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mit dem Café damals war schon eine gute Idee“, gestand er.

      „Hä“, fuhr Ernst in zornesrot an.

      „Ja, war es“, bekräftigte Karl. „So hatten wir die Möglichkeit, uns alle ein wenig kennenzulernen.“

      „Auf die Bekanntschaft hätte ich verzichten können“, grummelte Ernst.

      „Die Menschen sind da und wir müssen’s irgendwie hinkriegen. Sie bleiben ja nicht für ewig“, bemerkte Karl.

      „Wer’s glaubt“, zischte Ernst.

      „Dreiundsiebzig sind für ein Dorf wie das unsrige eigentlich ja ein Klacks“, behauptete Jörg.

      Ernst schlug mit der Faust auf den Tisch und setzte gerade an, als Karl beruhigend die Hände hob und Ernst zuerst tief Luft holte, bevor er dann doch losdonnerte: „Klar, das sind sie alle! Da kommt ganz sicher niemand mehr!“

      „Ernstsche, Schnäpsje“, rief Petra von der Theke rüber, nachdem Karls Beschwichtigungsversuch offenbar gescheitert war.

      „Ja, Petrasche, breng mer’n Schnäpsje“, nahm er kopfschüttelnd das Angebot an.

      „Bringste mir auch einen“, fragte ein Herr aus der Doppelkopfrunde.

      „Nä, den han esch nur fä de Ernst, wenn de Ernst sich widder su offrecht“, lachte Petra und kam mit einem Kümmel.

      „Danke, Petra, dau beßn Schatz“, zwinkerte Ernst ihr zu.

      „Lass dat awer net et Brigitte wisse, gell“, ermahnte sie im Fortgehen.

      „Nä, niemols, Petrasche, dat blejvt onner oß“, prustete Ernst, schnappte das Gläschen und kippte den Schnaps hinunter.

      „Dä! Schon leer“, grinste er.

      Jörg betrachtete ihn halb belustigt, halb entsetzt.

      „Was ist? Das ist noch nichts für dich, Bubi“, wieherte Ernst los und der Bart wippte erneut, als höbe er gleich ab.

      „Bevor ihr’s durch Gerüchte erfahrt,“, verhinderte Karl die sich anbahnende zweite Diskussionsrunde, „es werden in der Tat noch einige kommen…“

      „Was? Wie viel“, löcherte ihn Ernst prompt.

      Die Doppelkopfspieler legten ihre Karten nieder und blickten allesamt zum Bürgermeister.

      „Ich muss morgen zum Verbandsbürgermeister. Er hat mich gestern angerufen und mir mitgeteilt, dass unserem Verband das nächste Kontingent zugeteilt werden wird. Weil drei Viertel bisher in der Stadt untergebracht sind, müsse der nächste Bus nach Quelmbach…“

      „Und wieso nicht in die anderen Dörfer“, erkundigte sich Ernst.

      „Die sind zu klein. Da gibt’s doch keinerlei Einkaufsmöglichkeiten. Hier kannst du wenigstens den Grundbedarf decken, also werden die meisten auf die Stadt verteilt und eben ein Viertel bis zu einem Drittel bei uns.“

      „Wie viele sind’s denn“, griff Jörg Ernsts Frage auf.

      „Etwa dreißig. Mehr weiß ich nicht. Wann sie kommen und alles andere erfahre ich erst morgen, da habe ich das Gespräch auf der Verwaltung“, antwortete Karl.

      „Petra,“, brach es aus Ernst hervor, „breng mer noch äns!“

      „Mir och“, meinte Bernd Häuslich von den Doppelkopflern.

      „Komm, schmeiß mo’n‘ ganz‘ Runn, Petra, giet off mesch“, forderte Josef Braun, ohne dass Petra zu Worte kam.

      Sie nickte und machte das Tablett parat.

      „Das ist zu viel“, keifte Ernst.

      „Dreißig sind doch nichts“, meinte Jörg.

      „Für dich natürlich nicht! Du würdest ja auch zwei-, drei- oder vierhundert nicht viel finden“, unterstellte ihm Ernst.

      Karl drehte unentwegt seine Pilstulpe. Der Schaum hatte sich längst aufgelöst, bloß zwei kleine Flöckchen trieben noch auf dem goldgelben Gerstensaft. Warum mutete Karl sich das eigentlich überhaupt zu? Seit Wochen blafften sich Ernst und Jörg nur an und trotzdem kamen sie jeden Donnerstagabend hier zusammen. Macht der Gewohnheit? Langeweile? – Womöglich war es einfach nur die jahrzehntelange Verbundenheit, die sich – wie der Bierschaum –langsam, ganz langsam auflöste, bis vielleicht nicht einmal Flocken übrigblieben…

      „Ich trage diese Idee schon länger in mir, aber jetzt halte ich den Zeitpunkt für gekommen: Ich werde eine Bürgerinitiative gründen – ‚Quelmbach ist bunt‘“, verkündete Jörg. „Auf diese Weise können wir die bisherige Hilfe besser koordinieren und den Flüchtlingen das Einleben erleichtern“, wandte er sich an Karl.

      „Das halte ich für sinnvoll. Bisher läuft das alles ein wenig durcheinander. Angesichts der Zahlen wäre ein wenig Koordination ganz gut. Das kann ich allerdings nicht bewerkstelligen. Ich hab privat, beruflich und mit meiner Bürgermeisterei genug an der Backe.“

      „Das kann ich verstehen. Ich mache das. Auch in Quelmbach wollen wir Willkommenskultur leben“, erklärte Jörg.

      „Dann bind aber die Adelheid mit ein,“, legte ihm Karl nahe, „die gibt denen mit zwei anderen Rentnerinnen ja von Beginn an bereits Deutschstunden.“

      „Kein Problem, mit der stehe ich längst in Kontakt. Es werden sich sicher weitere finden…“

      „Ich ganz bestimmt nicht“, platzte Ernst ihm in seine Ausführungen. „Ich hege ebenfalls seit einiger Zeit den Gedanken an die Gründung einer Bürgerinitiative – ‚Quelmbach bleibt Quelmbach‘! Es werden sich ganz sicher weitere finden!“

      Bevor Jörg kontern konnte, hatte Karl sein Glas geleert, klopfte beiden auf die Schulter und verabschiedete sich: „Jungs, ich muss. Macht es gut, bis die Tage.“

      Kaum hatte er es gesprochen, war er auf dem Weg ins Freie. Bei Petra an der Theke machte er vor den Schnäpschen kurz Halt.

      „Dank dir, Josef“, prostete Karl und trank seinen Kümmel.

      Josef nickte wohlwollend.

      „Tschüss, Petra.“

      „Tschüssi, Karl“, lächelte sie und begab sich mit ihrem Tablett zu der Herrenrunde.

      1.2

      Er ging ums Haus durch den Garten. Karl wusste, dass Elsa im Sommer immer lange auf der Terrasse saß, insbesondere donnerstags, wenn er in der Kneipe war. Als sie ihn kommen sah, klappte sie das Buch zu und ließ es sachte in den Schoß sinken. Sie musste grinsen. Karl ließ sich seufzend neben ihr auf der Bank nieder.

      „Schlimm“, fragte sie.

      „Wie immer“, bestätigte er.

      Er versuchte zu erkennen, um welches Buch es sich handelte, aber seine Frau bedeckte mit ihren Händen den Schriftzug.

      „Was liest du denn da“, interessierte es ihn.

      „Brentano.“

      „Oha! Was?“

      „Gedichte.“

      „Meine kleine Romantikerin…“

      Sie strahlte.

      „‚Am stillen Abend, Wenn die Rosen nicht mehr glühen Und die Töne stumm werden, Will ich bei dir sein In traulicher Liebe, Und dir sagen, Wie mir am Tage war.‘“

      „Und, wie war dir am Tage“, lachte Karl.

      „Erzähl mir lieber, wie’s bei deinen Streithälsen war. Schlimmer als sonst?“

      Elsa streichelte seinen Handrücken, während er ihre dunklen Augen ergründete. Darauf wandte er sich ab, blickte auf die Wiesen, die er wegen der hereinbrechenden Dunkelheit lediglich schemenhaft erkennen

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