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Tonklumpen aus. Gewissenhaft formten die Prüflinge aus dem Ton flache Tafeln, und als der König sie aufforderte: »Schreibt!«, nahmen sie ihre Schreibgriffel zur Hand.

      »Das Schicksal ist ein Hund, es kann gut zubeißen. Es klebt an einem wie schmutzige Lumpen«, zitierte der König ein altes Sprichwort, das er einst als Schüler selbst hatte niederschreiben müssen. Eli beugte sich über seine Tafel, wollte den Griffel in den Ton drücken, aber die Tafel, die gerade noch weich und geschmeidig gewesen war, war plötzlich hart wie Stein, und mit einem lauten Knacks brach sein Griffel ab. Apil, Elis Halbbruder, setzte vorsichtig sein Schreibgerät an, aber auch seine Tafel war urplötzlich hart geworden, und als Apil erschrocken etwas stärker aufdrückte, brach die Tafel entzwei. Zababas Tafel zerfloss unter dem Schreibrohr zu weichem Matsch und Belschunu bekam nur einen tiefen Kratzer zustande, ehe auch sein Griffel zu Bruch ging. Einzig Ninzub gelang es, ein paar Keilschriftzeichen in den Ton zu drücken, wenngleich sie auch schief und krumm und noch dazu voller Fehler waren. Gilgal sah die ersten Zeichen des Unmutes auf des Königs gerunzelter Stirn und auf seine eigene Stirn traten dicke Schweißtropfen.

      »Sie sollen aus den Gesetzen des weisen Königs Hammurabi lesen, dessen Stele ich den schändlichen Elamern entrissen und im Triumph nach Babylon zurückgebracht habe!«, befahl der König. [Das Land Elam lag im Südwesten des heutigen Iran] Gilgal verneigte sich tief und teilte, zitternd und schlotternd vor Angst, beschriftete Tafeln aus.

      Nebukadnezar deutete auf Eli. »Lies!« Eli konnte sehr gut lesen. »Wenn ein Arzt den gebrochenen Knochen ...«, begann er, ohne zu stocken. Aber plötzlich verschwammen die Schriftzeichen vor seinen Augen, weil feiner Rauch über die Tontafel zog. Mal gab der Rauch dieses Zeichen frei, dann wieder das nächste, oder er bedeckte sie nur zur Hälfte. Er konnte nicht mehr erkennen, was die nächsten Zeichen bedeuten sollten und fing an zu stottern: »... eines M-Mannes – nein, es heißt: einer Frau - nein, eines Kindes – ich, ich weiß nicht ...« Die Zornesfalten auf des Königs Stirn wurden tiefer, und die Schweißtropfen auf Gilgals Stirn begannen abwärts zu rollen. Sie durchnässten seinen sorgsam gelockten Bart und tropften auf sein Obergewand.

      »Lies du!«, befahl der König und deutete auf Belschunu.

      »Wenn ein Arzt ...«, begann Belschunu und stockte, denn der feine Rauch verdeckte nun plötzlich seine Tafel. »Nein, ich glaube, es heißt: Wenn ein Bauer – nein, wenn ein Vogel – ich – ich kann es nicht lesen«, stotterte Belschunu.

      »Was können die überhaupt?«, polterte der König voll Wut.

      Gilgal vernahm den feinen, weißen Rauch, der sich in der Zimmerecke kräuselte.

      »Erhabener König«, stammelte er und verbeugte sich bis auf den Fußboden, »hab Erbarmen mit deinem Diener! Ninzub kann alles. Ninzub ist der beste Schüler und der fleißigste. Ninzub ist der Klügste von allen. Ninzub ist mein bester Schüler. Ninzub ist mein bester Schüler ...«

      Auch als die Wache des Königs den armen Gilgal längst abgeführt hatte, jammerte er noch immer: »Ninzub ist mein bester Schüler! Erbarmen! Ninzub ist mein bester Schüler ...«

      Langsam schwebte Kalatur als feine Rauchsäule durch den Garten zurück. Er war nicht stolz auf sein Werk, aber er hatte seinen Auftrag ausgeführt. Er war jetzt müde und wollte sich in seiner Wohnung ausruhen, und als er langsam durch den Flaschenhals glitt, bemerkte er, dass die alte Eninki noch immer im Schutz des Baumes verborgen stand.

      3. DER BANN

      Die alte Frau stand im Hof ihres Hauses, der von einer Mauer aus Lehmziegeln umgeben war. Sie rührte in einem Kessel, der über dem Herdfeuer hing. Als die Tür aus Schilfgeflecht beiseitegeschoben wurde, hob sie den Kopf.

      »Ehrenwerte Eninki, was führt dich in meine bescheidene Hütte?«, fragte sie überrascht.

      »Schat-Emach, meine Freundin«, begrüßte die alte Amme die Frau am Herd und zog eine bauchige, blaue Flasche aus den Falten ihres Obergewandes, »ich brauche deinen Rat und deine Hilfe. Du bist klug und weise und kennst dich nicht nur mit heilkräftigen Kräutern aus, sondern auch in den Dingen der Magie.«

      »Plagt dich wieder das Reißen in den Gliedern? Soll ich dir einen zauberkräftigen Heiltrank brauen und in dieses Gefäß füllen?«

      »Nein, meine Freundin, dein letzter Trank hat meine Schmerzen geheilt. In diesem Gefäß hier, das ich in meiner Hand halte, wohnt ein böser Geist. Ich habe den Hals des Gefäßes mit einem Pfropfen aus Wachs verschlossen. Ich hoffe, dass der Geist nicht durch den Pfropfen entweichen kann.«

      »Du hast einen Dschinn in dieser Flasche?«

      »Ja, ich glaube, es ist ein Dschinn. Er heißt Kalatur, und er ist böse. Er hilft Siduri, ihren nichtsnutzigen Sohn Ninzub dereinst zum König zu machen. Stell dir vor, was dann aus Babylon wird. Ich muss das unbedingt verhindern!«

      »Der Dschinn an sich ist nicht böse«, erklärte die weise Schat-Emach. »Böse sind nur die Menschen, die seine Kräfte für ihre schlechten Absichten missbrauchen. Die Dschinn wurden nämlich vor langer, langer Zeit von den Göttern geschaffen, damit sie den Menschen zu dienen und ihnen helfen. Aber den Göttern hat es an der nötigen Weitsicht gefehlt. Sie haben nicht den Eigennutz der Menschen bedacht, nicht ihre Habgier, ihre Rachsucht, ihre Bosheit. Sie haben nicht vorausgesehen, dass Menschen wie Siduri die Kräfte der Geister für ihre egoistischen, niederen Absichten missbrauchen könnten. Solange dieses Gefäß im Besitz Siduris war, musste Kalatur ihre Befehle befolgen. Aber nun hast ja du glücklicherweise den Dschinn samt seiner Flasche an dich genommen.«

      »Ich will ihn aber nicht behalten! Ich will nicht mit einem Geist in der Wohnung leben!«, protestierte Eninki.

      »Nein, das wäre nicht gut. Die Flasche könnte dir gestohlen werden. In der Hand schlechter Menschen ist der Dschinn wirklich gefährlich. Kein Mensch darf sich jemals wieder seiner Kräfte bedienen!«

      »Schat-Emach, meine weise Freundin, dieses Gefäß, in welchem der Geist wohnt, ist aus Glas. Es ist zwar sehr wertvoll und eigentlich auch sehr dick. Außerdem ist es viel härter als Ton, aber es könnte trotzdem zerbrechen. Dann wäre der Geist wieder frei.«

      Schat-Emach warf fünf verschiedene Kräuter und getrocknete Wurzeln in den Kessel und wartete, dass der Sud über dem Feuer aufbrodelte. »Ich werde den Dschinn bannen«, erklärte sie. Dann begann sie die Flasche über dem Dampf zu drehen und murmelte leise unverständliche Worte vor sich hin. Das Glas der Flasche begann sich zu verfärben. Es wurde zuerst grün, dann rot, dann violett, und als es schließlich wieder blau wurde, sagte die weise Frau: »Nun kann niemand die Flasche öffnen oder gar zerbrechen. Der Dschinn ist in der Flasche gefangen!«

      »Wie lange wird dein Zauber anhalten?«

      »Das vermag ich nicht zu sagen. Tausend Jahre ganz bestimmt, vielleicht zweitausend, oder auch dreitausend. Vermutlich wird die Energie des Dschinns erloschen sein, bevor die Wirkung des Banns nachlässt.«

      »Meine Freundin Schat-Emach, ich danke dir. Aber sage mir, was soll ich jetzt mit der Flasche machen?«

      »Ehrenwerte Eninki, finde einen Händler, der bis an den Rand der Erde zieht. Er soll die Flasche in den großen Bitterfluss werfen, der die Welt umgibt, dann ist der Geist wirklich für alle Zeit unschädlich gemacht!« [Die Babylonier glaubten, dass die scheibenförmige Erde, in deren Mittelpunkt Babylon liegt, ein Bitterfluss umgibt.]

      »Meine Freundin, im Palast des Königs sehe ich jeden Tag viele Händler und Reisende. Sie kommen aus der ganzen Welt, aus Assur, aus dem Land der Phöniker und sogar der Ägypter - aber ich habe noch keinen getroffen, der bis an den Bitterfluss gekommen ist.«

      »Dann gib die Flasche einem jener Händler, die mit ihren Schiffen das große Meer befahren. Er soll sie dort ins Wasser werfen, wo es am tiefsten ist!«

      4. EIN SOUVENIR AUS MARRAKESCH

      Die ausgeleierten Stoßdämpfer des verrosteten Kleinlasters ließen seine hoch aufgetürmte Ladung beängstigend schwanken.

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