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       „Entsetzlich!“ sagte der Alte und lehnte sich, den Knochen neben sich legend, auf seine Decke zurück, während Tom ebenfalls seinen so schnell verlassenen Platz wieder einnahm und den Kopf in die Hand stützte.

       „Wir jagten hier oben nach Bienen“,9 fuhr Tom , vor sich niederstarrend und ganz im Andenken der alten Zeiten verloren, fort, „und Bill –“

       „Der Bootsmann?“ frug Edgeworth.

       „Nein, jener Unglückliche“, sagte Tom.

       „Und sein anderer Name?“

       „Den nannte er nie; wir waren auch nur vier Tage zusammen, und er gehörte, so viel ich verstanden habe, nach Ohio hinüber. Bill hatte jenen Burschen ein paar Dollar sehen lassen, und der wollte ihn gern Abends, als wir am Feuer gelagert waren, zum Spielen reizen. Er spielte aber nicht, und das erbitterte schon den nichtswürdigen Buben. Ein paar Nächte darauf hatte er’s dann auf irgend eine Art und Weise anzustellen gewußt, daß er den armen Jungen von uns fortbekam und die Nacht mit ihm allein auslagerte. Wir campierten an demselben Abend in der Nähe der Schlucht, in welcher wir heute zuerst auf die Bärin schossen; denn von der kleinen Prairie aus waren wir dorthin einem Bienenkurs gefolgt. Den anderen Tag ließ sich niemand von ihnen sehen, und als wir mit Sonnenuntergang zum Flußufer kamen, war das Boot fort.

       Dicht am Ufer übernachteten wir; der alte Sykomorestamm muß noch dort liegen, wo unser Feuer war; denn der hatte sich fest zwischen zwei Felsen gezwängt und konnte nicht fort, und als wir am nächsten Morgen die Bank erstiegen, wurden wir zuerst durch die Aasgeier aufmerksam gemacht, von denen eine große Menge nach einer Richtung hinzog.

       ‚Gebt Acht’, sagte mein Begleiter, ein Jäger aus Kentucky, mit dem ich damals in Compagnie10 jagte, ‚gebt Acht, der lumpige Flatbooter hat den Kurzfuß kalt gemacht.’“

       „Kurzfuß?“ fuhr der Alte erschrocken auf. „Warum nannte er ihn Kurzfuß?“

       „Sein rechtes Bein war etwas kürzer als das linke, und er hinkte ein wenig, aber nicht viel, und richtig – wie wir auf den Hügel hier kommen – ich vergäße den Anblick nicht, und wenn ich tausend Jahre alt würde – da lag der Körper, und die Aasgeier – aber was ist Euch, Edgeworth, was habt Ihr? Ihr seid –“

       „Hatte der – der Kurzfuß oder – oder Bill, wie Ihr ihn nanntet – eine Narbe über der Stirn?“

       „Ja – eine große, rote Narbe – kanntet ihr ihn?“

       Der alte Mann preßte seine Hände vor die Stirn und sank in stummem Schmerz auf sein Lager zurück.

       „Was ist Euch, Edgeworth? Um Gottes Willen, Mann – was fehlt Euch?“ rief der Matrose, jetzt wirklich erschreckt emporspringend. „Kommt zu Euch – wer war jener Unglückliche?“

       „Mein Kind – mein Sohn!“ schluchzte der Greis und drückte seine eiskalten, leichenartigen Finger fest vor die heißen, trockenen Augenhöhlen.

       „Allmächtiger Gott!“ sagte Tom erschüttert. „Das ist schrecklich – armer – armer – Vater!“

       „Und Ihr begrubt ihn nicht!“ frug dieser endlich nach langer Pause, in der er versucht hatte, sich ein wenig zu sammeln.

       „Doch – er bekam ein Jägergrab“, antwortete leise und mitleidig der junge Mann. „Wir hatten nichts mit uns, als unsere kleinen indianischen Tomahawks, und der Boden war dürr und hart da – aber ich martere Euch mit meinen Worten –“

       „Erzählt nur weiter – bitte – laßt mich alles wissen“, bat flehend der Vater.

       „Da legten wir ihn hier unter diese Eiche, trugen von allen Seiten Stangen und Äste herbei, daß kein wildes Tier, wie stark es auch gewesen, ihn erreichen konnte, denn Bären lassen die Leichen zufrieden, und ich hieb mit dem Tomahawk noch zuletzt das einfache Kreuz hier in den Stamm.“

       Edgeworth starrte still und leichenblaß vor sich nieder. Nach kurzer, peinlicher Pause richtete er sich aber wieder empor, schaute zitternd und traurig umher und flüsterte:

       „Wir liegen hier also auf seinem Grabe – in seinem Garbe – und mein armer, armer William mußte auf solche Weise enden! Doch seine Gebeine dürfen nicht so umhergestreut länger dem Sturm und Wetter preisgegeben werden. Ihr helft sie mir begraben, nicht wahr, Tom?“

       „Von Herzen gern, nur – wir haben kein Werkzeug.“

       „Auf dem Boote sind zwei Spaten und mehrere Hacken – die Leute müssen helfen. – Ich will meinem Sohne, und wenn auch erst nach langen Jahren, die letzte Ehre erweisen; es ist ja alles, was ich für ihn tun kann.“

       „Sollen wir lieber unser Lager hinüber auf die andere Seite des Feuers machen?“ frug Tom.

       „Glaubt Ihr, ich scheute mich vor der Stelle, wo mein armes Kind vermoderte?“ sagte der Greis. „Es ist ja auch ein Wiedersehen, wenngleich ein gar schmerzliches. Ich glaubte an seinem Herzen noch einmal liegen zu können, und finde jetzt – seine Gebeine umhergestreut in der Wildnis. – Aber gute Nacht, Tom – Ihr müßt müde sein von des Tages Anstrengungen – wir wollen ein wenig schlafen, und der anbrechende Tag finde uns erwacht und mit unserer Arbeit beschäftigt.“

       Sicherlich nur, um den jüngeren Gefährten zu schonen, warf sich der alte Mann auf sein Lager zurück und schloß die Augen. Kein Schlaf senkte sich aber auf seine tränenschweren Lider, und als der kühle Morgenwind durch die rauschenden Wipfel der Kiefern und Eichen säuselte, stand er auf, fachte das jetzt fast niedergebrannte Feuer zu heller, lodernder Flamme an und begann bei dessen Licht die um das Lager herumgestreuten Gebeine zu sammeln. Tom, hierdurch ermuntert, half ihm schweigend in seiner Arbeit und näherte sich dabei dem Platze, wo Wolf, etwa dreißig Schritt vom Feuer entfernt, zusammengekauert neben einem kleinen Ulmenbusche lag. Obgleich die beiden aber sonst sehr gute Bekannte waren, empfing ihn der alte Hund doch sehr unfreundlich, und knurrte mürrisch und drohend. –

       „Wolf! Schämst du dich nicht, Alter?“ sagte der junge Mann, auf ihn zugehend. „Du träumst wohl, du faules Vieh – weist mir die Zähne?“

       Der Hund beruhigte sich jedoch selbst durch die Ansprache nicht und knurrte nur stärker, wedelte aber auch dabei leise mit dem Schwanze, gerade als ob er hätte sagen wollen: Ich kenne dich recht gut und weiß, daß du ein Freund bist, aber hierher darfst du mir trotz alledem nicht.

       Tom blieb stehen und sagte zu Edgeworth, der auf ihn zukam:

       „Seht den Hund an, er hat da etwas unter dem Laube und will mich nicht näher lassen. Was es nur sein mag?“

       Edgeworth ging auf ihn zu, schob leise seinen Kopf zur Seite und fand zwischen den Pfoten des treuen Tieres – den Schädel seines Sohnes – wobei Wolf, als jener die Überreste des teuren Hauptes seufzend emporhob, an ihm hinauf sprang und winselte und bellte.

       „Das kluge Tier weiß, daß es Menschenknochen sind“, sagte der Matrose.

       „Ich glaube, beim ewigen Gott, er kennt die Gebeine!“ rief der Greis erschrocken. „Bill hat ihn aufgezogen und ging nie, von dem Augenblick an, wo er laufen konnte, einen Schritt ohne ihn in den Wald.“

       „Das ist ja nicht möglich – die Gebeine können keinen Geruch behalten haben. – Wie alt ist denn der Hund?“

       „Acht Jahre – aber so klug wie je ein Tier einer Fährte folgte“, sagte der Greis. „Wolf – komm hierher“, wandte er sich dann an den Winselnden, „komm her, mein Hund – kennst du Bill noch, deinen alten guten Herrn?“

       Wolf setzte sich nieder, hob den spitzigen Kopf hoch empor, sah seinem Herrn treuherzig in die Augen, warf sich mehrere Male unruhig von einem Vorderlauf auf den anderen und stieß plötzlich ein nicht lautes, aber so wehmütig klagendes Geheul aus, daß sich der alte Mann nicht länger halten konnte. Er kniete neben dem Tier nieder, umschlang seinen Hals, und machte durch einen heißen, lindernden Tränenstrom seinem gepreßten Herzen Luft.

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