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Magdalenas Mosaik. Gabriele Engelbert
Читать онлайн.Название Magdalenas Mosaik
Год выпуска 0
isbn 9783742769664
Автор произведения Gabriele Engelbert
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Möge sie sich diesen kostbaren Schatz stets bewahren!!
Für Fräulein Magdalena Wüst
von Max Horn
Du liebe Güte, sie hatte es ja gewusst: Umständlich! Der gute Max, soviel Mühe hatte er sich gemacht. Sie mochte sich gar nicht ausmalen, wie lange er zu diesen Überlegungen, zu diesem rührend detaillierten Brief gebraucht hatte.
Dass Männer sich am ehesten alle Frauen als gute Mütter mit Kindern und als Hausfrauen wünschten, war ja nichts Neues, aber bei Max überraschte es sie doch etwas. War das seine Verliebtheit? Na klar, verliebt war er sicher, das war ja nicht zu übersehen seit dem Spaziergang neulich durch die Wiesen, als er plötzlich hier in Elbing aufgetaucht war. Immerhin gestand er ihr auch eine andere Zukunft ein, natürlich nicht ohne Warnung, oder wie sollte sie das deuten? Zumindest hatte Max ein Inneres und Äußeres an ihr entdeckt.
Zuerst war sie erschrocken über die Ernsthaftigkeit, die Länge des Schreibens. Aber dann musste sie doch lachen: Er traute ihr also einiges zu, sieh an, wenigstens das. Na, sie würde mal abwarten. Und vielleicht das eine oder andere aus den Briefen im Kopf behalten. Und wenn auch nur für spätere Vergleiche? Was von den Vermutungen würde eintreffen? Was nicht? Was würde das Leben ihr zu knacken geben, was an Herausforderungen und Schwierigkeiten ihr abverlangen?
Und – ja, - war sie nun eigentlich klüger nach diesen erbetenen Charakteristiken, die sie jetzt auf dem Tisch liegen hatte? War sie so, wie die anderen sie sahen? Oder doch anders? Ganz oder teilweise anders vielleicht in irgendeinem geheimen Winkel ihres Ichs?
Tröstlich war jedenfalls der Gedanke, dass sie sich jederzeit ändern konnte. Je nachdem, was so passierte, wem sie begegnete, was sie entdeckte. Oder nicht? Sie war doch immer in ihre Zeit gebunden. Und vermutlich an Orte, Möglichkeiten und Umstände, die sich ergaben.
Ach, du liebe Zeit, nein, sie lachte doch lieber über das ganze Geschreibsel. Fast gegen ihren Willen nahm sie die Blätter allesamt, stopfte sie in einen Umschlag und versteckte sie zuunterst in der Wäschekommode.
Aufbruch im Sturmschritt
Hinter ihr das leise Knarren der Zimmertür. „Sitzt du hier im Dunkeln?“
Lene fuhr auf. Es war doch hell. Sie wies aus dem Fenster und lächelte dem Bruder verschmitzt zu. „Im Abendlicht. Wie es meinem Alter entspricht.“
Ernst zog die buschigen Brauen hoch. „Deinem-Was? Na, wenn du noch Sonne siehst, bin ich sicher längst im Dämmern verschwunden?“
Das bekannte Lächeln, die alte Ironie. Sie wusste, wie er’s meinte. „Also nicht wir zusammen?“ fragte sie mit gespielter Empörung, „Die läppischen 18 Jahre Unterschied sind doch nichts, oder?“
Er faltete seine langen Gliedmaßen in seinem Sessel zusammen, sie ließ sich gegenüber am Schachtischchen in ihren plumpsen. Sie sahen sich an, mussten beide lachen. Lachen half aus allen Gedankenschluchten. Und lag immer dicht unter der Oberfläche ihrer erprobten Zweisamkeit.
„So lange wie wir‘s aushalten“, knurrte er.
„Ach, Enn, wenn ich dich nicht hätte.“ Sie würden es aushalten, das wussten sie, und sie liebten diese altvertraute und inzwischen eingespielte neue Gemeinsamkeit. Das gleiche Holz, dachte Lene. Das gleiche, beständige Ostpreußen-Holz. Und die gleiche Erziehung zu Rücksicht, Selbstdisziplin, Verantwortungsbewusstsein und Loyalität. Ohne das hätten sie die schlimmen Jahre wohl nicht durchgestanden. Immerhin: sie waren übriggeblieben. Sie hatten viel erlebt. An verschiedenen Ecken der Erde. Auch Enn hatte diesen wechselnden Blickwinkel aus der Nähe oder Weite, dazu – oder deswegen - eine gehörige Portion Menschenkenntnis. Und er hatte wohl eine Art innere Ruhe gefunden zwischen seinen Lieben, den lebenden und gestorbenen.
Und ebenso, wieder in der Nähe, waren die gute Lotte und Martha und – mehr nicht. Denn Dore war seit Jahren nicht mehr da und die gute Therese in diesem Frühjahr 1953 auch gestorben. Jedenfalls zwei Schwestern, dazu sie selbst und Enn waren übriggeblieben und hatten wieder zueinander gefunden. Die Familien-Runde von früher war es nicht mehr, stattdessen verändert jetzt die mit den Kindern und sogar Enkeln. Und immerhin wachte auch über diese neue Familien-Runde der Wüst-Vater in Öl, von Enn gemalt natürlich, wachte mit strengem Blick von der Wand überm Kanapee. Hier war die Familie wieder beieinander und hielt eisern zusammen. Je größer der räumliche Abstand zueinander und je schlimmer und schwieriger die Zeiten, desto fester der Zusammenhalt hinterher. Das hatten sie erlebt.
„Und du bist doch der Mittelpunkt von uns allen“, sagte Enn lächelnd, so, als hätte er ihre
Gedanken verfolgt.
„Meinst du?“ Sie überlegte einen Moment, schüttelte dann leicht den Kopf. „Wir beide, Enn, wir beide. Vielleicht, weil wir gleich zwei sind von der alten Familie? Und weil wir als Duo so verschieden sind.“
Das Abendlicht verblasste, schob spielerische letzte Strahlen durchs Laubgeäst der alten Parkbäume. Schon fast menschenleer und stiller geworden lag das matte Grün der kleinen Wiese daunter. Vereinzelte Gestalten eilten noch darüber hin.
Lene erhob sich und wandte sich wieder ihrem Schreibtisch zu. Sie knipste die Lampe an. Schon hatte sie den Stift in der Hand, blickte auf das Papier vor sich. Vorhin hatte sie geblättert, etwas notiert. Erinnerungen? Gedanken-Übungen wie eifriges Lernen früher, ach ja. Mehr noch und immer wieder Gedankenwanderungen zu den Geschwistern, - früher und heute. Das war jene Girlande um ihr eigenes Lebens-Puzzle. Fixpunkte zum Festhalten.
Sie selbst, Lene, hatte viele Menschen kommen und wieder gehen sehen oder verabschieden müssen. Letztere hatten die Furchen gegraben und vertieft, die Lene morgens in ihrem Spiegelgesicht sah. Falten, aber auch Energie sprangen ihr da jeden Morgen entgegen. Jawohl, Energie, die noch nicht ausgedient hatte. Nein, jetzt erst recht nicht. Die Zeiten der Anpassung waren vorbei. Die hatte sie nicht mehr nötig. Manchmal blickte sie ihr Spiegelbild an wie eine Herausforderung: Hatte sie sich früher wirklich so oft untergeordnet? Natürlich, wenn es nötig war, so wie die strenge Erziehung es selbstverständlich machte. Unterordnung mit oft zusammengebissenen Zähnen. Und die dickköpfige Energie immer in der Hinterhand, die Suche nach Schleichwegen zur Auflehnung. Nicht gegen Menschen, sondern immer gegen geltende Regeln und Maßstäbe. Inzwischen war sie wohl viel älter, aber vielleicht nicht viel anders geworden. Früher hatte sogar ihr Vater eines Tages eingesehen, dass seine Jüngste ihren eigenen Weg ging. Nach seinen wiederholten Bitten, Ratschlägen und altersschlauen Vorträgen hatte er ihren Wünschen zugestimmt.
Vielleicht war er selbst ähnlich energisch gewesen? Das hatte sie sowieso immer heimlich gehofft. Aber Vater war ein Mann. Und diese Tatsache hatte immense, nicht zu unterschätzende Unterschiede geschaffen. Und damit Vorteile, die ihm vieles leichter gemacht hatten. Allerdings war von Anfang an mehr von ihm erwartet worden als von ihr, so viel war klar. Vielleicht war das doch nicht so leicht gewesen? Ihr eigener Vorteil dagegen war wahrscheinlich der des von allen geliebten Nesthäkchens.
Ihr fielen die drei ineinander verschlungenen Ebenen der legendären baltischen Armreifen ein. Die drei Dimensionen des Lebens sollten sie verdeutlichen: die eigene Lebenslinie, die Einbindung in die Gesellschaft, Staat und Ordnung, und drittens das göttliche Schicksal. Diese drei Dimensionen seien in jedem Leben untrennbar ineinander verschlungen, so hieß es. Der Gedanke hatte Lene immer fasziniert.
Auch damals