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Stiegenhaus warfen das Poltern einige Male zurück, dann war es wieder ruhig.

       Zu ruhig.

      Lisa inspizierte den Müllraum. Aber er war dunkel und leer. Sie sah zur Klinke der Waschraumtür hinüber.

       Vergiss es! Er ist nicht da. Niemand ist da!

      Zu ruhig … dieser Gedanke ließ sie nicht mehr los.

      Es war so leise im Haus, dass sie sich fragte, ob es wirklich nur am Stromausfall liegen konnte. Sie machte auf dem Absatz kehrt und huschte zum Stiegenaufgang zurück. Dort blieb sie stehen und sah die Treppe hoch. Diese führte in einen dunklen Schlauch hinein, dessen Ende man nicht sehen konnte, als ob der erste Stock und alles, was noch dahinter kam, hinter einem dunklen Vorhang verborgen liegen würde.

      Sie stand etwa zehn Minuten unentschlossen am Fuß der Treppe und betrachtete wie versteinert den Eingang zu dem schwarzen Loch, das den einzigen Weg zurück in ihre eigenen vier Wände bildete. Die vertraute Umgebung würde ihr die relative Sicherheit geben, die sie im Moment mehr herbeisehnte als alles andere. Lisa hoffte, dass ein Nachbar vorbeikäme, der sie begleiten konnte. Bei einem Wohnhaus, in dem etwa vierzig Parteien wohnten, musste doch früher oder später jemand ein- oder ausgehen.

       Was, wenn ich jetzt den halben Tag hier verbringe und darauf warte, dass jemand kommt? Bei meinem Glück lässt sich just heute keiner mehr vor dem Abend blicken. Warum habe ich nicht daran gedacht, eine Kerze mitzunehmen? Das ist doch zu blöd! ... Nein es ist einfach lächerlich, hier zu stehen und zu warten. Was soll schon geschehen? Entweder ich stehe hier bis zum jüngsten Tag, oder ich reiße mich zusammen und bin gleich wieder zuhause.

      Lisa nahm all ihren Mut zusammen und hastete Stufe für Stufe empor, wobei sie mit der rechten Hand das Geländer fest umklammerte und die Linke wie eine Blinde von sich streckte. An ihrer Wohnungstür angelangt, blickte sie ein letztes Mal über die Schulter zurück, während sie mit zittrigen Händen den Schlüssel ins Schloss steckte. Sie stieß die Tür auf und verschwand in ihrer Wohnung. Ihr war nicht ganz klar, warum sie derart verunsichert auf die Stille im Haus reagierte.

      Zu ruhig. Da war es wieder, dieses Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Es ist nur ein ganz normaler Stromausfall, verdrängte sie den beunruhigenden Gedanken.

      Lisa ging in die Küche und versuchte einen klaren Kopf zu bekommen. Die Luft in dem kleinen Raum war ziemlich stickig, denn die Sonne hatte den ganzen Vormittag zum Fenster hereingescheint. Sie öffnete es, und eine Brise feuchtheißer Sommerluft schlug ihr ins Gesicht.

       Na fein. Draußen ist es auch nicht kühler!

      Plötzlich verspürte sie das Verlangen nach einem starken Kaffee.

       Wenigstens Wasser und Gas stehen mir zur Verfügung.

      Sie stellte einen kleinen Rein mit Griff auf den Herd und erwärmte das Wasser über den zischenden Flammen. Dann beobachtete sie, wie kleine Luftbläschen an die Oberfläche stiegen, drehte den Herd ab und goss das heiße Wasser in den vorbereiteten Filteraufsatz. Rasch verbreitete sich der Kaffeduft in der kleinen Küche. Sie nahm die Tasse mit dem dampfenden Inhalt und sah aus dem Fenster.

      Im Innenhof, den man von dort aus überblicken konnte, wuchsen vier gewaltige Kastanienbäume. An anderen Tagen tummelten sich dort Scharen von Amseln und Spatzen in den Zweigen, und Kinder spielten kreischend in deren Schatten. Doch heute wirkte der Hof so trostlos und leer wie das Haus. Lisa hing ihren Gedanken nach, sodass sie diesem Umstand kaum Beachtung schenkte. Sie nippte an ihrer Tasse und dachte, dass sie nicht in der Garage nachgesehen hatte, ob sich der Hausmeister vielleicht dort aufhielt. Manchmal bestreute er Ölspuren und Benzinlacken mit Sägemehl oder wechselte ein schadhaftes Lämpchen aus.

      Nicht sehr sinnvoll, bei einem Stromausfall Lämpchen auszuwechseln! Auf so eine Idee kommst auch nur du, dachte sie und musste über sich selbst schmunzeln.

      Lisa begann, ihre nächsten Schritte zu planen, während sie am Fenster stand und Kaffee schlürfte. Sie wollte eine Dusche nehmen, danach eine Kleinigkeit essen und später einen Spaziergang im Park unternehmen. Wenn sie am Nachmittag zurückkäme, wäre das Problem mit dem Stromausfall höchstwahrscheinlich erledigt. Sie spürte neue Zuversicht durch ihren Körper strömen und fühlte sich deutlich besser. Die Kaffeetasse verschwand im Geschirrspüler und Lisa im Badezimmer, wo sie sich frischmachen wollte - für ihren ersten Ferientag, der zwar etwas unglücklich begonnen hatte, doch sie nahm sich vor, das Beste aus der Situation zu machen.

      Sie streifte ihre Kleidung ab und stieg in die Duschkabine. Anfangs war das Wasser noch angenehm warm...

      4.

      Robert hatte sich geirrt, was den Schatten der Allee betraf. Heute schien dieser bedeutungslos zu sein, denn es war selbst für einen Sommermorgen ungewöhnlich heiß und schwül. Der Schweiß rann ihm in Sturzbächen an Gesicht, Armen und Rücken herab. Er blickte auf seine Armbanduhr.

       Viertel vor Sieben!

      Er war fix und fertig, konnte sich nicht erinnern, dass die Luft schon einmal so drückend gewesen wäre. Zwar hatten sämtliche Wetterfrösche für diesen Nachmittag heftige Sommergewitter vorhergesagt, doch mit diesen Verhältnissen war nicht zu rechnen gewesen. Er wollte eigentlich noch einige Recherchen für einen Artikel, an dem er gerade arbeitete, durchführen, doch nun befürchtete er, dass seine Pläne, den Nachmittag betreffend, im wahrsten Sinn des Wortes ins Wasser fallen würden.

      Er beschloss, das Training zu beenden und nach Hause zurückzukehren. Im lockeren Laufschritt bog er von der Allee ab und begann sich das erste Mal, seit er von daheim aufgebrochen war, bewusst mit der näheren Umgebung zu befassen. Es war ihm keineswegs entgangen, dass er noch keinem Menschen begegnet war, hatte diesen Umstand jedoch auf das Wochenende, die frühe Stunde, das schwüle Wetter und den ersten Ferientag zurückgeführt. Wenngleich normalerweise am ersten Ferientag eine große Stampede Richtung Süden aufbrach. Jedenfalls in den Jahren zuvor war das der Fall gewesen.

       Ich kann nichts hören. Vielleicht ein Druck in den Ohren?

      Als er die Donau-Lände erreichte, um den Kanal an diesem Morgen zum zweiten Mal zu überqueren, hielt er an. Die an anderen Tagen stark frequentierte Straße war noch immer leergefegt. Er sah nochmals auf seine Uhr, um sicher zu gehen.

       Das gibt es doch nicht!

      Es begann ihn leicht zu frösteln.

       Was zum Henker ist hier eigentlich los?

      Er begriff, dass irgendetwas geschehen sein musste, dass noch nicht bis zu seinem Verstand vorgedrungen war. Er stolperte einige Schritte weiter bis zur Mitte der Fahrbahn, wo er abermals stoppte. So stand er mit halb geöffnetem Mund da und starrte die Straße hinunter, als würden dort zigtausend nackte Frauen für mehr Gleichberechtigung demonstrieren.

       Was ist...

      Er vollzog eine halbkreisförmige Drehung, wobei er mit weit aufgerissenen Augen versuchte irgendeinen Menschen oder eine Bewegung, irgendwelche Anzeichen von Aktivitäten innerhalb seiner Reichweite zu erkennen. Seine Lähmung begann sich langsam wieder zu lösen, und seine Gedanken meldeten sich in Zeitlupentempo von dort zurück, wohin auch immer sie in der letzten Minute verschwunden waren. Ein leichtes Schwindelgefühl überkam ihn. Er schloss die Augen und atmete tief durch. Als er sie wieder öffnete, hatte er sich wieder halbwegs im Griff.

       Okay! Ich kann niemanden auf der Straße sehen. Dafür muss es eine logische Erklärung geben. Meine Uhr funktioniert nicht richtig - allerdings steht die Sonne dort, wo sie sein soll, also können wir die Möglichkeit, dass es viel zeitiger ist, als ich dachte, nicht in Betracht ziehen. ... Die Straße kann auch nicht wegen eines Unfalls gesperrt worden sein, denn das hätte keinerlei Einfluss auf den Verkehr am anderen Ufer. Drüben ist aber auch keiner unterwegs!

      Sein Blick wanderte auf die andere Seite des Kanals hinüber.

       Nichts. Kein Auto. Keine Leute. Irgendetwas ist geschehen, sodass keiner auf der Straße unterwegs ... Oh mein

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