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      »Sie wissen nichts«, erwiderte er grob.

      »Aber Kinder«, sagte Vater besänftigend.

      »Es ist mir ganz einerlei« – begann ich unwillig, aber Ernst unterbrach mich.

      »Ich glaube, Sie – oder Ihr Vater, was dasselbe ist – haben Geld in den Sierra-Spinnereien angelegt.«

      »Was hat das damit zu tun?« rief ich.

      »Nicht viel«, begann er langsam. »Nur, daß das Gewand, das Sie tragen, mit Blut befleckt ist. Daß die Nahrung, die Sie essen, blutig ist. Daß das Blut kleiner Kinder und starker Männer von Ihren Dachbalken herabtropft. Wenn ich jetzt die Augen schließe, kann ich es immerfort über mir tropfen hören: Tripp, tropp, tripp, tropp.«

      Und indem er die Tat den Worten folgen ließ, schloß er die Augen und lehnte sich in seinem Sessel zurück. Vor Zorn und verletzter Eitelkeit brach ich in Tränen aus. Nie in meinem Leben war man mir so brutal begegnet. Sowohl der Bischof wie mein Vater waren verlegen und bestürzt. Sie versuchten die Unterhaltung in ruhigere Bahnen zu lenken, aber Ernst öffnete die Augen, ließ sie einen Augenblick auf mir ruhen und wandte sich dann ab. Sein Mund war starr und seine Augen auch, und sie lächelten nicht. Was er mir sagen, welche furchtbare Züchtigung er mir angedeihen lassen wollte, habe ich nie erfahren, denn in diesem Augenblick blieb ein Mann, der auf dem Bürgersteig vorbeiging, stehen und sah zu uns herein. Er war groß, ärmlich gekleidet und trug auf dem Rücken eine schwere Last von Rohr- und Bambusständern, Stühlen und Ofenschirmen. Er sah zum Hause herauf, als sei er unschlüssig, ob er eintreten und versuchen sollte, etwas von seiner Ware zu verkaufen.

      »Der Mann heißt Jackson«, sagte Ernst.

      »Mit dem kräftigen Körper sollte er arbeiten und nicht hausieren«, antwortete ich kurz.

      »Sehen Sie seinen linken Ärmel«, sagte Ernst höflich.

      Ich blickte hin und sah, daß der Ärmel leer war.

      »Blut von diesem Arm war es, das ich von Ihren Dachbalken tropfen hörte«, sagte Ernst mit immer gleichbleibender Höflichkeit. »Er verlor seinen Arm in den Sierra-Spinnereien, und wie ein niedergebrochenes Pferd warfen sie ihn zum Sterben auf die Landstraße. Unter »sie« verstehe ich den Generaldirektor und die Beamten, die von Ihnen und den andern Aktionären für die Leitung der Spinnerei bezahlt werden. Es war ein Unfall. Er erlitt ihn bei dem Versuch, der Gesellschaft ein paar Dollar zu retten. Er geriet mit dem Arm zwischen die Zahnräder. Er hätte das Steinchen ruhig lassen können, das er zwischen den Zähnen sah. Es wäre nur eine Reihe von Stiften verbogen worden. Aber er griff nach dem Stein, und dabei wurde sein Arm gepackt und von den Fingerspitzen bis zur Schulter zerfleischt. Es war Nacht. Die Spinnerei machte Überstunden. Sie schütteten damals eine fette Dividende aus. Jackson hatte viele Stunden gearbeitet, seine Muskeln waren erlahmt, und so führten sie die Bewegung ein wenig langsam aus. Deshalb packte ihn die Maschine. Er hat eine Frau und drei Kinder.«

       »Und was tat die Gesellschaft für ihn?« fragte ich darauf.

      »Nichts. Ach ja, doch, etwas tat sie. Sie führte den Prozeß, den Jackson nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus auf Schadenersatz anstrengte, erfolgreich durch. Die Gesellschaft beschäftigt sehr tüchtige Rechtsanwälte, wissen Sie.«

      »Sie haben nicht alles erzählt«, sagte ich mit Überzeugung. »Oder Sie wissen nicht alles. Vielleicht war der Mann unverschämt.«

      »Unverschämt! Ha! Ha!« Sein Lachen war teuflisch. »Du lieber Gott, unverschämt! Mit seinem verstümmelten Arm! Trotz allem war er demütig und bescheiden und dachte gar nicht daran, unverschämt zu sein.«

      »Aber das Gericht«, drängte ich. »Der Prozeß wäre doch nicht zu seinen Ungunsten entschieden worden, wenn nicht noch etwas gewesen wäre, das Sie nicht erwähnt haben.«

      »Der erste Anwalt der Gesellschaft ist Ingram, ein scharfsinniger Jurist.« Ernst sah mich einen Augenblick gespannt an, dann fuhr er fort: »Ich will Ihnen etwas sagen, Fräulein Cunningham. Untersuchen Sie den Fall Jackson.«

      »Das hatte ich mir sowieso vorgenommen«, sagte ich kühl.

      »Schön«, meinte er freundlich. »Und ich will Ihnen sagen, wo Sie den Mann finden können. Aber ich zittere für Sie, wenn ich daran denke, was Sie durch Jacksons Arm erfahren werden.«

      Und so kam es, daß sowohl der Bischof wie ich auf den Vorschlag Ernsts eingingen. Die beiden entfernten sich und ließen mich allein mit dem schmerzlichen Gefühl eines Unrechts, das mir und meiner Klasse angetan war. Dieser Mann war ein wildes Tier. Ich haßte ihn und tröstete mich nur mit dem Gedanken, daß man eben von einem Angehörigen der arbeitenden Klasse kein anderes Benehmen erwarten konnte.

      Ich ließ mir nicht träumen, welch verhängnisvolle Rolle Jacksons Arm in meinem Leben spielen sollte. Jackson selbst machte, als ich ihn aufsuchte, keinen besonders starken Eindruck auf mich. Ich fand ihn in einem wackligen, baufälligen Dieses Wort bezeichnet den Zustand halb zerstörter und verfallener Häuser, in denen große Massen der arbeitenden Bevölkerung in jenen Tagen Unterkunft fanden. Sie zahlten den Grundbesitzern feste und im Verhältnis zum Werte solcher Häuser ungeheure Abgaben. Hause, dicht an der Bucht, am Rande des Sumpfes. Rings um das Haus waren Tümpel stagnierenden Wassers, dessen Oberfläche von grünem fauligen Schlamm bedeckt war, und aus denen ein unerträglicher Gestank aufstieg.

      Ich fand Jackson so demütig und bescheiden, wie Ernst ihn geschildert hatte. Er war mit der Herstellung eines Rohrgeflechts beschäftigt und arbeitete stumpf weiter, während ich mit ihm sprach. Aber trotz seiner Demut und Bescheidenheit glaubte ich in ihm das erste Anzeichen einer keimenden Erbitterung zu entdecken, als er sagte:

      »Man hätte mich aber doch wenigstens als Wächter In jenen Tagen war Diebstahl ungeheuer verbreitet. Jeder stahl vom andern. Die Herren der Gesellschaft stahlen legal, die ärmere Klasse illegal. Nichts war sicher, wenn es nicht bewacht wurde. Riesige Menschenmassen waren als Wächter zum Schutze des Eigentums angestellt. Die Häuser der Wohlhabenden waren eine Kombination von Banksafe und Festung. Die Aneignung der persönlichen Besitzgegenstände anderer durch unsere Kinder in heutiger Zeit ist als ein rudimentäres Überbleibsel des Stehldranges anzusehen, der in jenen frühen Zeiten allgemein war. einstellen sollen.«

      Ich bekam nur wenig aus ihm heraus. Er machte den Eindruck eines Stumpfsinnigen, und doch schien die Gewandtheit, mit der er mit seiner einen Hand arbeitete, seinen Stumpfsinn Lügen zu strafen. Das brachte mich auf einen Gedanken.

      »Wie kam es, daß Ihr Arm in die Maschine geriet?«

      Er warf mir einen langen, forschenden Blick zu und schüttelte dann den Kopf.

      »Ich weiß nicht. Es ist eben passiert.«

      »Fahrlässigkeit?« fragte ich.

      »Nein«, antwortete er. »So kann man es nicht nennen. Ich machte Überstunden und war, glaube ich, etwas übermüdet. In den siebzehn Jahren, die ich in der Spinnerei arbeite, habe ich bemerkt, daß die meisten Unglücksfälle gerade vor Arbeitsschluß Den Arbeitern wurden Beginn und Schluß der Arbeit durch das wilde, nervenzerreißende Kreischen von Dampfpfeifen angezeigt. vorkommen. Ich möchte wetten, daß in der letzten Arbeitsstunde mehr Unfälle vorkommen als während der ganzen übrigen des Tages. Wenn der Mensch stundenlang anstrengend gearbeitet hat, ist er nicht mehr so gewandt. Ich habe zuviele zerlöchert und zerrissen und bis zur Unkenntlichkeit zerfetzt gesehen.«

      »Viele?« forschte ich.

      »Hunderte und Aberhunderte, auch Kinder.«

      Bis auf die schrecklichen Einzelheiten stimmte seine Beschreibung des Unfalls mit der überein, die ich bereits vernommen hatte. Als ich ihn fragte, ob er vielleicht eine der Bedienungsvorschriften der Maschine außer Acht gelassen hätte, schüttelte er den Kopf.

      »Ich riß mit der rechten Hand den Treibriemen ab«, sagte er, »und griff mit der Linken nach dem Steinchen. Ich hielt nicht an, um nachzusehen, ob der

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