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ihr Rheuma im rechten Knie schon längst vergessen. »Wie alt mag sie wohl sein? Zweihundert Jahre? Oder dreihundert?« Der Alte schüttelte heftig den Kopf.

      »Viele tausend Jahre!«, übersetzte Mustafa.

      »Vermutlich nicht mal tausend Tage«, ließ sich Friedhelm Bartelmann hinter dem Objektiv seiner surrenden Kamera vernehmen.

      Oma Weber ließ sich nicht gerne dreinreden. »Was soll die Flasche denn kosten?«

      Der Mann im Kaftan beehrte sie mit noch mehr Verbeugungen. Philipp schloss aus dem Klang der Worte, dass der Alte einen unverschämten Preis in zahllose Flunkereien und Schmeicheleien verpackte.

      »Er will 430 Dirham«, sagte Mustafa, der keine Lust hatte, den gesamten Wortschwall zu übersetzen.

      Oberstudienrat a. D. Friedhelm Bartelmann hatte die Videokamera ausgeschaltet und den Taschenrechner gezückt. »Frau Weber, das sind 38 Euro! Der Schlaumeier glaubt, er hätte eine Dumme gefunden!«

      »Vielleicht ist die Flasche ja wirklich alt!«, meinte Oma Weber ein wenig trotzig.

      »Wetten, dass im Laden nebenan die gleiche Flasche steht? Der Inhaber wird Ihnen dann wahrscheinlich erzählen, dass sie sein Urururonkel in den Ruinen von Karthago gefunden hat. - Oder dass sie einst irgendeinem Kalifen von Bagdad oder vielleicht sogar der Königin von Saba gehört hat.«

      »Mir ist schnuppe, wem die mal angeblich gehört hat. Die Flasche gefällt mir. Sie passt gut in mein neu gefliestes Badezimmer. Ich könnte Dr. Maußners-35-Kräuter-Öl hineinfüllen, mit dem ich immer mein Knie einreibe.«

      »Oma, vergiss nicht, die Flasche geht nicht auf!«, warnte Philipp.

      »Na, so wie ich dich kenne, wird dir schon was einfallen, wie wir den Pfropfen herausbekommen«, meinte Frau Weber leichthin, und zu Mustafa sagte sie:

      »Sagen Sie dem Mann, für 33 Dirham nehme ich die Flasche. Sie geht nicht auf und ist nur alter Plunder!«

      Friedhelm Bartelmann tippte auf seinem Rechner herum und murmelte: »3 Euro, das wäre akzeptabel!«

      Der Alte im gestreiften Kaftan rang die Hände und ließ eine Flut klagender Worte vernehmen. »Er sagt, Sie ruinieren ihn. 280 Dirham wäre das Mindeste, was er bekommen müsse!«, lautete Mustafas knappe Übersetzung.

      »25 Euro«, soufflierte Bartelmann, nachdem er seinen Rechner befragt hatte.

      »50 und keinen Dirham mehr!« Das Schachern und Handeln bereitete Philipps Großmutter sichtliches Vergnügen.

      »Oh nein! 200 Dirham muss ich mindestens bekommen. Sie berauben einen armen Mann!«, jammerte der Händler. Bei 73 Dirham wurden sich Oma Weber und der Händler schließlich handelseinig. Der Alte verabschiedete sie gestenreich und Mustafa übersetzte: »Er wünscht ihnen Allahs Segen, ein langes Leben und noch viele Enkelkinder!«

      »Danke, mein Enkel Philipp reicht mir!«, lachte Frau Weber, und Friedhelm Bartelmann befragte noch einmal seinen Rechner: »Sechs fünfzig, na, es ist ja Ihr Geld«, monierte er. »Aber ich wette, nebenan kriegen sie die Flasche für die Hälfte!«

       ***

      »Mist«, jetzt hab ich deine Nagelfeile auch noch abgebrochen«, schimpfte Philipp. Seine Großmutter, die ihre blond gefärbten Haare auf Lockenwickler gedreht hatte, zog sich einen Metallpikser aus den Wicklern: »Hier, probier das mal!« Philipp klemmte sich die blaue Flasche zwischen die Knie und bearbeite den Pfropfen mit dem Lockenwickelpikser.

      »Das Ding sitzt wie festzementiert«, schimpfte er. »Vielleicht wurde die Flasche absichtlich zugeklebt, weil ihr Inhalt gefährlich ist. Gift oder Säure - oder weiß der Teufel, was da sonst noch drin sein könnte.«

      »Vermutlich war da überhaupt nie was drin. Ich schätze, die blöde Flasche wurde verpfropft, um dumme Touristen wie mich neugierig zu machen und ihnen dann das Geld aus der Tasche zu ziehen«, meinte Oma Weber lakonisch.

      »Na, wenn das die Absicht war, ist sie voll geglückt«, lachte Philipp.

      »Ich hätte die blöde Flasche ja nicht kaufen müssen. Vermutlich habe ich es auch nur deshalb getan, weil sich der oberschlaue Expauker alle Mühe gegeben hat, es mir auszureden. Aber ich bin ja schon froh, dass er diese blaue Flasche kein zweites Mal auf dem ganzen Markt entdeckt hat, obwohl er jeden Stand und jeden Laden durchstöbert hat. Da wäre er sich doch glatt nochmal so klug vorgekommen.« Oma Weber drehte die Flasche nach allen Seiten, schüttelte sie und hielt sie ans Licht: »Ich kann mir nicht helfen, irgendwie habe ich das Gefühl, dass sie wirklich uralt ist. Das matte Blau – und dann ist das Glas ja auch gar nicht durchsichtig, – vermutlich ist es sehr dick.« Sie ging ans Waschbecken des Hotelzimmers, drehte den Wasserhahn auf und hielt den Flaschenhals unter den Wasserstrahl: »Probieren wir es noch einmal mit heißem Wasser«, schlug sie vor. »Wenn sich das Glas erwärmt, dann dehnt es sich. Vielleicht löst sich dann der Pfropfen.«

      Als sie eine Stunde später zum Abendessen ins Restaurant hinuntergingen, hatte Philipp neben der Nagelfeile nicht nur Omas Stielkamm abgebrochen, sondern auch sämtliche Messerchen und Werkzeuge seines roten Schweizer Messers demoliert. »Blöde Flasche«, schimpfte Frau Weber.

      »Weißt du was«, meinte Philipp, »Wenn du die Flasche nicht gebrauchen kannst, dann schenk sie doch ganz einfach mir!«

      5. HOFFNUNGSSCHIMMER

      Kalatur hatte neue Hoffnung geschöpft. Er hatte gespürt, wie nach langer Zeit wieder einmal jemand versucht hatte, den Pfropfen der Glasflasche zu lösen. Aber der Bann der alten Schat-Emach wirkte noch immer, obwohl sie selbst schon vor vielen Jahrtausenden zu Staub zerfallen sein musste. Der Bann würde womöglich seine langsam verlöschenden Energien überdauern. Kalatur wusste nicht, wie oft er schon den Tag verwünscht hatte, an dem er sich von Sanheb, dem alten Mardukpriester, hatte überreden lassen, von seiner einfachen Kürbiskalebasse in die wertvolle Glasflasche umzuziehen. Er hatte seit Anbeginn in Kalebassen gewohnt. Sie waren zweckmäßig und bequem, und wenn sie anfingen zu verrotten, hatte er sich eine Neue besorgt. Kurzzeitig hatte er auch einmal in einem Tonkrug gewohnt. Der war zwar wesentlich geräumiger gewesen, aber wegen der weiten Öffnung hatte er seine Energien nicht so gut sammeln können. Nach ein paar Tagen war er wieder in seine gewohnte Kalebasse zurückgekehrt. Dann war plötzlich Sanheb mit der blauen Glasflasche aufgetaucht. »Kalatur, mächtiger Geist des Rauches«, hatte der Priester zu ihm gesprochen, »dieser ausgehöhlte Kürbis, in dem du wohnst, ist deiner nicht würdig. Er taugt als Nutzgefäß für Bauern und einfache Leute, aber nicht als Wohnung für einen mächtigen Geist.« Mit einer großen Geste hatte Sanheb die blaue Glasflasche aus seinem Gewand gezogen. Kalatur hatte noch nie zuvor ein solch großes Gefäß aus Glas gesehen. Meist wurden nur kleine Tiegel und Behältnisse aus Glas hergestellt, und nur sehr reiche Leute konnten sich ein Salbentöpfchen aus buntem Glas leisten. »Die Flasche ist ein Geschenk von König Nebukadnezar«, hatte er gesagt. »Sie ist ein Kunstwerk. Ein Handwerker aus Assur hat sie um einen Kern aus Sand gefertigt. Ich möchte sie dir schenken, als Dank für deine Dienste.«

      Kalatur hatte sich geschmeichelt gefühlt und war in die Flasche gezogen. Der diffuse blaue Lichtschein, der ins Innere drang, hatte ihm gefallen, und er war geblieben, obwohl die Flasche wesentlich enger war als seine alte Kalebasse. Es hatte ihm nichts ausgemacht. Jeden Tag war er durch den Flaschenhals geströmt, hatte sich zur Riesengestalt anwachsen lassen, war als Rauchsäule umhergeschwebt, hatte die Wünsche Sanhebs und später die Befehle Siduris befolgt. Um neue Energie zu sammeln, hatte er sich wieder in seine Wohnung zurückgezogen – bis zu jenem unglückseligen Tag, an dem Eninki die Flasche verschlossen hatte. Da war die Flasche zu seinem Gefängnis geworden. Anfangs hatte er die Tage seiner Gefangenschaft gezählt, die Wochen, Monate, Jahre, die Jahrhunderte. Irgendwann, vor endlos langer Zeit, als bereits mehr als zweitausend Jahre vergangen waren, hatte er aufgehört zu zählen. Und nun war es ihm, als vernehme er ein stetes, leises Brummen und Dröhnen und er hatte das Gefühl, als wenn er durch die Lüfte flöge.

      »Aber kann ich denn meinen Wahrnehmungen noch trauen?«, fragte er sich. »Welcher Adler könnte

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