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irgendwas mit „…. vitanuova“, neues Leben ist gut, denkt sie. Ehe sie es selbst begriffen hat, hat sie die Autobahn verlassen. Sie weiß nicht, wo sie ist. Sie ist noch nie auf der Adriaseite von Italien gewesen, geschweige denn hat sie Ahnung, in welcher Region Italiens sie sich befindet.

      „Morgen muss ich mir unbedingt eine Landkarte kaufen“.

      Sie fährt durch viele kleine Ortschaften.

      „Ich muss dringend aufs Klo“.

      Seit einer Stunde verstärkt sich der Druck auf die Blase. Sie hat immer wieder angehalten und überlegt ins Gebüsch zu gehen. Aber gerade dann sind Autos vorbei gefahren und so hat sie es endgültig aufgegeben.

      Sie fährt über einen kleinen Dorfplatz. Vor einem der Häuser stehen einladend sechs weiße Tische mit Stühlen und ein Schild über der Tür weist auf bar-albergo. Ein Tisch ist mit alten Männern besetzt, die neugierig auf das deutsche Nummernschild starren. Spielkarten liegen auf dem Tisch. Sie zocken denkt Hanna und parkt ihr Auto am Bürgersteig ein.

      Wieder hängt Hanna ihre Tasche betont nachlässig über die Schulter und geht schnurstracks an den plötzlich schweigenden Männern, die sie mit neugierigen Blicken taxieren, vorbei zur offenen Eingangstür. Erst drinnen in der Bar bemerkt sie einen zweiten Eingang zum Hotel.

      Den Empfang, kaum ein Quadratmeter groß - wenn ein Mensch dahinter steht, könnte der Tresen, wenn er nicht auf der einen Seite an der Wand befestigt wäre, ebenso gut als Bauchladen dienen - prägt ein überdimensionales Schlüsselbrett an der Wand. Bunte Schaumstoffbälle, auf denen die Zimmernummern eigenhändig gemalt wurden, hängen an den Schlüsseln, genau fünf Stück und die Bälle sind so groß, dass sie in keine Handtasche und schon gar nicht in eine Hosentasche passen. Man scheint mehr Angst um gestohlene Schlüssel zu haben als um entwendete Dinge aus den Zimmern.

      Einer der alten Männer ruft in das Haus hinein „Franco“ und sagt etwas zu ihr, das sie aber nicht versteht. Ein junger Mann, sie schätzt ihn auf Ende Zwanzig, erscheint. Das muss Franco sein.

      Sie ist mit einem Mal unsicher.

      „Scusi, ich spreche Ihre Sprache nicht so gut“.

      Sie ärgert sich, ein Zimmer bestellen, das kann sie, hat sie schon so oft getan, wenn sie in die Toskana gefahren sind.

      „Dica“, unterbricht Franco abrupt ihre Gedanken.

      „Ein Einzelzimmer?“

      „Wie lange?“

      Wieder ist sie unsicher.

      „Drei Tage“ sagt sie entschlossen.

      Franco fragt, ob sie zu Abend im Restaurant isst.

      “Oh, es gibt ein ristorante“, sagt sie erfreut.

      Ein junges Mädchen, nicht älter als sechzehn, nimmt ihr den Koffer ab. Sie gehen über eine mit rosaroten Natursteinfliesen belegte Treppe in die erste Etage. Das Zimmer ist typisch wie alle Einzelzimmer klein, aber es riecht nach frischer Bettwäsche und es hat ein kleines Duschbad.

      Sie drückt dem Mädchen 50 Cents in die Hand, was ihm die Röte in die Wangen steigen lässt. „Nein, nein“, wehrt es ab, lässt das Geldstück dann aber doch in der Hosentasche verschwinden.

      Der Anblick der Toilette lässt ihre Blase fast platzen. Sie stöhnt laut beim ersten Wasser lassen und mit dem Stöhnen scheint auch die Konzentration, das Angespannte aus ihrem Körper heraus zu fließen. Sie duscht warm, was nicht so richtig gelingt, da das Wasser höchsten eine Minute mehr oder minder heiß wird. Legt sich mit Slip und T-Shirt auf das Bett und schläft sofort ein.

      4.

      Am nächsten Morgen ist sie früh wach. Sie ist unruhig. Diese Unruhe, die seit Wochen nicht weichen will und die zurückliegenden Tage und Nächte vollständig beherrscht hat. Sie kommt sich vor wie eine Wartende auf dem Bahnhof, die aufgeregt hinter den Scheiben des einrollenden Zuges nur das eine ihr vertraute Gesicht sucht. Aber Sie wartet immer vergebens und die Unruhe weicht einer maßlosen Enttäuschung, wenn der Zug abfährt und sie allein auf dem Bahnsteig zurück lässt, um beim Einfahren des nächsten Zuges wieder den gesamten Körper vibrieren zu lassen, ein ständiges Auf und Ab.

      Bei jedem Telefongespräch, bei jeder Rückkehr am Wochenende von Henning hat sie auf eine Entscheidung gewartet.

      Was konnte sie denn erwarten?

      Dass Henning diese Frau zum Gespött macht, eine bedeutungslose Affäre, so als hätte er aus einer „ich weiß nicht welch einer“ Laune heraus, einen Puff besucht. Solche Erklärungen, bei denen er stets der lächelnde Sieger blieb, schüttelte er doch sonst auch en Masse aus dem Ärmel.

      Ja, sie hat gewartet und gehofft. Die kleinste Geste hätte ein Anfang sein können. Aber umsonst, Henning bot ihr weder die Hand, den Arm noch die Schulter. So entlud sich die angespannte Unruhe und die schmerzende Enttäuschung immer wieder in Aggressivität. Wie ein Amokläufer verlor sie die Beherrschung über ihren Körper, ihre Gefühle, ihren Verstand. War das Ventil einmal geöffnet, ergoss sich eine Fäkaliensprache aus ihrem Mund, die Hanna sonst verabscheute und auch nicht duldete.

      „Diese kleine Scheißnutte“ schrie sie dann „hat sie Dich gut gefickt?“

      Sie übertraf sich in grässlichen Ausdrücken, wenn es Henning und die Frau betraf. Woher kam plötzlich diese Vielfalt von obszönen Worten, die sich ihrer Sprache bemächtigten, sie mit Ekel erfüllten und doch ihrer Verzweiflung eine gewisse Erleichterung verschafften.

      „Ich muss etwas Produktives tun, etwas Befriedigendes, damit diese verdammte Unruhe verschwindet!“

      Sie hatte gestern Abend gut gegessen. Die hausgemachten Ravioli con burro und salvia waren ausgezeichnet. Die Unterhaltung mit Franco lief dagegen schlecht. Der Dialekt, den man hier sprach, hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem Italienisch, das sie gelernt hatte. Als sie nach dem Essen noch auf die Straße gegangen war, hatte sie gesehen, wie einige Männer neugierig in ihr Auto schauten. Das Gepäck auf der Ladefläche ihres Jeeps war zwar mit der Wolldecke abgedeckt, aber man konnte schon erkennen, dass es sich hier nicht nur um Urlaubsgepäck handelte. Unangenehm berührt verzichtete sie auf den geplanten Spaziergang, eilte zum Schlüsselbrett und verabschiedete sich hastig mit hingemurmeltem „buona notte“ und bevor Franco etwas erwidern oder fragen konnte, stand sie bereits in ihrem Zimmer. Durch das geöffnete Fenster lauschte sie dem Gewirr von Stimmen und Geräuschen, das von der Bar und der Straße zu ihr herauf drang. Sie hörte das Lachen der Jugendlichen bei laufendem Motor ihrer Motorroller, das unverständliche Gemurmel der Leute vor den Nachbarhaustüren, das Schlagen der Spielkarten auf den Tisch, begleitet von unwilligen oder erfreuten Ausrufen, das bis weit in die Nacht hinein ging.

      Dann waren die Tränen gekommen. Sie war unter die Bettdecke gekrochen bis sie kaum noch Luft bekam und die Tränen sich mit den Schweißtropfen mischten, um das laute Schluchzen, das nicht mehr zu bremsen war, ungehört zu halten. Völlig ausgelaugt war sie dann übergangslos in einen unruhigen Schlaf geglitten.

      Irgendwann nachts war sie durch ein Stöhnen aus ihren Alpträumen erwacht. Aus dem angrenzenden Zimmer drang das Stöhnen einer Frau. Während Hanna überlegte, was zu tun sei, erkannte sie plötzlich, dass es das wollüstige Stöhnen eines Beischlafs war. Sie zwang sich einzuschlafen, doch sie konnte nicht verhindern, dass sie angestrengt dem jetzt rhythmisch gewordenen Hecheln mit angehaltenem Atem lauschte, so als würde er ihre Neugier verraten können. Kurz darauf hörte sie die Klospülung, den prasselnden Wasserstrahl in der Plastikduschwanne und die girrende Stimme der Frau. Eine Männerstimme hörte sie nicht. Er schien wohl schon eingeschlafen zu sein, typisch, dachte Hanna noch und fiel in ihre Alpträume zurück.

      5.

      Es wird wieder ein wunderschöner warmer Tag und

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