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daß er die Existenz der Materie leugnete, dessen einfache Argumente aber schließlich widerlegt wurden, als die neuen empirischen Tatsachen der Wissenschaft philosophisch verallgemeinert wurden. gerechnet. Er wurde nie widerlegt.«

       »Der prächtigste Metaphysiker von allen«, lachte Ernst. »Aber Ihr Beispiel ist unglücklich gewählt. Berkeley bezeugt selbst, daß seine Metaphysik wirkungslos sei.«

      Jetzt war Dr. Hammerfield zornig, rechtschaffen zornig. Es war, als hätte er Ernst bei einem Diebstahl oder einer Lüge ertappt.

      »Junger Mann,« stieß er hervor, »diese Behauptung ist allen andern Äußerungen, die sie heute Abend getan haben, ebenbürtig. Sie ist eine niedrige, unverantwortliche Anmaßung.«

      »Ich bin ganz zerschmettert«, murmelte Ernst demütig. »Nur weiß ich noch nicht, wodurch. Sie müssen es mir in die Hand legen, Herr Doktor.«

      »Das will ich, das will ich«, sprudelte Doktor Hammerfield heraus. »Woher wissen Sie das? Woher wissen Sie, daß Bischof Berkeley bezeugte, seine Metaphysik sei wirkungslos. Sie haben keinen Beweis dafür, junger Mann, sie war immer wirksam.«

      »Ich halte es für einen Beweis für die Unwirksamkeit von Berkeleys Metaphysik, daß« – Ernst hielt einen Augenblick inne – »daß Berkeley die unabänderliche Gewohnheit hatte, durch Türen statt durch Mauern zu gehen. Daß er sein Wohl Brot und Butter und gebratenem Fleisch anvertraute. Daß er sich mit einem Messer rasierte, welches wirkte, indem es die Haare aus seinem Gesicht entfernte.«

      »Aber das sind wirkliche Dinge«, rief Doktor Hammerfield. »Metaphysik ist etwas Geistiges.«

      »Und sie wirkt – geistig?« fragte Ernst ruhig.

      Der andere nickte.

      »Dann können also unzählige Engel auf einer Nadelspitze tanzen – geistig«, fuhr Ernst sinnend fort. »Und ein pelzgekleideter, speckfressender Gott kann existieren und wirken – geistig; und es gibt keine Gegenbeweise – geistig. Ich nehme an, Herr Doktor, daß Sie geistig leben?«

      »Mein Geist ist mein Königreich«, lautete die Antwort.

       »Mit andern Worten, Sie leben im Blauen. Aber ich bin überzeugt, daß Sie zur Erde herabkommen, wenn Essenszeit ist, oder wenn ein Erdbeben stattfinden sollte. Oder, sagen Sie, Herr Doktor, fürchten Sie beim Erdbeben nicht, daß Ihr unkörperlicher Leib von einem unkörperlichen Ziegelstein getroffen werden könnte?«

      Im selben Augenblick fuhr Doktor Hammerfields Hand unbewußt nach dem Kopfe, wo er eine Narbe unter dem Haar hatte. Zufällig hatte Ernst ein passendes Bild gewählt. Doktor Hammerfield wäre bei dem Großen Erdbeben Das Große Erdbeben von 1906, das San Franzisco zerstörte. fast von einem herabstürzenden Schornstein erschlagen worden. Alles brach in schallendes Gelächter aus.

      »Nun?« fragte Ernst, als sich die Heiterkeit gelegt hatte. »Ihre Gegenbeweise!«

      Aber Doktor Hammerfield hatte für einen Augenblick genug bekommen, und der Kampf nahm eine andere Wendung. Punkt für Punkt forderte Ernst die Geistlichen heraus. Behaupteten sie, die arbeitende Klasse zu kennen, so sagte er ihnen gründlich die Wahrheit, bewies ihnen, daß sie die arbeitende Klasse gar nicht kannten, und forderte sie auf, ihn zu widerlegen. Er wartete ihnen mit Tatsachen auf, bremste ihre Ausflüge ins Blaue und holte sie mit seinen Tatsachen auf den festen Boden zurück.

      Wie klar sehe ich die Szene vor mir! Noch jetzt kann ich ihn mit dem kriegerischen Ton in seiner Stimme hören, wie er seine Gegner mit seinen Tatsachen quälte, deren jede ein Peitschenhieb war, und er war unerbittlich. Er verlangte keinen Pardon und gab keinen Dieses Bild ist den Gewohnheiten jener Zeit entnommen. Wenn in den wilden tierischen Kämpfen auf Tod und Leben ein Getroffener die Waffe senkte, war es dem Sieger überlassen, ihn zu erschlagen oder zu schonen.. Nie vergesse ich den Hieb, den er ihnen zum Schlusse versetzte.

      »Sie haben mehrmals, teils offen, teils unbewußt, bewiesen, daß Sie die arbeitende Klasse gar nicht kennen. Aber daraus mache ich Ihnen keinen Vorwurf. Wie könnten Sie etwas von ihr wissen? Sie wohnen nicht mit ihr zusammen. Sie wohnen mit der kapitalistischen Klasse zusammen in andern Gegenden. Und warum nicht? Die kapitalistische Klasse bezahlt Sie, ernährt Sie, gibt Ihnen die Kleidung, die Sie tragen. Und dafür predigen Sie eben die Metaphysik, die Ihren Brotherren angenehm ist. Und diese Metaphysik ist Ihnen wiederum angenehm, weil sie die hergebrachte Gesellschaftsform nicht bedroht.«

      Bei diesen Worten erhob sich lärmender Widerspruch am Tische.

      »Oh, ich stelle Ihre Lauterkeit nicht in Frage«, fuhr Ernst fort. »Sie sind ehrlich. Sie predigen, was Sie glauben. Darin liegt eben Ihre Kraft und Ihr Wert – für die kapitalistische Klasse. Sollten Sie aber Ihrem Glauben irgendeine Richtung geben, die bedrohlich für die bestehende Ordnung wäre, so würde man Ihre Predigten unangenehm empfinden und Sie Ihres Amtes entheben. Hin und wieder geschieht das ja auch wohl, nicht wahr In jener Zeit wurden viele Geistliche aus der Kirche ausgeschlossen, weil sie unannehmbare Lehren predigten. Namentlich geschah das, wenn ihre Predigten einen sozialistischen Einschlag hatten.?«

      Diesmal erhob sich kein Widerspruch. Die Geistlichen saßen stumm ergeben da, und nur Dr. Hammerfield sagte:

      »Wenn ihre Anschauungen unrichtig sind, werden sie ersucht, ihren Abschied zu nehmen.«

      »Mit andern Worten, wenn diese Anschauungen unbequem sind«, antwortete Ernst und fuhr dann fort: »Und darum sage ich Ihnen, machen Sie weiter, predigen Sie und verdienen Sie sich Ihr Geld damit, aber lassen Sie um Himmelswillen die arbeitende Klasse in Frieden. Sie stehen im Lager des Feindes. Sie haben keine Gemeinschaft mit der arbeitenden Klasse. Ihre Hände sind weich von der Arbeit, die andere für Sie getan haben. Sie essen so viel, daß Sie schon Bäuche haben. (Hier fuhr Doktor Ballingford zusammen, und alle Augen richteten sich auf seinen mächtigen Bauch. Man sagte von ihm, daß er seit Jahren seine eigenen Füße nicht mehr gesehen hätte.) Sie haben keine anderen Lehren im Kopfe als die, welche die mächtigen Grundpfeiler der herrschenden Ordnung sind. Sie sind Söldner (ehrliche Söldner, gebe ich zu) genau wie die Leute der Schweizer Garde Die aus fremden Söldnern bestehende Leibgarde Ludwigs XVI., eines Königs von Frankreich, der von seinem Volke enthauptet wurde.

      Bleiben Sie Ihrem Salz und Sold treu. Behüten Sie mit Ihren Predigten die Interessen ihrer Brotherren, aber steigen Sie nicht zur arbeitenden Klasse hinab und dienen ihr als falsche Führer. Als ehrliche Menschen können Sie nicht in zwei Lagern auf einmal stehen. Die arbeitende Klasse ist ohne Sie ausgekommen. Glauben Sie mir, sie wird es auch ferner. Und mehr noch, sie wird besser ohne Sie auskommen.«

      Als die Gäste gegangen waren, warf mein Vater sich auf einen Sessel und brach in ein schallendes Gelächter aus. Seit dem Tode meiner Mutter hatte ich ihn noch nie so lachen hören.

      »Ich wette, Doktor Hammerfield ist noch nie in seinem Leben so aufgebracht gewesen«, lachte er. »›Die Höflichkeit geistlicher Unterhaltung‹! Hast du es bemerkt, wie er sanft wie ein Lamm anfing – Everhard, meine ich –, und wie schnell er zum brüllenden Löwen wurde? Er hat einen glänzend geschulten Geist. Er hätte einen vorzüglichen Wissenschaftler abgegeben, wenn seine Energie in die Richtung gelenkt worden wäre.«

      Ich brauche kaum zu sagen, daß Ernst Everhard mich ungeheuer interessierte. Es war nicht allein das, was er gesagt, und wie er es gesagt hatte, sondern der Mann an sich. Nie war ich einem solchen Manne begegnet. Ich glaube, es kam daher, daß ich trotz meiner vierundzwanzig Jahre noch nicht verheiratet war. Er gefiel mir, das gestand ich mir selber. Und mein Gefallen an ihm beruhte auf Dingen, die jenseits von Intellekt und Argument lagen. Ungeachtet seiner schwellenden Muskeln und seines Preisboxer-Halses machte er auf mich den Eindruck eines geistreichen jungen Mannes. Ich hatte das Gefühl, daß unter der Maske eines intelligenten Eisenfressers ein zarter, empfindsamer Geist lebte. Woher dies Gefühl kam, weiß ich nicht, aber es muß wohl meine weibliche Intuition gewesen sein.

      In dieser tönenden Stimme lag etwas, das mir zu Herzen ging. Sie klang mir noch in den Ohren und ich fühlte, daß ich sie gern wiederhören – und ebensogern das Lachen

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