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eine rein persönliche Sache. Aber wer es ernst nimmt, der fühlt ein Etwas in sich, das ihn zu dem hindrängt, was sein eigentlicher Beruf ist, zu den Dingen, die zu vollbringen er geschaffen ist. Ein junger Mensch meldet sich auf eine Anzeige in der Zeitung hin und bekommt so eine Stelle, für die er durchaus nicht passt. Nun lässt ihn aber dieser göttliche Trieb nicht in Ruhe, bis er die Stelle wechselt. Immer und immer wieder kann es geschehen, dass er der eckige Pflock in einem runden Loch ist, aber dieser innere Trieb – man heiße ihn Ehrgeiz, Streben, göttliche Führung, wie man will – lässt ihm keine Ruhe, bis er das ihm Entsprechende, den Platz für den er passt, gefunden hat.

      In jedem Menschen ist dieser göttliche Trieb tätig. Jedem Menschen ist schon bei der Geburt ein göttlicher Bote zugeordnet, der ihn durchs Leben begleitet. Dieser göttliche Bote dient als Führer, deutet immer auf die rechte Straße und warnt vor der falschen. Wer dieser göttlichen Mahnung folgt, der kommt schließlich in sein Eigentum. Die geheimnisvolle Rastlosigkeit unsres Innern, die uns immer mahnt und treibt, ist der Ausdruck des göttlichen Gesetzes, das in jedem Atom, in jedem Elektron des Weltalls wirksam ist. Es ist der göttliche Antrieb, der alles zu immer größerer Höhe emporhebt. Alles im Weltall ist auf dem Weg zur Vollkommenheit, auf dem Weg zu seinem Gott.

      Wir sind in die Welt gestellt, um die Menschheit zu immer größerer Höhe zu erheben, indem wir unser Traumbild zur Wirklichkeit zu machen streben, indem wir unser Allerbestes tun.

      Im Evangelium Johannis steht: „Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich die Wahrheit zeugen soll.“ Die meisten Menschen denken offenbar nicht daran, dass auch sie zu einem bestimmten Zweck in die Welt gekommen sind, oder dass sie die Verpflichtung haben, „die Wahrheit zu zeugen“. Sie machen sich augenscheinlich nicht klar, dass es ihre Aufgabe ist, die Botschaft, die ihnen bei ihrer Geburt anvertraut wurde, weiterzutragen, das Urbild, das ihnen ihre erhabensten Augenblicke zeigen, zu verwirklichen. Viele handeln so, als ob es ihre Aufgabe wäre, alles, was irgend möglich ist, für sich selbst zu erlisten und zu erraffen; sie meinen, sie hätten nur Verpflichtungen gegen sich selbst und ihre eigene Familie.

      Diese Menschen betrachten die Welt, in der sie ihre Augen aufschlagen, als einen Jagdgrund für die Befriedigung ihrer persönlichen Wünsche, und als ihnen mit Recht gehörig alles, was sie sich ohne Kosten anzueignen vermögen. Sie denken nicht im Schlaf daran, dass durch die vielen Millionen Menschen, die vor ihnen gelebt haben, die Welt für sie bereitet worden ist, dass sie die Erben derer sind, die vor ihnen waren, und dass es ihre Ehrenpflicht ist, für die, die nach ihnen kommen, das Erbe zu mehren. Wir Menschen unserer Zeit haben die Früchte von andrer Leute Arbeit geerntet, die Früchte von ihren Erfindungen und Entdeckungen, die sie mit harter Arbeit, mit Leiden und Kämpfen aller Art bezahlt haben. Unsre Aufgabe ist es, ihr Werk fortzusetzen und die Gesichte, die wir in den Augenblicken unsrer göttlichsten Begeisterung schauen, zur Wirklichkeit zu machen.

      Unsrer Eingebung, dem Sehnen unsrer Seele zu folgen, das ist der Weg zu diesem Ziel. Jedermann strebt unwillkürlich dem Urbild seiner Seele zu und wird in keiner andern Richtung große Fortschritte machen als in der, wohin sein alles beherrschender Gedanke geht, sein sehnlichster Wunsch, sein kräftigster Trieb. Die Kraft der Vergegenwärtigung ist eines der großen Geheimnisse der Charakterbildung und des Erfolges.

      Wir wachsen mit dem Urbild unsres Innern. Jede Erhebung, jeder Fortschritt ist zuerst geistig und auf den Glauben an ein verwirklichtes Urbild gegründet. Mit einem Urbild fängt alles an und der Erfolg entspricht jederzeit der Natur dieses Urbildes und unsrem Glauben daran.

      Jedermann wird das, was sein Urbild ist, er ist die Verwirklichung des Urbildes, das sein Leben beherrscht und dem er unausgesetzt nachstrebt.

      3. Glück und Freude

       Nicht kämpf‘ ich meinen Kampf,

      

       Ich singe laut mein Lied.

      

      Das Leben sollte ein heller Freudengesang sein, statt des Trauerliedes, das es bei so vielen Menschen ist, ein Freudenfest und nicht Mühsal und Sorge.

      Hast du je einen Augenblick erlebt, zu dem du hättest sagen mögen: „Verweile doch, du bist so schön!“ Ich glaube, die Zeit wird kommen, wo du in deinem alltäglichen Zustand mehr Glück und Befriedigung empfindest, als dir dein frohester, glücklichster Augenblick bis jetzt jemals gewährt hat.

      Ein Operierter schildert in einem Aufsatz, dem er die Überschrift „Zwanzig Minuten der Wirklichkeit“ gegeben hat, ein Erlebnis während seiner Genesung.

      Es war an einem grauen Märztag mit wolkigem Himmel und nirgends etwas besonders Erregendes oder Erheiterndes in des Kranken nächster Umgebung. Da hatte er plötzlich das Gefühl, als ob er in eine neue Welt des Lichts, des Glücks und der Freude versetzt wäre.

      „Ich vermag die geheimnisvolle Wandlung, die mit mir vorgegangen war, nicht zu schildern“, sagte er. „Ich sah keine neuen Dinge, aber ich sah alle bekannten Gegenstände in einem wunderbaren neuen Lichte – ich glaube in ihrem wahren Lichte. Zum ersten Mal sah ich, wie voll hinreißender Schönheit und einer Freudigkeit über alle Beschreibung das ganze Leben ist. Jeder Mensch, der durch die Pforte eintrat, jeder Sperling, der vorüberflog, jedes Zweiglein, das im Winde wehte, war eingehüllt, war ein Teil dieses Übermaßes an Schönheit, an Freudigkeit, an hoher Bedeutung, an begeisterter Trunkenheit, an Leben ... In diesen erhabenen Augenblicken war ich von heißer Liebe für alles Lebendige um mich her erfüllt – für die Bäume, die im Winde schaukelten, die Vögel, die vorüberflogen, die Wärterinnen, die Einwohner des Hauses, die Fremden, die kamen und gingen. Nichts Lebendiges, das mir nicht ein hohes Wunder gewesen wäre! Zu leben, war an sich schon ein Wunder. Meine Seele entströmte mir in höchster Freude.“

      Wenn es so möglich ist, einmal zwanzig Minuten lang in einer Welt der Schönheit und des Glücks zu leben, sollte es dann nicht auch möglich sein, diese Zeit zu verlängern – immer in einer solchen Welt zu sein? Wir alle suchen beständig nach dieser Zauberwelt, aber immer ist es etwas in der Ferne, das uns lockt und ruft. Glanz und Schönheit des Lebens befinden sich für unsre unzufriedenen, sehnenden Augen immer wo anders, an einem andern Ort, zu einer andern Zeit, als wo wir sind und worin wir leben. Später einmal, aber nicht heute, hoffen wir, die Wohnung des Glücks zu betreten. In der Zukunft, durch irgendeine Zauberei, durch Geld oder was sich mit Geld erkaufen lässt, erwarten wir, das Glück zu finden, aber noch kein menschliches Wesen hat die schöne Luftspiegelung, die ihm aus der Ferne lockt und winkt, zu erfassen vermocht.

      Die meisten Menschen, die ich kenne, machen mir den Eindruck, als ob sie vom Leben sehr enttäuscht wären. Es hat ihnen nicht gebracht, was sie erwartet haben. Haben sie die Jahre erreicht, die sie sich in ihrer Jugend als Erfüllung ihres Strebens, als frei von Sorge gemalt hatten, so erscheint ihnen ihr Leben sehr gewöhnlich, alltäglich, zahm und durchaus nicht glücklich. Das Zauberbild, das ihnen in der Ferne so schön und lockend erschien, war vor ihnen zurückgewichen und winkt und lockt wieder aus immer gleicher Ferne. „Es ist das Niedagewesene, das ewig Künftige“, sagt Isolde Kurz.

      Die Hauptursache unsrer Unzufriedenheit und unsres Unglücks liegt darin, dass niemand sich mit dem begnügen will, was er hat. Die kleinen, einfachen Dinge zählen nicht bei uns. Immer schauen wir nach großen Dingen aus, die uns glücklich machen sollen, - ein Vermögen, irgendeine großartige günstige Gelegenheit, irgendein unbestimmter Glückszufall, den wir nicht näher zu beschreiben vermögen – und wir alle denken augenscheinlich, was uns allein wirklich glücklich machen könnte, das sei immer irgendetwas in der verhüllten Zukunft.

      Manche Menschen wissen nicht einmal, wohin ihr Streben und Sehnen geht. Wie viele von den Unzufriedenen, die man trifft, können einen vernünftigen Grund für ihre Unzufriedenheit angeben? Sie wissen nichts weiter, als dass sie unbefriedigt, unglücklich sind. Manche durchsuchen die ganze Welt nach etwas, das gar nicht gefunden werden kann, etwas, das nur der Nebengewinn einer edlen Tat ist. Und dieser Nebengewinn kann nicht eingeheimst werden, ohne die edle Tat.

      Wir schieben und stoßen uns durchs Leben und machen die wütendsten Anstrengungen,

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