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eine Aufgabe begegnete ihr hier ... und jetzt?

      »Wollen wir gemeinsam zu ihm gehen?«, fragte sie schließlich sowohl Martha als auch Dr. Berg.

      Martha nickte. Und Dr. Berg erwiderte spontan: »Gewiss, wenn Sie es möchten, Komtess.«

      Wie es schien, war er tatsächlich der Freund, als den ihn ihre Mutter beschrieben hatte. Das beruhigte Laura.

      Gemeinsam gingen sie die breite geschwungene Treppe in die erste Etage hinauf und betraten das Zimmer ihres Vaters, des Grafen von Heimenstein, der in einem Buch las. Und sie überbrachten ihm die Nachricht vom Tod seiner Frau. Sie hatten einen schlechten Moment erwischt, er konnte sich nicht an seine Frau erinnern.

      Auch Laura, seine Tochter, war ihm fremd. Und ohne sich weiter um die Anwesenden zu kümmern, blätterte er hastig vier Seiten zurück und las unnatürlich angestrengt den Text vielleicht ein zweites oder drittes Mal.

      Als Laura in Begleitung von Martha und Dr. Berg das Zimmer wieder verließ, hatte sie das Gefühl, völlig allein zu sein. Ohne Eltern. Geschwister hatte sie nicht. Und irgendwelche Verwandten lebten nicht in der Nähe. Und sie bekam Angst. Ihr wurde kalt.

      Martha, die nun seit über dreißig Jahre die Haushälterin des Guts war, die Laura bereits als Baby mitversorgt hatte, spürte das Unwohlsein der jungen Frau.

      »Wir schaffen das schon, meine Kleine«, sagte sie und drückte die junge Frau fest an sich. Laura genoss es für einen kurzen Moment. Doch sie wusste genau, dass ihr schwere Tage bevorstanden.

      Sehr schwere Tage.

      4

      Zur Beisetzung der Gräfin Ilona von Heimenstein waren alle gekommen. Verwandte, Bekannte, der Bürgermeister und die Bewohner von Heimenstein. Bedeutungsvolle Worte wurden gesprochen, aufrichtige Beileidsbekundungen zum Ausdruck gebracht, Mitgefühl bekundet und Hilfe an geboten. Doch was die Komtess innerlich bewegte, blieb den Anwesenden verborgen.

      Laura ließ die Beisetzungszeremonie über sich ergehen. Sie achtete auf ihren Vater, der in der Zwischenzeit zwar einige klare Momente gehabt hat, aber jetzt offensichtlich doch nicht so recht begriff, was um ihn herum geschah. Harald Graf von Heimenstein hatte sich bei seiner Tochter untergehakt und doch war nicht erkennbar, wer wen stützte.

      »Ich werde meinen Vater nach Hause bringen. Martha, könntest du dich um alles Weitere hier kümmern?«, fragte Laura, nachdem die Beisetzung beendet war.

      »Selbstverständlich. Geh nur«, antwortete Martha knapp.

      Man hatte in Heimenstein, im Café ›Mozart‹, zu einem Kaffeetrinken geladen. Laura fühlte sich nicht in der Lage, daran teilzunehmen. Und ihrem Vater wollte sie den Trubel nicht zumuten.

      »Darf ich Sie nach Hause begleiten?«, fragte Dr. Berg, der die ganze Zeit stumm, in angemessener Entfernung, hinter der Komtess gestanden hatte.

      »Herzlichen Dank, aber das ist nicht nötig. Außerdem bin ich mit dem Wagen meiner Eltern hier.«

      »Wenn Sie mir aber kurz noch gestatten, Komtess, möchte ich Ihnen gern meinen Sohn vorstellen. Er wird sich in Zukunft um ihre Angelegenheiten kümmern.

      Wann immer sie eine Auskunft benötigen, er wird für Sie da sein«, sagte Dr. Berg und fügte sogleich hinzu: »Unnötig zu sagen, dass ich Ihnen selbstverständlich auch weiterhin zur Verfügung. Jederzeit. Wenn Sie es wünschen.«

      Laura verstand nicht gleich, sah sich aber unvermittelt einer ausgestreckten Hand gegenüber.

      »Mein Name ist Maximilian Berg. Ich möchte Ihnen nochmals mein tiefes Mitgefühl zum Ausdruck bringen.«

      Ohne genau hinzusehen, ein wenig oberflächlich, reichte Laura dem jungen Mann die Hand. Doch im Moment ... ihre Hand in seiner ... spürte Laura eine entschiedene Kraft und eine verborgene Zärtlichkeit, die von dieser fremden Hand ausging. Konnte so etwas sein? Sie hob den Blick und sah Maximilian Berg an. Sie schaute einen langen Moment in das markant geschnittene Gesicht eines Mannes von etwa dreißig Jahren, der ihren Blick besonnen erwiderte. Seine dunkelblonden Haare, halblang geschnitten, seine blauen Augen, freundlich blickend, sein Mund, aufrichtig anteilnehmend, schienen voller Sympathie. Er war einen halben Kopf größer sie und wirkte sportlich durchtrainiert unter seinem schwarzen Anzug.

      Ohne sich dessen bewusst zu sein, genoss sie diesen Händedruck, schien er ihr Kraft zu geben.

      »Ich danke Ihnen für Ihr Mitgefühl. Wenn Sie mich jetzt aber bitte entschuldigen würden.«

      Ihr Vater wurde unruhig und presste sich, eingehakt, an Laura. Die vielen Menschen schienen ihn zu verwirren. Sie wollte nur noch behänd mit ihm nach Hause. Er brauchte seine Ruhe.

      »Hier ist meine Karte. Wenn Sie Hilfe brauchen, ich stehe Ihnen jederzeit zur Verfügung.«

      »Ich danke Ihnen nochmals, aber ich muss jetzt los.«

      »Soll ich Sie begleiten?«

      Maximilian Berg sah sie auffordernd an. Laura von Heimenstein nahm die Visitenkarte und schüttelte unmerklich den Kopf. Sie wollte weg, nach Hause, sie wollte endlich allein sein. Sah man das nicht?

      Maximilian Berg schien zu spüren, dass er wohl einen Schritt zu weit gegangen war. Doch, noch bevor er reagieren konnte, bevor er sich entschuldigen konnte, erklang eine Stimme hinter ihnen. Männlich. Bestimmend.

      »Das übernehme ich.«

      Überrascht drehten sich beide um. Hanno Graf von Theuersdorff trat langsam auf sie zu. Er war schlank, eine Nuance größer als Maximilian Berg und sein Blick, bedächtig und aufmerksam, verbreitete endloses Mitgefühl.

      »Hanno!«, stieß Laura hervor. Der unerwartete Anblick des Mannes, der ihr Herz vor Jahren zärtlich berührt hatte, der es aber auch in der Zeit ihrer Gemeinsamkeit wieder und wieder gepeinigt hatte, verwirrte sie.

      Im ersten Moment freute sie sich, ihn zu sehen, doch im gleichen Moment wurde ihr schmerzlich bewusst, dass er der andere Grund für ihr Weggehen gewesen war. Vor drei Jahren hatte sie auch seinetwegen unbedingt gehen müssen. Wie sinnlos das war, spürte sie augenblicklich: Die vergrabenen Gefühle ... Alles war wieder da.

      War alles umsonst gewesen? Würde ihr Herz diesen Mann nie loslassen?

      Hanno Graf von Theuersdorff war noch keine dreißig Jahre alt, hatte aber schon vor acht Jahren, bedingt durch den plötzlichen Unfalltod seiner Eltern, das gräfliche Gut derer von Theuersdorff übernehmen müssen.

      Und vor fünf Jahren hatte es begonnen – zwischen ihnen. Eine erste kurze Romanze und doch ... es war Liebe gewesen. Zumindest für Laura.

      Gleichwohl, wie aus dem Nichts, ohne ein Wort darüber zu verlieren, war Hanno damals irgendwann einfach verschwunden. Tage später, nachdem er wieder aufgetaucht war, ohne sich zu erklären, beteuerte er ihr lediglich seine Liebe. Und Laura hatte ihm geglaubt, hatte ihm glauben wollen - sie hatte ihn geliebt.

      Und so erlebten sie eine wunderschöne Zeit. Aber dieses Verschwinden wiederholte sich ... und wiederholte sich ... und wiederholte sich. Nie sagte er etwas. Nie gab es eine Erklärung. Laura vermutete eine andere Frau hinter all dem. Doch immer wieder beteuerte er ihr seine Liebe. Am Ende fehlte ihr die Kraft, ihm weiterhin glauben zu können. Aus der Liebe schöpfte sie keine Kraft mehr. Schließlich hatte sie einfach nur noch weggewollt.

      Und heute?

      Laura brauchte einen Freund, einen Menschen, der ihr vertraut war und der ihren entsetzlichen Schicksalsschlag aus eigenem Unglück nachempfinden konnte. Am Ende ließ sie ihre Freude, ihn wiederzusehen, auch deshalb zu. Und vielleicht ... Vielleicht war ja nun auch alles ganz anders? Nach drei Jahren. Vielleicht!

      »Soll ich gleich mal zu dir kommen?«, fragte Hanno.

      »Gern«, gab Laura zurück und wandte sich dann an Maximilian Berg: »Tut mir leid, Herr Berg. Ich muss jetzt los ... allein ... Mein Vater ... Ich hoffe, Sie sind mir nicht böse.«

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