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sich seit acht Jahren mit Mathematik und Physik abrackert.“

      „Weil ich ein einziges großes Ziel in meinem Leben hatte: In die Forschung gehen, am liebsten an der Uni,“ Thilo verlor fast die Beherrschung.

      „Da bin ich ja beruhigt, für einen Moment befürchtete ich, du hättest einen neuen Herzenswunsch … Marathon-Läufer oder Tennis-Profi oder ähnliches. Es wird wieder Zeit für mich, bis zum nächsten Mal.“

      Thilo haderte noch eine ganze Weile weiter mit seinem Schicksal, ließ den Laptop und die Bücher links liegen, sah sie nicht einmal an. Aber eines Nachts, als er wie so oft keine Ruhe fand und in einen besonders klaren Sternenhimmel starrte, verspürte er zu seiner eigenen Überraschung wieder die alte Neugierde erwachen. Sie durchströmte ihn, weckte seine Lebensgeister – und in dieser Stimmung beschloss er, das zu akzeptieren, was nicht zu ändern war und das fortzusetzen, was er in der Zeit der Mutlosigkeit und Bitterkeit abgebrochen hatte. Er nahm den Laptop, schaltete ihn ein und beobachtete ungeduldig, wie er sich für die Zusammenarbeit mit ihm bereit machte.

      „Stör ich,“ fragte Trulle, nachdem er volle zwei Wochen nichts von sich hatte hören lassen.

      „Überhaupt nicht,“ antwortete Thilo und klappte das Buch zu, in dem er gerade gelesen hatte.

      „Kommst du voran?“

      „Wenn du die mündliche Prüfung meinst, ja, ich bin bereit. In einer anderen Sache bin ich noch unschlüssig.“

      „In welcher?“

      „Das Spezialgebiet … theoretische oder experimentelle Teilchenphysik? Wer die Wahl hat, hat die Qual.“

      „Hast du nicht.“

      „Was meinst du, die Wahl oder die Qual?“ Thilo zog die Augenbrauen zusammen.

      „Die Qual … also freu dich!“

      „Da komm ich nicht ganz mit.“

      „Du willst doch nicht in kilometerlangen unterirdischen Anlagen deinen Protonen nachlaufen, oder in das Innere von Bergen klettern, um in Wassertanks nach Neutrinos zu suchen … brauchst du noch mehr Beispiele oder hast du kapiert?“

      „Ja, ich denke, das hab ich … du kannst manchmal brutal sein, Trulle.“

      „Nicht brutal und nicht sentimental … nur realistisch. Ehe ich es vergesse, viel Glück bei der Prüfung, hast du ein gutes Gefühl?“

      „Gefühl? Ich habe in meinem Leben noch nie auf Gefühle geachtet.“

      „Ich weiß, darüber müssen wir uns bei Gelegenheit auch nochmal unterhalten … aber nicht heute. Mach’s gut.“

      Thilo bestand seine Krankenhaus-Live-Schaltungs-Prüfung mit Glanz und Gloria.

      „Du sollst große Klasse gewesen sein,“ schwärmte Trulle am nächsten Tag.

      „Das ist kein bisschen übertrieben,“ antwortete Thilo grinsend.

      „Angeber! Na gut, dann hast du ja den Kopf wieder frei und wir können eine Sache klären, mit der ich dich bisher nicht behelligen wollte.“

      Behelligen, das hörte sich eindeutig nach Unangenehmem an. Thilo brachte ein zögerliches „Ja?“ hervor und harrte der Dinge.

      „Die Familie! Sie überbieten sich gegenseitig mit schön möblierten Zimmern, sie stechen sich aus mit Vorschlägen für deine gesunde Ernährung, sie übertrumpfen sich mit Ideen für sonstige nette Aufmerksamkeiten, die dir dein Leben versüßen sollen … mit anderen Worten: sie reißen sich um dich.“

      Erschrocken fuhr Thilo im Bett hoch: „Wieso denn, was soll denn das bedeuten, ich …?“

      „Dein dritter Wunsch war, nachhause gehen zu können. Das wird in einigen Wochen möglich sein.“

      „Aber ich meinte mein Zuhause, meine eigene Wohnung,“ stotterte Thilo.

      „Ich finde, die Familie ist auch ‚Zuhause‘.“

      „Nein, nein, nein, so geht das nicht … warum tun sie das?“ Abwehr und Panik klangen aus Thilos Stimme.

      „Lektion 3 … Gefühl, Herz, Liebe … nenn es, wie du willst.“

      „Ich kann mich nicht erinnern …“

      „Natürlich erinnerst du dich … Seifenblasen, Unterwasserwelt, um nur einiges zu nennen. Hatte das nichts damit zu tun?“

      „Eigentlich nicht … um ehrlich zu sein, ich wollte nur meine Schwester los werden.“

      „Mhm … da ist allerdings was Wahres dran … ach, was soll’s, bist du ein Engel oder ein Mensch?“

      „Ich will anderen nicht zur Last fallen!“

      „Zur Last fallen? Ich spreche von Liebe … die kostet nichts und verpflichtet zu nichts, sie ist keine Last und ganz uneigennützig. Du kannst sie bedenkenlos annehmen. Weißt du Thilo, hin und wieder kommt es vor, dass ein dicker Felsbrocken auf den Weg, den man gehen will, stürzt, so groß, dass man ihn allein nicht wegschaffen kann. Wenn man Glück hat, gibt es Menschen, die einem dabei helfen, jeder auf seine Weise. Der eine kommt mit Dynamit um ihn zu sprengen, der andere mit Säure, die ihn auflösen soll. Noch ein anderer bringt Hammer und Meißel mit, oder eine Brechstange, um ihn zur Seite zu stemmen. Eines Tages ist dann der Weg wieder frei und man kann alleine weitergehen. Lass dir eine Weile helfen … bis dein Felsbrocken weggeräumt ist. Lass dich von Mama und Papa verwöhnen, wie in alten Zeiten … du machst ihnen damit die größte Freude. Na sowas, ausgerechnet heute werde ich zum Plappermäulchen.“

      „Wieso ausgerechnet heute?“

      „Weil das mein letzter Tag ist … mit dir, meine ich. Du brauchst mich nicht mehr. Drei Wünsche erfüllt und die dritte Lektion fürs Leben in Erinnerung gebracht … ich brauch dringend Urlaub. Ach, ehe ich es vergesse, morgen kommt die Familie zu Besuch, das wird ein schreckliches Gedränge, sei gewarnt. Mathilde und Elmar wollen unbedingt dabei sein, Tante Hedwig auch, sie hat wieder etliche neue Grundsätze, die sie dir unbedingt mitteilen will. Viel Spaß!“

      „Trulle, jedes Mal, wenn du kommst, überrumpelst du mich, ziehst mich über den Tisch … das hätte ich dir niemals zugetraut.“

      „Manchmal muss man über sich selbst hinauswachsen!“

      „Danke für alles!“

      „Oh, bloß keine Sentimentalitäten beim Abschiednehmen.“

      Als Thilo am nächsten Morgen aufwachte, waren Rollregal und Trulle verschwunden. Am Nachmittag zwängte sich die Familie in sein winziges Krankenzimmer und füllte Schubladen, Tische und Fensterbänke mit Keksen, Blumen, Bananen und Schokoriegeln in allen Variationen. Marie war auch dabei, sie beugte sich über ihren Bruder und umarmte ihn herzlich: „Ich hab gehört, du beziehst wieder das Zimmer neben meinem.“

      „Haben das die Spatzen von den Dächern gepfiffen?“

      „Ooch, eher eine alte, weise Eule. Keine Angst,“ flüsterte sie, „ diesmal pass ich auf dich auf!“

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