien nachzudenken, rührte mit dem Löffel gedankenverloren in ihrem Latte Macchiato und meinte schließlich »Nein, aber ich habe auch nicht das Gefühl etwas verpasst zu haben.«

      »Hast du denn keine geheimen Wünsche?« Gespannt betrachtete ich sie.

      »Ehrlich gesagt, bin ich glücklich, so wie es ist.« Es gab nicht viele dieser Momente, aber gerade eben war ich ziemlich neidisch auf meine beste Freundin.

      »Ich glaube du denkst zu kompliziert«, sagte sie nach einem kurzen Augenblick. Mir war nicht ganz klar auf was Nina hinaus wollte.

      »Wie meinst du das?«

      »Na ja, Glück ist nicht nur das große Ganze, das können kleine Momente sein, die dir den Alltag versüßen und dich glücklich machen. Für mich bedeutet Glück zum Beispiel auch, wenn mir nach fünf Versuchen meine neue Lieblingstorte endlich gelingt, kurzfristig noch Karten für ein längst ausverkauftes Konzert zu bekommen oder an der Isar zu sitzen und die Sonne untergehen zu sehen.«

      Einen Moment lang dachte ich über ihre Worte nach.

      »Ich wollte schon immer Mal ein Kinderbuch schreiben. Aber bisher fehlte mir entweder die Zeit oder der Mut«, fügte sie nach kurzer Zeit zögerlich hinzu und ihre Wangen färbten sich rot.

      »Das ist ja toll«, entgegnete ich überrascht. »Das wusste ich ja noch gar nicht. Dafür ist es doch noch nicht zu spät. Du wirst in nächster Zeit sicher genug Inspiration dafür bekommen.«

      Nina lachte. »Ja, aber sicher dann auch keine freie Minute mehr haben.« Sie strich sich verträumt über ihren Bauch.

      »Wenn du willst helfe ich dir. Ich könnte mich um die passenden Grafiken kümmern.« Euphorisch versuchte ich ihr Mut zuzusprechen und war ganz mitgerissen von der Idee eines gemeinsamen Projektes.

      »Meinst du wirklich?«

      »Ja klar, das wird genial. Das muss unbedingt an Punkt eins deiner Bucket List.«

      »Ich habe keine. Schon vergessen?«

      »Dann wird es ja höchste Zeit.«

      Einen Moment lang hing jede von uns ihren Gedanken nach. Ich nahm die Liste vom Tisch und pinnte sie an meinen Kühlschrank, um sie nicht aus den Augen zu verlieren.

      »Was macht eigentlich euer Kinderzimmer, ist es fertig eingerichtet?«, wechselte ich das Thema.

      »Ja«, meinte Nina und ihr Gesicht bekam wieder diesen seltsam verklärten, glücksselig lächelnden, Gesichtsausdruck »nur habe ich mich nun doch für eine neutrale Farbe entschieden und die Wände gelb gestrichen. Die Möbel werden im Laufe der nächsten Woche geliefert, dann kann ich noch in Ruhe alles einräumen.«

      »Soll ich vielleicht nächsten Samstag vorbeikommen und dir ein wenig helfen?«, schlug ich vor, denn ich war im Moment froh für jede Minute, die ich mit Nina verbringen konnte. Der Nachmittag mit ihr hatte richtig gutgetan und irgendwie hatte ich große Angst davor, dass sich mit dem Baby auch unsere innige Freundschaft verändern würde. Werden wir uns dann noch genauso viel erzählen können, uns für die gleichen Dinge interessieren und über dieselben Sachen lachen können? Ich zweifelte daran, traute mich aber auch nicht Nina mit meinen Ängsten zu konfrontieren. Ehe ich weiter darüber nachgrübeln konnte, riss sie mich aus meinen Gedanken und meinte »Ja, und abends könnten wir noch zusammen essen. Vielleicht kann ich Tom überreden uns etwas Leckeres zu kochen.«

      »Au ja, ich bin dabei. Nächsten Samstag um zwölf?«

      »Ja, das passt gut. Ich freu mich und kann jede Hilfe gut gebrauchen.«

      Irgendwie roch es etwas seltsam. Meine kleinen grauen Zellen brauchten einen Moment, um den Geruch zuzuordnen.

      »Hier riecht es verbrannt«, rief Nina naserümpfend das aus, was ich gerade dachte.

      »Mist, verdammter. Mein Traumprinz. Den haben wir total vergessen.«

      Ich spurtete in die Küche, riss fluchend die Tür vom Backofen auf, aus der es mächtig qualmte und zog das heiße Blech vorsichtig auf den Herd. Nina öffnete inzwischen im Wohnzimmer die Fenster und ließ die kalte Herbstluft in den Raum. Was war denn das? An seinem Goldstück prangte ein großer dunkler Fleck. Hoffentlich kein schlechtes Omen. Leidenschaftlichen Sex wünschte ich mir schließlich auch mit meinem Prinzen. Vielleicht hätte ich meine Must-Haves um diesen Punkt ergänzen sollen. »Oh Mann, mir ist aber auch nichts gegönnt. Das war’s dann wohl. Traumprinz ade.«

      Inzwischen stand Nina neben mir und wir blickten gemeinsam auf den etwas verkohlten Teigprinzen, dessen Po nun mehr nach einem verschrumpelten Apfel als nach einem Knackarsch aussah. Eins war klar, Daniel Craig konnte der hier keine Konkurrenz machen.

      »Wieso? Vielleicht ist dein Traumprinz ja ein rassiger Südländer«, versuchte Nina mich noch aufzumuntern. Mit einem Blick auf die Uhr ergänzte sie »oh Mist, schon so spät? Ich muss los.«

      »Jetzt schon?« Ich versuchte mir meine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen.

      »Ja, ich gehe heute wieder zum Schwangerschaftsyoga. Ich frage mich zwar, wie lange das mit dieser Riesen-Kugel noch gut geht, aber die Bewegung tut mir gut. Mathilda wartet sicher schon auf mich. Wir sehen uns ja am Samstag.« Hastig griff Nina nach Schal, Mantel und der selbstgestrickten Mütze und verabschiedete sich.

      Ich konnte nicht anders. Ich war eifersüchtig auf Mathilda. Nina hatte sie in diesem Kurs kennengelernt und neuerdings waren die beiden ein Herz und eine Seele. Aber ich schluckte den Kloß im Hals, der mir unweigerlich die Kehle zuschnürte, hinunter und freute mich einfach auf das bevorstehende Wochenende.

      Und nun? Nachdem ich Nina an der Tür verabschiedete, ging ich zurück ins Wohnzimmer. Als ich das Geschirr in die Küche räumte, fiel mir meine Bucket-List wieder in die Augen. Es war noch nicht spät, erst kurz vor drei. Zeit genug also, um vielleicht heute noch zur Isar zu fahren und meine Flaschenpost auf den Weg zu schicken. Immer noch aufgewühlt, schnappte ich mir die leere Rotweinflasche von der Anrichte und schrieb einen Brief.

       Lieber Finder,

       wenn du diese Flasche findest, sind vielleicht schon viele Jahre vergangen, ich bin eine 85-jährige Frau, sitze zufrieden in einem Schaukelstuhl im Garten, trinke mit meinem Liebsten Kaffee, während meine Tochter in der Hängematte relaxt und die Enkelkinder im Garten Fußball spielen. In diesem Fall ist alles gut gelaufen und meine Wünsche haben sich erfüllt.

       Vielleicht findest du die Flasche aber auch schon eher und bist der Traumprinz, auf den ich die ganze Zeit schon warte.

      Das Telefon klingelte, aber ich ließ mich durch nichts stören und schrieb eifrig weiter.

       Mein Name ist Leni. Heute ist der 15.11.2017. Ich bin 29 Jahre alt, nicht zu groß und nicht zu klein, nicht dünn, aber auch sportlich genug, um in Kleidergröße 38 zu passen. Ich lache gerne – am liebsten mit meinen Freunden.

       Ich bin spontan und gerne kreativ.

       Meistens weiß ich genau, was ich will.

       Ich möchte den einen Traumprinzen finden, der mich liebt und bei dem mein Herz tanzen wird vor Glück.

       Ich freue mich auf deine Nachricht.

       Leni

      Mit zittrigen Fingern rollte ich das Blatt zusammen, band eine Schleife darum, steckte es in die Flasche und drückte den Korken fest darauf, bevor ich ihn mehrfach mit Klebeband umwickelte. Ich war ganz hippelig. Es war noch nicht dunkel, also beschloss ich gleich noch zu den Isarauen zu fahren und die Post loszuschicken. Dort angekommen inspizierte ich zuerst den Wasserfluss, um die Flasche an einer geeigneten Stelle auf ihre Reise zu schicken. Ich wartete noch einen Moment, bis sich die Teenager etwas weiter unten flussabwärts verzogen hatten und ging ungeduldig auf und ab. Schließlich wollte ich nicht, dass ein siebzehnjähriger

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