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ist es ja, was wir Sozialisten erstreben – die Beendigung des Interessenkonflikts. Entschuldigen Sie bitte einen Augenblick; lassen Sie mich vorlesen.« Er nahm das Buch und blätterte darin. »Seite hundertsechsundzwanzig: ›Die Periode der Klassenkämpfe, die mit der Zersetzung der ursprünglichen Gütergemeinschaft und der Entstehung des Privateigentums begann, wird mit dem Aufhören des Privateigentums im Sinne des Sozialismus endigen.‹«

      »Aber da stimme ich nicht mit Ihnen überein«, fiel der Bischof ein, dessen blasses, asketisches Gesicht durch schwaches Erröten seine Erregung verriet. »Ihre Voraussetzung ist falsch. Es gibt nichts derartiges wie einen Interessenkonflikt zwischen Arbeit und Kapital – oder, vielmehr, es sollte ihn nicht geben.«

      »Danke«, sagte Ernst mit Nachdruck. »Durch diese Behauptung haben Sie mir meine Voraussetzung wiedergegeben.«

      »Aber warum muß es einen Konflikt geben?« fragte der Bischof eifrig.

      Ernst zuckte die Achsel. »Weil wir einmal so geschaffen sind, denke ich.«

      »Aber das sind wir ja gar nicht!« rief der andere.

      »Sprechen Sie vom Idealmenschen?« fragte Ernst, »– von dem selbstlosen, gottähnlichen Idealmenschen, der so selten ist, daß er praktisch gar nicht in Frage kommt, oder sprechen Sie vom gewöhnlichen Durchschnittsmenschen?«

       »Vom gewöhnlichen Durchschnittsmenschen«, lautete die Antwort.

      »Der schwach und fehlbar und Irrtümern verfallen ist?«

      Bischof Morehouse nickte.

      »Und kleinlich und selbstsüchtig?«

      Er nickte wieder.

      »Beachten Sie wohl,« sagte Ernst, »ich sagte ›selbstsüchtig.‹«

      »Der Durchschnittsmensch ist selbstsüchtig«, gab der Bischof tapfer zu.

      »Begehrt alles, was er bekommen kann.«

      »Begehrt alles, was er bekommen kann – leider wahr.«

      »Dann habe ich Sie.« Ernst ließ seine Kiefer wie eine Falle zuklappen. »Ich werde es Ihnen zeigen. Nehmen Sie einen Mann, der an der Straßenbahn arbeitet.«

      »Er hätte diese Arbeit nicht, wenn das Kapital nicht wäre«, unterbrach ihn der Bischof.

      »Stimmt, aber Sie werden mir zugeben, daß das Kapital zugrundegehen würde, wenn die Arbeiter nicht die Dividenden verdienten.«

      Der Bischof schwieg.

      »Geben Sie das zu?« beharrte Ernst.

      Der Bischof nickte.

      »Dann heben unsere Behauptungen sich gegenseitig auf«, sagte Ernst geschäftsmäßig, »und wir sind wieder, wo wir waren. Also lassen Sie uns wieder von vorne anfangen. Die Arbeiter bei der Straßenbahn liefern die Arbeit. Die Aktionäre liefern das Kapital. Durch die vereinigte Wirkung von Arbeit und Kapital wird das Geld verdient In jenen Tagen übten räuberische Individuen die Kontrolle über alle Transportmittel aus und erhoben vom Publikum eine Abgabe für deren Benutzung.. Das verdiente Geld wird zwischen ihnen geteilt. Der Verdienstanteil des Kapitals heißt ›Dividende‹, der der Arbeit ›Lohn‹«.

      »Sehr richtig«, bemerkte der Bischof. »Und es ist kein Grund vorhanden, daß die Teilung nicht auf friedlichem Wege erfolgen sollte.«

      »Sie haben schon vergessen, worüber wir uns einig waren«, erwiderte Ernst. »Wir waren uns darüber einig, daß der Durchschnittsmensch selbstsüchtig ist. Er ist der Mensch der Tatsache. Sie sind ins Blaue geflogen und haben einen Unterschied zwischen den Menschen aufgestellt, wie sie sein sollten, aber nicht sind. Kehren Sie wieder auf die Erde zurück. Der Arbeiter, der selbstsüchtig ist, will bei der Teilung haben, was er bekommen kann. Der Kapitalist, der auch selbstsüchtig ist, will ebenfalls bei der Teilung haben, was er bekommen kann. Wenn es aber nur so und so viel zum Teilen gibt, und wenn zwei alles haben wollen, dann ist der Interessenkonflikt zwischen Arbeit und Kapital ein unversöhnlicher. Solange es Arbeiter und Kapitalisten gibt, werden sie sich über die Teilung streiten. Wenn Sie heute abend in San Franzisko wären, müßten Sie zu Fuß gehen. Dort fährt nicht eine Straßenbahn.«

      »Wieder Streik Diese Streitigkeiten waren in jenen irrationellen und anarchistischen Zeiten sehr häufig. Zuweilen weigerten die Arbeiter sich, zu arbeiten. Zuweilen weigerten die Kapitalisten sich, die Arbeiter arbeiten zu lassen. Bei der Heftigkeit und Verwirrung solcher Unstimmigkeiten wurde viel Eigentum zerstört und manches Leben vernichtet. Alles dies ist uns heute unverständlich – ebenso unverständlich wie eine andere Gewohnheit jener Zeit, nämlich die Gepflogenheit von Männern der niederen Klasse, die Einrichtung zu zertrümmern, wenn sie sich mit ihren Frauen zankten.?« fragte der Bischof erschrocken.

      »Ja, sie streiten sich über die Verteilung des Gewinns der Straßenbahn.«

      Bischof Morehouse wurde erregt.

      »Es ist unrecht«, rief er. »Es ist so kurzsichtig von den Arbeitern. Wie können sie Sympathie von uns erwarten –«

      »Wenn wir gezwungen werden, zu Fuß zu gehen«, schmunzelte Ernst.

      Aber Bischof Morehouse beachtete ihn nicht und fuhr fort: »Ihr Horizont ist zu eng. Menschen sollten Menschen sein und keine wilden Tiere. Jetzt wird es wieder Gewalt und Mord, trauernde Witwen und Waisen geben. Kapital und Arbeit sollten Freunde sein. Sie sollten Hand in Hand zu gegenseitigem Nutzen arbeiten.«

      »Ach, jetzt schweben Sie wieder im Blauen«, bemerkte Ernst trocken. »Kommen Sie auf die Erde zurück. Vergessen Sie nicht: Wir waren uns einig, daß der Durchschnittsmensch selbstsüchtig ist.«

      »Aber er sollte es nicht sein«, rief der Bischof.

      »Da stimme ich mit Ihnen überein«, lautete Ernsts Erwiderung. »Er sollte nicht selbstsüchtig sein. Aber er wird es sein, solange er unter einem sozialen System lebt, das auf einer Schweine-Ethik beruht.«

      Der Bischof war entsetzt, und mein Vater schmunzelte.

      »Ja, Schweine-Ethik«, fuhr Ernst unbarmherzig fort, »das ist das kapitalistische System. Und dafür tritt Ihre Kirche ein, die predigen Sie, so oft Sie die Kanzel besteigen. Schweine-Ethik! Es gibt keine andere Bezeichnung dafür.«

      Bischof Morehouse wandte sich flehend zu meinem Vater, aber der nickte lachend.

      »Ich fürchte, Herr Everhard hat recht«, sagte er. »Laissez-faire, die Unterlassungspolitik, jeder für sich, und den Rest soll der Teufel holen. Wie Herr Everhard neulich sagte, ist es die Aufgabe von euch Männern der Kirche, die bestehende Gesellschaftsordnung aufrechtzuerhalten, und auf dieser Grundlage steht die Gesellschaft eben.«

      »Aber das ist nicht die Lehre Christi!« rief der Bischof.

      »Die heutige Kirche lehrt nicht Christus«, warf Ernst schnell ein. »Deshalb will der Arbeiter nichts mit der Kirche zu tun haben. Die Kirche sanktioniert die furchtbare Brutalität und Grausamkeit der Kapitalisten gegen die arbeitende Klasse.«

      »Die sanktioniert die Kirche nicht«, wandte der Bischof ein.

       »Jedenfalls protestiert die Kirche nicht dagegen«, erwiderte er. »Und wenn die Kirche nicht protestiert, sanktioniert sie; denn vergessen Sie nicht, daß die Kirche von der kapitalistischen Klasse unterhalten wird.«

      »In diesem Licht habe ich es noch nicht gesehen«, sagte der Bischof naiv. »Sie müssen unrecht haben. Ich weiß wohl, daß manches in dieser Welt häßlich und schlecht ist. Ich weiß, daß die Kirche das – das Proletariat Proletariat: stammt ursprünglich von dem lateinischen proletarii, ein Name, der zur Zeit des Servius Tullius denen gegeben wurde, die für den Staat nur als Erzeuger von Nachkommenschaft (proles) Wert hatten; mit andern Worten, sie kamen weder für Besitz und Stellung, noch für außergewöhnliche Befähigung in Betracht., wie Sie es nennen, verloren hat.«

      »Sie haben das Proletariat nie gehabt«, rief Ernst. »Das Proletariat ist abseits von der Kirche und ohne sie entstanden.«

      »Ich

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