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deiner hirntoten Aktion am Grünen Felsen. Also hilfst du mir da auch wieder raus.“

      Grüner Felsen? Die Stimme kommt mir bekannt vor. Ist das etwa der Depp, der meine Bank wollte? Der mir meinen Abgang versaut hat? Was will der hier? Na, der kann lange warten. Tut er auch.

      „Jetzt hör mal gut zu. Die glauben, ich hätte dich da runtergestoßen. Ich hab jetzt eine Anklage am Hals, ich weiß noch nicht mal, ob das nur schwere Körperverletzung wird oder versuchter Mord. Aber du weißt so gut wie ich, dass das nicht stimmt.“

      Ich weiß gar nichts, will nichts wissen. Was gehen mich die Probleme von dem Typen an, der mir meinen nun doch nicht letzten Abend versaut hat? Soll er doch sitzen dafür, geschieht ihm Recht.

      Das geht aber jetzt ein bisschen weit, meine Liebe, höre ich die Stimme des Großen Zensors. Wo kommt der auf einmal her? Den hatte ich gar nicht vermisst. Aber jetzt, wo er wieder da ist, vermisse ich mein stählernes Monster. Hm.

      „Also, was ist jetzt?“

      Der Typ geht mir auf die Nerven. Ich kann mich nicht erinnern, dass er und ich befreundet sind oder ich ihm in irgendeiner Weise verpflichtet bin. Was glaubt der eigentlich? Mal wieder einer, der denkt, nur weil ich im Mutter-Alter bin, heiße ich Theresa?

      Leck mich, würde mein Sohn Paul jetzt sagen. Leck mich leck mich leck mich.

      Du kommst ja ganz schön runter, kommentiert der Große Zensor mit süffisantem Unterton. Das hättest du wohl gerne, was?

      Ich beginne mir ernstlich Sorgen zu machen. Wenn jetzt schon der Zensor zotig wird, wo soll das alles noch hingehen? In jedem Falle ist mir der Pseudo-Rocker aber keine Bereicherung. Ich leide ein ganz kleines bisschen unter meiner akinetischen Ringelnatter-Lage. Bewegungslosigkeit ist aufs Ganze gesehen die beste Taktik, die ich habe, doch man ist doch ziemlich ausgesetzt, wenn man sich jegliche Reaktion auf seine Gäste verkneift. Anschreien wäre vielleicht eine schneller wirksame Aktion. Aber man kann es sich nicht immer aussuchen, schätze ich. Ich drehe die Augen auf halb acht und warte. Er wartet auch.

      „Hey, du bist meine letzte Chance! Hat mich ganz schön was gekostet, dich hier aufzuspüren, und jetzt machst du einen auf hirntot. Das macht mich echt fertig, du musst mir einfach helfen!“

      Er klingt ein bisschen verzweifelt. Soll er doch verzweifeln. Alle mütterlichen Gefühle, die ich je hatte, sind aufgebraucht.

      Er bleibt eine ganze Weile an meinem Bett sitzen.

      „Guten Tag, junger Mann“, mischt sich jetzt meine Bettnachbarin ein. „Das ist ja eine nette Überraschung, dass Sie hier im Damenschlafsaal auftauchen. Sie sind mir ja ein ganz schlimmer Finger, eieiei.“

      Mein ungebetener Gast windet sich vor Verlegenheit. Ich hätte jetzt doch Lust, die Augen aufzumachen und zu sehen, wie das greise Schulmädchen ihren vermeintlichen Verehrer empfängt, aber ich lasse es bleiben.

      Der Typ sagt nichts, doch die Seniorin frönt weiter ihrer Vergnügungssucht.

      „Wie wäre es mit einem Tänzchen? Heute ist bestimmt Offener Abend in der Tanzschule Dieterle, wie wäre es, wenn Sie mich ausführen?“

      Mein Besucher räuspert sich.

      „Ein anderes Mal vielleicht, meine Liebe“, sagt er in erstaunlich freundlichem Ton. Hat der Humor? Hätte ich ihm gar nicht zugetraut.

      Ich höre das Knarren seiner Lederjacke, dann spüre ich fette On Ear Kopfhörer auf meinen Ohren.

      „Ich lass dir mal eine Runde Musik da zum runterkommen. Das Zeug ist uralt, wahrscheinlich sogar vor deiner Zeit, aber geht extrem ab.“

      Das rhythmische Klopfen eines Herzschlags dringt durch die Kopfhörer, dann ein Weckerticken, ein Mann spricht etwas Unverständliches, ein verrücktes Lachen, das Klingeln einer Kasse.

      „Der Song heißt Speak to me, und ich mein das so. Ich komm in einer Stunde wieder vorbei.“

      Er steht von meiner Bettkante auf und lässt mich allein in einem psychedelischen Tauchbad.

      Look around, choose your own ground, wabert es mir ins Ohr.

      Ich erinnere mich daran, wie ich diese Musik zum ersten Mal gehört habe. Ich war vierzehn oder fünfzehn und litt wie ein Hund darunter, dass ich zu spät geboren war. Die wirklichen Hippies waren ausgestorben, ersetzt durch Popper mit Karottenhosen und fiesen Frisuren. Wrangler Jeans und Lacoste Polos dominierten mein Umfeld. Ich kam mit langem Wickelrock und Jesus Latschen in die Schule und fand mich Fake.

      Heute ist es ganz normal aus allen musikalischen Zeiten zu fleddern. Hippie heißt jetzt Vintage und ist eine Modeströmung wie jede andere auch. Eigentlich gar nicht schlecht. Authentizität ist auch nur ein Dogma.

      All you touch and all you see is all your life will ever be.

      Eine Zeitlang versuche ich mich zu sperren, aber die Kopfhörer absetzen will ich auch nicht. Ich hatte ganz vergessen, was Musik sein kann, und um ehrlich zu sein, diese verrückte akustische Tour durch alle möglichen Räume, Gärten und fremde Köpfe funktioniert. Perfekte Hypnose.

      The lunatic is in my head, und es macht Spaß.

      Was wäre, wenn ich das Totsein noch eine Weile aufschieben würde?

      So ein Quatsch, sagt der Große Zensor. Du würdest dir bloß wieder Hoffnungen machen. Das hatten wir doch alles schon. Willst du etwa wieder zurück in dein Familienleben, Vorstadt, Vorhersehbarkeit und alles wie bisher?

      Ich gebe ihm Recht und versinke im Sound.

      Doch als der Typ wieder ins Zimmer kommt, höre ich mich sagen:

      Ich sage für dich aus, wenn du mich hier rausholst.

      Hank

      Hat die das gerade wirklich gesagt? Ich soll sie hier rausholen? Die tickt ja wohl nicht mehr richtig. Tut ja gerade so als sei sie im Knast, nicht ich. Ist ja wohl ihr ganz persönliches Hobby, wenn die da rumliegen und an die Decke starren will. Soll sie doch einfach aufhören mit dem Scheiß und gut ist.

      Ich schaue sie nur an, schüttle den Kopf und gehe.

      Auf dem Weg zu meinem Moped werde ich ernstlich sauer. Wieso muss gerade mir so etwas passieren? Ich wollte einfach nur ein bisschen abhängen da oben am Felsen, und die haut mein ganzes Leben kurz und klein, für nichts und wieder nichts.

      Und sowieso. Wie soll ich die denn aus der Klatsche rauskriegen, wie stellt die sich das vor? Da ist doch alles voll mit Pflegern oder Wärtern oder was weiß ich wie man die nennt. Soll ich einfach mit ihr an denen vorbei spazieren und dabei freundlich nicken oder was? Vor allem kann ich mir echt nichts mehr leisten. Bin ja nur auf Bewährung draußen. Matthias hat echt einen Haufen Kohle für mich hingeblättert. Da werde ich ja wohl keine krummen Dinger drehen, nur weil sie hier unbedingt einen auf scheintot machen will.

      Ist sowieso ganz unfasslich, dass der Typ von meiner Mutter das gemacht hat. Soll bloß nicht denken, dass ich ihm dafür auf ewig dankbar bin. Aber andererseits, ich weiß nicht, wie lange ich es da drinnen noch ausgehalten hätte. Man denkt sich das immer so lustig, dass Knast einfach Urlaub vom Alltag ist, wenn man nur cool genug bleibt. Aber so ist es nicht. Knast ist einfach Panik pur.

      Gibt es irgendwas anderes, mit dem ich sie überreden könnte? Oder besser noch, zwingen?

      Der Park hier ist ja ganz nett, finde ich, wenn man auf sowas steht. Ich laufe einige Schritte und begegne Familienangehörigen, die ihre Verrückten ausführen. Ich setze mich auf eine Bank und schaue zu. Eine Mutter mit zwei kleinen Kindern führt einen Mann spazieren. Der stolpert über einen winzigen Stein, verliert den Schuh und setzt sich auf den Boden. Der Typ heult. Die beiden Kinder heulen auch. Die Frau hat ein versteinertes Gesicht, und das ist auch verständlich. Wahrscheinlich würde sie sonst auch heulen, aber einer muss ja alles im Griff haben, und im Moment ist leider niemand da außer ihr, der das hinkriegen würde. Sie zerrt den Mann auf eine Bank, setzt die Kinder daneben und sediert sie mit Gummibärchen aus ihrer Handtasche. Dann versucht

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