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Hirschparade. Gerti Richter
Читать онлайн.Название Hirschparade
Год выпуска 0
isbn 9783847677512
Автор произведения Gerti Richter
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Er ist auf jeden Fall nicht so arm wie die Familie von Hamdi und Kybrie, das sieht man sofort. Er trägt einen dicken Goldring am kleinen Finger, auch im Mund hat er Gold. Wieder fühle ich mich sehr, sehr seltsam und deplatziert. „Tino ist ein guter Junge, er kann auch schon etwas, Ist er schon zur Schule gegangen?“ frage ich schließlich. Der Mann nickt. „Zwei Jahre, in Serbien. Zwei Jahre Schule. Dann weg mit Krieg.“ Ja, ich weiß. Und jetzt soll er sein Kind in die Schule hier stecken und nicht nur lernen lassen, wie man krumme Geschäfte macht, denke ich. „Bitte schicken Sie ihn hin. Das ist wichtig, Er lernt ja gut. Er muss kommen. Jeden Tag.“ So. Mehr kann ich nicht tun. Ob es hilft, wird sich zeigen. Aber dass die Kluft zwischen uns und ihnen so tief ist, das habe ich nicht gewusst.
Jetzt bin ich schon mehr als neun Monate dabei, und die Maßnahme läuft nur noch ungefähr acht Wochen. Frau Salberg versichert mir immer wieder, dass sie alles tut, damit das zweite Jahr ebenfalls bewilligt wird, und dass es bisher immer geklappt habe. Für mich wäre das besonders wichtig, denn als ich angefangen habe, lief die Maßnahme schon über einen Monat, so dass ich, wenn ich kein zweites Jahr bleiben könnte, nicht einmal ein ganzes Jahr gearbeotet hätte und damit auch kein Arbeitslosengeld bekommen würde. Ich hoffe jeden Tag auf gute Nachrichten und darauf, dass die Fäden meiner Chefin wirklich so tief ins Ministerium und in die Arbeitsverwaltung herein reichen, wie es bisher den Anschein hat. Die anderen Lehrer bemerken meine zunehmende Bedrückung und sind sehr nett zu mir. Ich bin jetzt eine gefragte Frau an der Schule. Frau Salberg hat immer wieder neue Ideen, was ich tun könnte. Am Anfang habe ich immer sofort versucht, alles umzusetzen, aber dann habe ich gemerkt, dass ihr Gedächtnis nicht so weit reicht wie ihre Phantasie. Sie hat am nächsten Tag vergessen, was sie vorher vorgeschlagen hat. Manche von ihren Vorschlägen wollte ich auch nicht wirklich gerne in die Tat umsetzen. So fand sie, dass es eine gute Idee wäre, wenn die Kinder aus den achten bis zehnten Klassen einmal in der Woche in ein Altersheim gingen und den alten Leuten etwas vorläsen oder für sie einkauften oder mit ihnen spazieren gingen. Pflichtschuldig habe ich den Kindern den Vorschlag gemacht und einen Termin gesetzt. Ich selber hatte keine Lust dazu. Mir ist einfach nicht danach, fremde alte Leute in Heimen zu besuchen, und den Kindern scheint es ähnlich zu gehen. Ein Mädchen hat sich eingefunden, und das auch nur einmal. Ich bin dann nicht mehr darauf zu sprechen gekommen und habe immer ein bisschen Angst gehabt, Frau Salberg würde das Thema noch einmal aufgreifen, aber das hat sie nicht gemacht. Daraus habe ich dann gelernt, dass ich mir einfach das aussuche, was ich machen will und das andere, wonach mir nicht der Sinn steht, gepflegt ignoriere. Chaos Surfen, nenne ich das bei mir, und es funktioniert gut.
Mittlerweile konkurrieren die Lehrer um mich, bei wem ich mithelfen darf. Die Brötchen sind ein Selbstläufer geworden, darum kümmert sich Sonya vor allem, aber in den Augen der Schüler und der Lehrer bin ich es, die in einem Atemzug mit dem gesunden Frühstück genannt wird.
Mein Leben ist abwechslungsreich. Ich begleite die Lehrer bei Ausflügen in Vergnügungsparks, zum Schlittschuhlaufen, ich helfe Frau Schweitzer in ihrer Auffangklasse, und wenn Hamdi, Kybrie oder Tino sich mal die Ehre geben, bin ich sofort dabei ihnen den nächsten Buchstaben zu vermitteln. Fatima und Karim können inzwischen in der Klasse von Frau Schweizer teilnehmen, sie haben den Anschluss gefunden. So vergeht die Zeit rasend schnell.
Und dann kommt die Hiobsbotschaft: Die Maßnahme wird nicht mehr verlängert. Die Stadt ist knapp mit Geldern, sehr, sehr knapp, es muss gespart werden, und zum ersten Mal in der Geschichte der ABM an der Hauptschule Am Anger wird das zweite Jahr nicht bewilligt. Ich bin verzweifelt und Frau Sahlberg ebenfalls. Sie verspricht mir, dass sie nichts unversucht lassen wird, mir eine Anschlussstelle zu vermitteln, und ich will ihr nur zu gern glauben.
Mittlerweile naht mein letzter Tag. „Gerti, ich möchte dir bei deiner Abschiedsfeier helfen“, sagt Sonya mir, als wir gerade die Bleche abspülen und wieder in die Schränke räumen. „Abschiedsfeier? Wie kommst du darauf?“ Sonya ist ein bisschen verlegen. „Frau Salberg hat mir gesagt, dass am Donnerstag dein letzter Tag ist. Ich dachte, wir können doch ein bisschen feiern. Ich mache Essen. Türkische Salate und so. Ich kann das gut, und würde es gern machen. Wir laden dann alle Lehrer ein und dann hast du eine schöne Verabschiedung.“ Ich bin richtig gerührt. „Ja klar, wenn du Lust hast, dann machen wir das zusammen.“
Sonya macht den Speiseplan, stellt zusammen, was sie braucht und übernimmt auch die Einladungen. Ich stehe ein bisschen fassungslos da, dass sie so viel Aufwand macht, aber schön ist es doch. Wir kaufen Unmengen von Zutaten. Nüsse, Dicke Bohnen, Kichererbsen, Knoblauch, Fladenbrot, Joghurt, Quark, Sesamöl, und sie bringt von zu Hause ihre eigenen Gewürze mit. Wir arbeiten zwei Tage in der Schulküche an dem Festmahl. Alles ist vegetarisch, sie hat Salate und unterschiedliche Pasten aus Körnern, Nüssen, Gemüsen getoastet und ungetoastet, hergestellt, und als dann die Lehrer an meinem letzten Tag nachmittags erscheinen, hört man die erste Viertelstunde nur Ausrufe der Bewunderung und des Erstaunens über das reichhaltige Buffet.
Wir essen und trinken, und dann hält Frau Salberg eine kleine Ansprache. Sie dankt mir für meine Arbeit, hebt mehrmals die hohe Qualität der Brötchen hervor und sagt, wie schade es ist, dass ich sie jetzt verlassen muss. Dann überreicht sie mir einen schönen Blumenstrauß und ein großes Plakat.
Darauf ist eine Sonnenblume zu sehen, und in jedem der gelben Blütenblätter klebt ein Foto von einem der Lehrer. Daneben haben sie Sprechblasen gemalt und- wen wundert 's – die meisten schreiben, wie gut die Brötchen ihnen geschmeckt haben und wie traurig sie sind, dass das jetzt vorbei ist.
Ich bin auch traurig. Aber ich freue mich sehr über so viel Anerkennung und Dank.
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