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gestreifte Kreta-Decke mitzunehmen war eine kluge Entscheidung. Es ist zwar Sommer, aber da oben auf dem Grünen Felsen ist immer Wind. Es war schon kalt, als ich hier angekommen bin, und seit die Sonne untergegangen ist, hat sich die Luft noch weiter abgekühlt. Ein eiskalter Abgang mitten im Sommer, würde ich sagen.

      Ich habe mir immer vorgemacht, dass hier auf der Erde das Gesetz der Schwerkraft gilt. Aber eigentlich weiß ich es besser. In meinen Träumen gab es kein Gesetz der Schwerkraft. Denn überall, wo ich lief, um zu entkommen, brach der Boden unter mir weg. Überall, wo das Stahlmonster mit seiner ganzen Masse entlang stampfte, blieb er stabil. Der Traum endete jedes Mal damit, dass ich einbrach. Und abstürzte, durch so eine Art Kanal ohne Gullideckel. Und starb. Und mich unten in einer Hölle wiederfand, die aussah wie eine düstere Kirche mit gotischen Bögen und beunruhigenden Bildern von grausamen Handlungen auf den Glasscheiben.

      Als ich größer wurde, trieb noch eine Menge anderes Pack durch mein Bewusstsein, bevor das Monster kam. Zwei als altes Ehepaar getarnte Aliens kamen regelmäßig vorbei. Sie wollte, dass ich mitkomme. Er sagte gar nichts. Ich auch nicht, aber ich hatte Angst.

      Erst in der Pubertät fand ich ein Mittel dagegen: Bier. Bier half gegen das Allermeiste. Bier war die perfekte Selbstmedikation, sedierend, ausgleichend, geselligkeitsfördernd. Meine neuen Freunde in der Bahnhofskneipe hatten gar keinen Job oder arbeiteten auf dem Bau. Ihre Witze waren billig, aber wenn ich mit ihnen zusammen war, fühlte ich mich gut. Es gab nichts, was ich hätte tun müssen, damit sie mich okay fanden. In ihrem Bierdunst waren sie indifferent genug, dass ich nichts falsch machen konnte.

      Unser Nachbar damals war das, was man einen Rocker nennt, auch wenn er keiner Rockerclique angehörte. Eines Abends fragte er mich in der Kneipe: Willst du mit mir schlafen? Ich sagte: Nö, aber du könntest mich heimfahren. Hat er gemacht. War eigentlich ganz lustig so.

      Damals hat mein Großer Zensor ordentlich eins auf die Zwölf gekriegt. In meinem sehr entschiedenen Ich-will-tot-sein-Modus hatte er gar nichts mehr zu melden. Ich will jetzt mal nicht über bewusstseinserweiternde Rauchwaren nachdenken. Und auch nicht über das, was danach kam, über meinen Freund mit den durchlöcherten Armvenen. Aber leider ist auch er ein rosa Elefant und das Bild von ihm hält sich hartnäckig vor meinem inneren Auge, wie er in meinem Zimmer im Stuttgarter Westen sitzt und Ziggy Stardust mitsingt.

      Ich habe mir sagen lassen, er hatte Aids und ist in einer Tübinger Ausnüchterungszelle an seiner Kotze erstickt. Warum muss der Typ, mit dem ich mich damals am meisten verbunden fühlte, ausgerechnet ein aidskranker Fixer sein? Warum kann sich in meinem Leben nicht auch mal ein regenbogenglitzerndes Traumbild aus nem Frauenroman zeigen, so ein Prinz, oder ein junger, einsamer, gut aussehender Arzt oder so?

      Keine Ahnung. Wenn ich so darüber nachdenke, muss ich zugeben, dass mein Leben ohne Zensor auch nicht wirklich vergnüglich war. Schade, ich dachte schon, ich könnte alles auf ihn schieben.

      Der nächste Schluck schmeckt komisch. Ich dachte immer, Halluzinationen kriegt man nur von Ouzo. Ich hatte mich extra für Whisky entschieden, weil sich da einbilden kann, noch komplett klar im Kopf zu sein, auch wenn man schon nicht mehr gehen kann.

      Aber ich bin mir fast sicher, dass da hinten im Dunkeln was ist. Ich hätte nicht an das Kettenmonster denken sollen. Dreck, nicht einmal heute Abend kann ich aufhören zu denken, dass ich was nicht denken soll. Dabei hatte ich es mir so fest vorgenommen.

      Einen kurzen Moment bin ich fast froh, als ich hinten im Wald Motorengeräusche höre. Aber nur einen kurzen Moment, denn froh sein gehört nicht zum Programm heute. Sagen wir mal erleichtert. Und auch die Erleichterung hält nur wenige Millisekunden an. Vielleicht wäre das Monster die bessere Gesellschaft im Vergleich zu den Jungs, die jetzt mit ihren Mopeds über den Waldweg cruisen. Können die nicht gepflegt auf einem Rewe-Parkplatz abhängen wie andere Versager auch?

      Etwas Ähnliches scheinen sie über mich zu denken. Sie steigen von ihren Maschinen ab und beäugen mich misstrauisch.

      „He, Alte“, sagt der eine. „Das ist unser Platz.“

      Ich sage gar nichts und schaue an ihnen vorbei. An diesem letzten Abend kann nicht mehr viel schiefgehen. Das hier ist mein Revier.

      Der Typ kommt näher.

      „Hau schon ab.“

      Er zögert. Ich starre auf die Schlüsselkette an seiner Jeans. Peinlich sowas. Wenn er älter wäre, hätte er wahrscheinlich so ein Gürteltäschchen für sein Handy. Schlüsselkette als Nerd-Accessoir für Jungspießer, die cool sein wollen und es niemals hinkriegen werden.

      Ich verschränke die Arme.

      „Heute ist mein letzter Abend, und den lasse ich mir von dir nicht versauen.“

      Er schaut ein bisschen irritiert, aber offensichtlich kommt die Information nicht richtig bei ihm an. Er macht eine Kopfbewegung, die mich von meiner Bank vertreiben soll und knurrt:

      „Jetzt mach schon“.

      „Ich mache noch früh genug den Abgang, und jetzt hör auf zu nerven.“

      Ich denke mir, dass ich mir ein weniger abgedroschenes Abschiedsgespräch gewünscht hätte. Aber die perfekten Abschiede gibt es eben nicht bei mir. Ich werde langsam ernstlich sauer, weil so hatte ich mir das nicht vorgestellt.

      Ich erinnere mich an früher, als ich meiner verratzten Lederjacke durch die Stadt gezogen bin und mich gefährlich gefühlt habe. Hat gewirkt, warum weiß ich auch nicht. Ich bin nie ernsthaft angegangen worden. Wenn einer was versucht hat bei mir, bin ich sofort komplett ausgerastet, und die Wirkung war jedes Mal durchschlagend.

      Der Typ und seine Lakaien stehen jetzt direkt vor mir. Ich hatte gedacht, das seien Jugendliche, aber zumindest der Wortführer ist mindestens Mitte zwanzig. Hat der nichts Besseres zu tun?

      „Jetzt verpiss dich schon, Mutti.“

      Einer der anderen Jungs geht zu ihm hin:

      „Jetzt mach mal halblang Hank. Die stört uns doch nicht.“ Doch Hank bleibt wo er ist. Vielleicht ist er auch gar nicht da. Vielleicht ist es in Wirklichkeit der Kettenmann, der sich als Berufsjugendlicher verkleidet. Denn der Kettenmann ist hier. Ich habe ihn vorhin schon gesehen. Das hier ist natürlich der Kettenmann in Verkleidung. Schlüsselkette. Typ. Monster. Ich komme durcheinander, kann es nicht wirklich unterscheiden, und der Whisky in meinem System ist auch keine wirkliche Hilfe. Doch wer dieser Typ auch ist, dieses Mal gewinne ich.

      Die Lederjacke habe ich nicht dabei, aber in einem Anfall von Selbstüberschätzung setze ich den Bösen Blick auf, meinen berüchtigten ich-bring-dich-um-Blick. Ist zwar nichts dahinter, aber meiner Erfahrung nach wirkt er unberechenbar bis verstörend. Ich stehe auf. Und tatsächlich, der Typ gerät ins Schwanken.

      Natürlich nicht. Natürlich gerät er nicht ins Schwanken.

      Die einzige, die hier ins Schwanken gerät, bin ich selbst.

      Ich bin nicht Jessica Jones. Ich kann keine halbe Flasche Whisky trinken, dann einen Fall lösen und dabei meine Superkräfte spielen lassen. Ich bin nur Ida, mittelmäßig in allem, auch im Trinken.

      Ich torkle los, direkt auf ihn zu. Wo er steht, ist der Boden fest. Wo ich hingehe, geht es abwärts. Für mich gilt das Gesetz der Schwerkraft.

      „Sag mal, Alte, bist du bescheuert?“

      Dann ist der Boden weg.

      Hank

      Vielen Dank, du Verrückte! Wegen dir sitz ich jetzt hier drin. Vier Wände. Acht Quadratmeter. Ein Fenster so weit oben, dass ich nicht rausschauen kann. Alles gekachelt, so dass man sich vorkommt wie im Schlachthaus. Das machen die sicher mit Absicht so, Zermürbungstaktik zur Vorbereitung eines Geständnisses. Aber ist natürlich super praktisch, auf der anderen Seite. Wenn ich ihnen die Bude vollkotzen würde, könnten sie einfach einmal mit dem Schlauch durch und fertig. Ich frag mich, wie oft die das wohl schon gemacht haben. Wieviele Schichten Kotze wohl schon hier drauf waren und mehr schlecht als recht wieder abgewaschen

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