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      Freilich bedarf es eines festen Schrittes, um in die Tiefen der Geschichte hinabzusteigen, einer gewaltigen Stimme, um die Fantome zu befragen, einer Hand, um die Worte niederzuschreiben, die sie diktieren. Die Todesfälle sind zuweilen mit furchtbaren Geheimnissen verbunden, welche der Totengräber mit ihnen in das Grab versenkt. Die Haare Dantes erbleichten bei der Erzählung vom Grafen Ugolino, und seine Augen behielten einen finstern Ausdruck, seine Wangen eine solche Totenblässe, dass die Weiber von Florenz, als Virgil ihn wieder auf die Oberfläche geführt hatte, erkannten, woher der sonderbare Reisende kam; sie zeigten in ihren Kindern und sagten: »Seht Ihr den Mann, der so ernst und traurig vorübergeht? Er ist in die Hölle hinabgestiegen.«

      Auf uns besonders wird dieser Vergleich mit Dante und Virgil anwendbar: das Tor des Gewölbes von Saint Denis, welches sich vor uns öffnen wird, hat wohl was Ähnliches von dem Höllentor; dieselbe Sünde paßt wunderbar auf Beide, und wenn wir die Fackel Dante's trügen und durch die Hand Virgil's geführt würden, so würden wir nicht lange unter den drei königlichen Geschlechtern, welche die Grabgewölbe der alten Abtei bevölkern, zu suchen haben, um irgend einen Mörder zu finden, dessen Verbrechen eben so verdammenswert ist, des Erzbischofs Roger, irgend ein Opfer, dessen Unglück eben so beweinenswert ist, als das des Gefangenen im Hungerturm von Pisa.

      In diesem weiten Beinhause ist besonders ein Grab, vor dem wir nie vorüber gingen, ohne stehen zu bleiben, die Arme zu kreuzen und die Augen zu senken. Es ist in einem Gewölbe zur Linken ein einfaches Denkmal von schwarzem Marmor, auf dem, dicht nebeneinander, zwei Statuen ruhen, die eines Mannes und die einer Frau. Schon seit vier Jahrhunderten ruhen sie so nebeneinander, mit gefalteten Händen betend; denn der Mann bittet Gott um Verzeihung für einen Zorn, die Frau um Gnade für ihren Verrat; denn Ihr müsst wissen, diese beiden Figuren sind die eines Unsinnigen und einer Ehebrecherin; die Narrheit des Einen und die Liebschaften der Andern färbten zwanzig Jahre lang Frankreich mit Blut, und nicht ohne Grund fügte der Griffel den Worten des Grabmales: »Hier ruht König Karl der Vielgeliebte, seines Namens der Sechste, und die Königin Isabelle von Bayern seine Gemahlin« – weiter unten hinzu: »Betet für sie.«

      In Saint Denis also, da wir einmal dort sind, wollen wir die geheimnisvollen Archive der sonderbaren Regierung öffnen, welche, wie einer unserer Dichter sagte: »zwischen der Erscheinung eines Greises und der einer Schäferin stand, und als Denkmal für ihre Dauer nichts hinterließ, als einen bitteren Spott auf das Geschick der Reichen und das Glück der Menschen – das Kartenspiel.«

      Für einige weiße Blätter, die es in diesem Buche gibt, werden wir viele finden, welche rot von Blut, schwarz von Trauer sind; denn Gott wollte, dass hienieden sich alles mit diesen drei Farben färben sollte, die er dem menschlichen Leben als Wappen mit der Devise gab: »Unschuld, Leidenschaft, Tod.«

      Jetzt wollen wir also das Buch, wie Gott das Leben, bei den weißen Blättern öffnen, schnell genug werden wir zu denen des Blutes und der Trauer gelangen.

      I.

      Sonntag, den 20. August des Jahres 13891 strömte schon mit Tagesanbruch eine große Volksmenge auf die Straße hinaus, die von Paris nach Saint Denis führt.

      Madame Isabelle, Tochter des Herzogs Stephan von Bayern, und Gemahlin König Karls VI. sollte als Königin von Frankreich ihren ersten feierlichen Einzug in die Hauptstadt des Reiches halten.

      Um diese Neugier zu rechtfertigen, muss man erwähnen, dass man sich wunderbare Dinge von dieser Prinzess erzählte. Man wusste, dass der König bei dem ersten Zusammentreffen mit ihr, welches an einem Freitag stattfand (15. Juli 1385), leidenschaftlich in sie verliebt geworden wäre, und nur mit Mühe wollte er seinem Oheim, dem Herzog von Burgund, bis zum nächsten Montag Frist geben, die Vorbereitungen zur Vermählung zu treffen.

      Diese Vermählung erweckte übrigens große Hoffnungen im Königreiche. Man wusste, dass der König Karl V. auf seinem Totenbett den Wunsch aus gesprochen hatte, sein Sohn möchte sich mit einer bayrischen Prinzess vermählen, um ein Gegengewicht gegen den Einfluss Richards von England zu gewinnen, der die Schwester des deutschen Königs geheiratet hatte. Die Liebe des jungen Prinzen unterstützte daher wunderbar die letzten Wünsche seines Vaters; überdies hatten die Matronen, welche die Braut untersuchen mussten, den Ausspruch getan, dass sie fähig sei, der Krone Erben zu geben, und nach Verlauf eines Jahres machte die Geburt eines Sohnes ihrer Erfahrung Ehre. Es gab freilich einige Unglückspropheten, wie bei dem Beginn einer jeden Regierung, welche sagten, dass alles zum Schlechtesten ausschlagen würde, denn der Freitag sei ein Unglückstag zu einer Brautwerbung. Aber bis jetzt hatte noch nichts ihren Weissagungen Glauben, verschafft, und hätten sie ihre Stimmen erheben wollen, würden sie schnell vor dem Freudengeschrei des Tages verstummt sein, womit wir unsere Geschichte beginnen.

      Da die Hauptpersonen, welche in dieser Chronik eine Rolle spielen werden, durch ihre Geburt oder ihren Rang berufen sind, an der Seite der Königin oder in deren Gefolge Platz zu nehmen, wollen wir, mit Erlaubnis des Lesers, dem Zuge folgen, der, um sich in Bewegung zu setzen, nur noch die Ankunft des Herzogs von Touraine, Bruder des Königs, erwartete. Die Einen sagten, die Sorge für seinen Putz halte ihn zurück, Andere, eine der Liebe geweihte Nacht.

      Dies wird wenigstens ein bequemes, wenn auch kein neues Mittel fein, mit den Personen und Dingen Bekanntschaft zu machen, und überdies wird es in dem Gemälde, das wir zu entwerfen suchen, einige Details geben, denen es nicht an Eigentümlichkeit und Originalität mangelt.

      Wir sagten also, dass an diesem Sonntage viel Volk auf die Straße nach Saint Denis hinaus strömte; es war wunderbar mit anzusehen, wie die Landstraße mit Männern und Frauen so dicht bedeckt war, wie ein Kornfeld mit Halmen; dieser Vergleich wurde noch passender bei jedem Ereignisse, welche die dichte Menschenmenge hin und her wogen ließ wie ein Kornfeld, denn sie war so dicht gedrängt, dass der geringste Stoß sich gleich der ganzen Masse mitteilte.

      Um elf Uhr ertönte lautes Geschrei und verkündete der allgemeinen Ungeduld, dass endlich et was Neues sich zeigen sollte. Es war die Königin Johanna und die Herzogin von Orleans, ihre Tochter. Mit Hilfe einiger Diener, welche ihnen voranschritten und das Volk mit Prügeln zurücktrieben, bahnten sie sich einen Weg, und damit die Menschenmasse sich hinter ihnen nicht wieder schlösse, besetzte die berittene Elite der Bürgerschaft von Paris, zwölfhundert an der Zahl, beide Seiten der Straße. Die, welche zu dieser Ehrenwache gewählt worden waren, trugen lange seidene Gewänder, grün und rot, und auf dem Haupte Schweifkappen, deren Spitzen auf die Schultern herabfielen, oder gleich Fahnen flatterten, wenn ein Lufthauch die drückende Atmosphäre erfrischte, die durch den Sand, welchen Pferde und Menschen aufwühlten, noch unerträglicher wurde. Durch diese Bewegung zurück gedrängt, ergoss sich das Volk zu beiden Seiten auf das Feld, und die Straße blieb frei. Das alles geschah weit leichter, als es heut zu Tage der Fall fein würde, denn das Volk glaubte, dass es sich geduldig prügeln lassen müsste. Hier suchte es im vollen Laufe die nächsten höheren Punkte zu erreichen, wo man die Straße übersehen konnte. Im Nu waren Bäume und Häuser mit Menschen bedeckt, und vom untersten Aste bis zum Wipfel, vom Erdgeschosse bis zum Dache, reihte sich Kopf an Kopf. Die, welche eine solche Erkletterung nicht wagten, stellten sich hinter den berittenen Bürgern auf; die Weiber erhoben sich auf die Fuß spitzen, die Kinder kletterten auf die Schultern ihrer Väter; die Einen blickten über die Croupen der Pferde hinweg, die Andern durch deren Beine hindurch. Die Art von Unruhe, welche der Durchzug der Königin Johanna und der Herzogin von Orleans, die sich nach dem Justizpalaste begaben, wo der König ihrer wartete, bewirkte, war kaum beseitigt, als man von der Hauptstraße von Saint Denis her die so lange erwartete Sänfte der Königin kommen sah. Das Volk war sehr neugierig, die junge Prinzess zu sehen, die noch nicht neunzehn Jahr alt war, und auf der die Hälfte der Hoffnungen des Reiches ruhte. Der erste Blick, den die Menge auf sie warf, rechtfertigte vielleicht den Ruf der Schönheit nicht, der ihr vorausgegangen war, denn es war eine sonderbare Schönheit, an die man sich erst gewöhnen musste. Das kam aus dem scharfen Kontrast her, den ihr beinah goldblondes Haar mit den glänzend schwarzen Augenbrauen bildete, Diese charakteristischen Zeichen der Geschlechter des Norden und des Süden kreuzten sich in dieser Frau, und verliehen ihrem Herzen die glühenden Leidenschaften einer jungen Italienerin, ihrer Stirn den stolzen Hochmuth einer deutschen Prinzess2.

      Was

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