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Mittelmeerküste trinken!“

      Die Atmosphäre des ‚verzauberten Gartens‘ stand in Kontrast zur dunklen Festung der Rittersäle, die einem das düstere Mittelalter der Kreuzzüge und Judenverfolgungen erfahrbar machte. Gott sei Dank leb‘ ich in diesem Jahrhundert, dachte Stefan, indem er die dunklen Räume mit den martialischen Bildern, Fahnen und Waffen durchquerte. Das war nicht seine Welt. Froh blickte er am Ende des Rundgangs in den weiten Himmel über Akko, der vor 1000 Jahren ähnlich ausgesehen haben musste.

      Nicht nur Stefan, sondern auch Max und einigen anderen war die Düsternis der Festung aufs Gemüt geschlagen. Der Kaffee, der von Ben als der beste der israelischen Mittelmeerküste versprochen wurde, war Geschmackssache. Liebte man einen starken, fast sauren Kaffee, konnte man Ben Recht geben. Andernfalls hielt man ihn für einen Hochstapler. Auf jeden Fall vertrieben der Kaffee und das süße Gebäck, das es umsonst dazu gab, die letzten Geister des Mittelalters. Nur Mathilde litt mit einem Mal unter einer Übelkeit, die ihr den Rest dieses Tages und auch den nächsten beschwerte, den sie in ihrem Zimmer im Kibbuz verbrachte.

      Als Tobias mit allen an Bord den Busparkplatz verließ und Kurs auf Haifa nahm, fielen mehreren der Gruppe die Augen zu. Die vielen Eindrücke seit ihrem Aufbruch vom Hotel in Tel Aviv ermüdeten sie. Auch Max, der schon auf dem Weg nach Akko im Bus eingeschlafen war, ließ den Kopf nach wenigen Minuten Fahrt auf die Seite sacken.

      Sein Leben war in den letzten Jahren kein Zuckerschlecken gewesen. Die Scheidung von seiner Frau, sie nagte an seinem Urvertrauen. Außer der Scheidung kosteten ihn auch die Arbeit und die Erziehung der beiden Söhne Kraft. Hier im Reisebus in Israel konnte er Schlaf nachholen.

      Das Licht über Haifa wurde schwächer. In Serpentinen fuhr Tobias den Reisebus in eine schwindelerregende Höhe. Fast am Scheitelpunkt des Gipfels angekommen parkte er am obersten Zipfel der sich den Berg hinaufziehenden Gartenanlage der „Hängenden Gärten der Bahai“. Nachdem die Gruppe ausgestiegen war und einen freien Blick auf die Gärten sowie über die Bucht von Haifa teilte, erklärte Ben die Bedeutung und Geschichte einiger Gebäude. Aus der Ferne konnten die U-Boote im Hafen ausgemacht werden, die das israelische Militär von Deutschland gekauft hatte.

      Die Religion der Bahá`i kannten Max und Stefan durch einen gemeinsamen Freund, der Bahá`i war. Nicht weit von Frankfurt entfernt auf einer Anhöhe des Taunus stand der europäische Bahá`i-Tempel. Er bestach durch eine schlichte, europäische, am Bauhaus orientierte Architektur. Diese konnte mit der Pracht des von den paradiesischen Gärten umgebenen Totenschrein des Bab – dem Wegbereiter der Bahá`i-Religion – hier in Haifa nicht verglichen werden.

      Die Bahá`i sind die jüngste der Weltreligionen. Auf dem Gelände in Haifa befand sich neben dem Grabmal des Bab die weltweit wirkende Verwaltungszentrale der Bahá`i. Ihre zentralen Grundsätze hießen: „Die ganze Menschheit ist als Einheit zu betrachten. Die Religion muss die Ursache der Einigkeit und Eintracht unter den Menschen sein. Mann und Frau haben gleiche Rechte. Beide Geschlechter müssen die beste geistige und sittliche Bildung und Erziehung erfahren.“

      Gerne hätten Stefan, Maria und noch ein paar andere der Gruppe die Bahá`i Gärten besichtigt, aber die Wärter waren dabei, das obere Tor zur Gartenanlage zu schließen.

      Auf der anderen Seite des Berges, den Tobias zuvor den Bus nach oben gesteuert hatte, musste er ihn und die Insassen heil nach unten bringen, was schwieriger war. Nicht nur das Gefälle, sondern auch die Enge der einspurigen Straße erforderte Tobias‘ und Bens Aufmerksamkeit. Ben hatte im Blick, dass die rechte Seite des Buses an nichts stieß.

      Nach der Hälfte der Strecke des mit Wohnhäusern dicht bebauten Berges versperrte ein Lieferwagen die Straße. Zwar hatte dessen Fahrer die Warnblinkanlage angestellt, so dass der Wagen bei der Dämmerung von Weitem gut sichtbar war. Doch die Lichter halfen nicht dabei, an ihm vorbeizukommen. Ben stieg aus, während Tobias von innen den linken Außenspiegel einklappte. Aber diese Verminderung der Busbreite reichte nicht, das Hindernis zu umfahren. Also begann Tobias zu hupen und Ben klingelte bei dem Haus, vor dem der Lieferwagen stand. Kurz darauf kam ein Mann aus dem Haus gelaufen. Er entschuldigte sich bei Ben und Tobias, er habe eine Waschmaschine liefern müssen. Alles war geklärt. Er hob dankend die Hand, ehe er in seinen Wagen stieg und vor der Reisegruppe die zweite Hälfte des Berges hinunterfuhr.

      Jetzt gab es kein Halten mehr. Tobias fuhr auf dem Highway 6 ostwärts zum See Genezareth. Die leicht hügelige, trockene Landschaft, auf der wahllos ein paar Häusersiedlungen, Sträucher, manchmal Ansammlungen von Olivenbäumen und hin und wieder eine Schafherde zu sehen waren, bildete eine Kopie der Landschaftsaufnahmen, die Max zum ersten Mal in dem Bildband betrachtete, den Dieter Elli von seiner Israelreise mitgebracht hatte. Dass sich seine Vorstellung, seine Phantasie, nahezu deckungsgleich zur Wirklichkeit verhielt, verwunderte ihn. Bei allen anderen Reisen zuvor gab es einen Unterschied, mal stärker, mal schwächer zwischen den Bildern in den Reiseführern, die Max‘ Phantasie anregten, und der Realität, die sich während der Reise offenbarte.

      Das Zugangstor zum Kibbuz war bereits verschlossen, als sie im Dunkeln ankamen. Ein Anruf von Ben und ein Wachmann öffnete das Tor, so dass sie ins Innere des Kibbuzes hineinfahren konnten. Die hohe Luftfeuchtigkeit hier am Ufer des See Genezareth erinnerte Stefan an einen Urlaub auf Hawaii. Als er dort aus dem Flugzeug ausgestiegen und zum Terminal gelaufen war, fühlte er sich wie in weiche, angefeuchtete Watte gehüllt. Dasselbe Gefühl erfüllte ihn hier, als er aus dem Bus ausstieg, seinen Koffer aus dem Gepäckraum holte und, nachdem sie von Ben einen Schlüssel bekommen hatten, neben Max zu ihrem kleinen Ferienbungalow ging. Dabei kamen sie dem See Genezareth näher, konnten ihn sehen, bevor sie auf einem der schmalen Wege links abbogen, wo sie ihre Unterkunft, Haus Nr. 33, aufschlossen.

      Auch die gepflegte Grünanlage sowie die weiß getünchten Bungalows, die aus stabilen Holzelementen zusammengebaut und denen kleine Veranden vor der Eingangstür vorgelagert waren, glichen den Häusern der Appartementanlage auf Hawaii. Die moderne Einrichtung, die einem schwarz-weißen Farbkonzept folgte, bildete einen Kontrast, den sich die US-amerikanischen Innenarchitekten in der hawaiianischen Appartementanlage nicht zu setzen getraut hatten.

      Nachdem sie sich eingerichtet und erholt hatten, liefen sie in Richtung des zentral gelegenen Gebäudes, in dem sich der Speisesaal befand. Dessen lange Tischreihen führten zu einer breiten Fensterfront mit Seeblick. Der Saal bot Platz für 250 Personen. Da nicht ersichtlich war, welcher der Tische für Stefans und Max‘ Reisegruppe gedacht war, platzierten sie sich mit ihren Tellern, auf denen Kostproben der verschiedenen Salate, des Fisch- und Lammgerichts sowie des Kartoffelgratins lagen, an dem Tisch, der vor der linken Wand des Saals stand. An diesem saß noch niemand.

      Das Paar, das sich Max und Stefan gegenübersetzte, war wie Maria und Mathilde ein Mutter-Tochter-Gespann, das um eine Generation nachhinten verschoben war.

      Die Mutter, Hannelore, wohnte in Dortmund und war jenseits der achtzig. Deren Tochter, Martina, war Mitte fünfzig und lebte in Berlin. Unvermittelt begannen sie das Gespräch. Es sei ihre letzte Reise, sagte Hannelore. Martina habe sie nochmal überredet. Eigentlich wolle sie nicht mehr verreisen. Aber Israel, da sei sie noch nie gewesen. Darum habe sie sich einen Ruck gegeben und sich entschlossen, mit ihrer Tochter Martina auf ihre letzte Reise zu gehen. Hannelore war ein Sonnenschein. Ehe Martina von sich erzählen konnte, was ihr ein Anliegen war, redete Hannelore über ihren Sohn Markus, dem älteren Bruder von Martina.

      Markus sei durch den Tod seines Vaters schmerzhaft bewusst geworden, dass die Zeit endlich sei. Denselben Fehler seines Vaters, zu oft die Pflicht dem Vergnügen vorzuziehen, habe er nicht begehen wollen. Deshalb habe er angefangen, die Welt zu bereisen. Das mache er inzwischen zehn Jahre lang. Er habe ein funktionierendes System entwickelt, wie er sich seine Reisen finanziere. Er arbeite als Briefträger für die Post, kaufe und verkaufe alte Musikinstru-mente und halte Vorträge über seine Reisen, hauptsächlich in Stadtbibliotheken. Auf diese Weise könne er mehr als sechs Monate pro Jahr die Welt sehen. Sein Lieblingsgebiet sei Südamerika, vor allem Kolumbien habe es ihm angetan, einer alten Liebe wegen, die zwar inzwischen einen Kolumbianer geheiratet habe, sich aber trotzdem immer die Zeit nehme, sei Markus vor Ort, sich auf einen Kaffee mit ihm zu treffen und über gemeinsame Erfahrungen zu plaudern.

      Je länger Hannelore von ihrem Sohn Markus erzählte, wurde

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