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die von Narben durch kleine, längst verheilte Verletzungen kommen. Diese Hand ist sehr viel älter als das Mädchen nach Jahren, geht mir durch den Kopf. Ich drücke sie fest, und sage: „Kybrie, ich bin Frau Richter. Kannst du das sagen? Hallo Frau Richter?“ Jetzt hebt sie den Kopf ein kleines Stückchen weiter hoch und blickt mir fast richtig an. Sie hat olivfarbene Haut, dunkle Augen und dunkle Lippen, die Haare dunkelblond ins Rötliche gehend stehen in alle Richtungen, sie werden scheinbar nicht sehr oft gekämmt. Ihre Kleidung ist sauber, einfach, und aus dem grün-gelben Rock, den sie trägt, schauen zwei verschrammte, dunkle Beine hervor, die in ausgetretenen Schuhen enden. Die Armut steht ihr ins Gesicht geschrieben. „Hallo Frau Huhn“, bringt sie schließlich hervor. „Frau Huhn? Ich bin Frau Richter, Kybrie, nicht Huhn.“ Sie lächelt, „Frau Huhn“, wiederholt sie, etwas lauter und ganz freundlich. Ich wundere mich, lasse es aber zunächst dabei und wende mich den anderen Kindern zu. Der kleine Hamdi hat seine unterwürfige Haltung auch schon fast aufgegeben und begonnen zu zappeln. Seine Hautfarbe ist richtig dunkel, mit blitzenden, schwarzen Augen, schwarz-glänzendem Haar, das ihm wuschelig um den Kopf steht, in einer zu kurzen Hose und einem ungebügelten Oberhemd sieht er fast etwas verwegen aus. Ich streiche ihm über den Kopf und sage:“Hallo Hamdi, ich bin Frau Richter.“ Er antwortet gar nichts, aber er blickt mich jetzt frei und neugierig an. Der Dritte im Bunde, Tino, sieht am ehesten wie ein deutscher Junge aus, auch er ist schlank, von heller Hautfarbe, die hellbraunen Haare mit einem Seitenscheitel wie mit Wasser gekämmt. Er trägt Hosenträger, die die leicht zu große halblange Hose vor dem völligen Wegrutschen bewahren. Das Misstrauen in seinen Augen ist nicht zu übersehen, ich bin also besonders herzlich, als ich ihm meine Hand zum Gruß reiche.

      Folgsam und brav gehen sie im Gänsemarsch hinter mir her in den Klassenraum. Dort setzen sie sich an die Tische, jeder an einen, es ist ja viel Platz. Ich habe geplant, sie getrennt von den beiden Libanesen zu unterrichten, um sie erst einmal kennen zu lernen. Wie es scheint, kommen sie zur Schule, wann sie wollen. Also nicht jeden Tag, und wenn sie kommen, tun sie das meistens kurz vor der ersten großen Pause. Selten sind sie vor neun Uhr da. Das hat Frau Schweizer mir schon gesagt und mich vorgewarnt. „Vielleicht können Sie sie dazu bringen, dass sie morgens pünktlich sind“, bat sie mich.

      Die drei Kinder wohnen in einem Flüchtlingsheim am Ende des Stadtteils, und anscheinend nehmen die Eltern es mit dem Schulbesuch nicht sehr genau.

      Ich verteile Papier und Stifte und fordere sie auf, ihre Namen zu schreiben. Kybrie lacht. „Frau Huhn!“ sagt sie wieder. Ich antworte „Kybrie! schreib doch bitte deinen Namen auf das Blatt“. Sie scheint nicht zu verstehen, was ich von ihr will. Ich gehe zu ihr, nehme ihre Hand mit dem Stift in die Meine und beginne ein schönes, großes K auf das Blatt zu malen. Ihr Stift ist grün. Sie lässt es geschehen, ihre Hand ist ganz weich in meiner, sie zeigt nicht die geringste Initiative, den Stift selber führen zu wollen. So geht es mit dem ganzen Namen. „Und jetzt du!“ fordere ich sie in munterem Ton auf. Sie blickt mich an, den Stift, dann zieht sie einen Strich auf dem Papier. Es sieht ganz danach aus, als ob das Mädchen in ihrem ganzen Leben noch nie etwas geschrieben oder gemalt hat, noch nie einen Stift in der Hand gehalten hat. Inzwischen hat Hamdi begonnen, viele Punkte auf sein Blatt zu malen, er stupst mit dem Stift auf das Papier, so dass die Mine schon fast abgebrochen ist und auf dem Papier ein schönes Krikelkrakel zu sehen ist. Ich gehe zu ihm und schreibe Hamdi in großen Buchstaben auf sein Blatt, was er aber nur widerwillig geschehen lässt, denn er hat andere Pläne mit dem Stift und will lieber punkten. Tino ist der einzige, der seinen Namen schreiben kann. Ob er noch viel mehr kann, versuche ich in den nächsten Stunden herauszubekommen.

      Die drei sind nicht miteinander verwandt, sie kommen aus verschiedenen Teilen des ehemaligen Jugoslawien. Sie können sich untereinander verständigen, aber Tino ist irgendwie anders als die beiden. Er ist zurückhaltender, und er ist auch der Einzige, der schon eine Schule besucht hat. Er kommt aus Serbien, die anderen beiden aus dem Kosovo.

      Es dauert aber nicht lange und die Kinder verlieren das Interesse an Stiften, Papier und Namen schreiben. Sie beginnen, sich gegenseitig zu necken, werfen mit den Stiften, und dann gehen sie über Tische und Bänke, ganz im wörtlichen Sinne. Ich kann sie nicht aufhalten. Hamdi und Tino jagen sich durch den Klassenraum, werfen Stühle um, springen auf die Tische und wieder herunter, johlen und kreischen und Kybrie steht dabei, klatscht in die Hände und feuert sie in ihrer Sprache an..

      Ich breche ab und gehe mit ihnen nach draußen auf den Schulhof. Diese Unterrichtsstunde hat ungefähr fünfundzwanzig Minuten gedauert.

      „Na, wie kommen Sie zurecht? Haben Sie sich schon eingelebt?“ So begrüßt Frau Salberg mich heute morgen, jetzt bin ich schon fast ganze vier Wochen dabei!

      Ich bedanke mich und erzähle ein wenig von den Kindern, die schwer zu bändigen sind. „Wir sind ja so froh, dass wir Sie haben“, fährt Frau Salberg fort. „Wir legen doch so viel Wert darauf, kein Kind auszugrenzen und allen den Zugang zur Bildung zu ermöglichen, auch den Flüchtlingskindern, die vielleicht nur eine kurze Zeit bei uns sind. Aber wie Sie ja sehen, ist es bei manchen wirklich ganz unmöglich, sie in den normalen Unterrichtsablauf zu integrieren. Wie schön, dass Sie so gut zurechtkommen!“ Ich freue mich über dieses Lob, aber ich finde eigentlich, dass meine Aktivitäten doch ziemlich begrenzt wirksam sind. Sicher, ich habe rund um den Klassenraum ein Papierband mit dem Alphabeth in Großbuchstaben aufgehängt, die beiden Jungen können ihre Namen schreiben, Kybrie erkennt ihren Namen zwischen anderen heraus, aber es ist immer noch sehr, sehr mühsam.

      „Haben Sie eigentlich schon mit Ihrem Kollegen Kontakt aufgenommen wegen des gesunden Frühstücks?“ fährt Frau Salberg munter fort. Ach ja, die Brötchen. Na ja, vielleicht ist das am Ende doch gar keine so schlechte Idee. Die Kinder kommen sowieso nicht vor neun Uhr, und ich könnte versuchen, sie beim Backen mit einzubeziehen. Das wäre mal eine Abwechslung von dem „bitte setz dich auf deinen Platz“, was ich sonst mit den Kindern habe.

      „Ja, ich will gleich heute Mittag mal rüber fahren“, sage ich eifrig. „Das ist schön. Wirklich. Sagen Sie nur Bescheid, wenn Sie etwas benötigen!“ kommt noch als Antwort, und schon läuft sie mit ihrem schnellen Schritt weiter ins Lehrerzimmer.

      Der Kollege an der anderen Schule ist sehr nett, Volker heißt er. Er zeigt mir seine Küche und wie er jeden Morgen Teig ansetzt für die Brötchen. Die verkauft er dann für dreißig Pfennig in der großen Pause. „Und die Zutaten, woher bekommst du die?“ „Ich strecke alles erst mal selber vor. Mehl und Hefe kaufe ich, Margarine zum Draufschmieren auch, aber wenn ich dreißig Pfennig nehme, dann rechnet sich das, und ich zahle nicht noch drauf. Die Brötchen werden immer alle gekauft, ich mache ungefähr vierzig jeden Tag.“ Interessant.

      Frau Salmann möchte anscheinend unbedingt oder zumindest sehr gern, dass es auch Am Anger Brötchen gibt. Warum soll ich ihr den Gefallen also nicht tun? Außerdem gibt mir das die Möglichkeit, während der Dienstzeit die Schule mal zu verlassen und einzukaufen. Je länger ich darüber nachdenke, desto interessanter und vorteilhafter erscheint mir diese Aufgabe.

      Ich gehe zu der Hauswirtschaftslehrerin Kruse, die mir die Küche zeigen soll. „Ach, Frau Richter, ja, Sie kümmern sich um die kleinen Flüchtlinge? Wie schön.“

      „Ja, aber ich erledige auch noch andere Aufgaben, zum Beispiel dies gesunde Frühstück, das Frau Salberg hier jetzt auch einführen will.“ „Das ist eine gute Idee!“ ruft Frau Krause aus. „Wissen Sie, wir kochen hier zwei Mal in der Woche Mittagessen mit den Klassen sieben und acht. Frühstück wäre auch nicht schlecht, drüben gibt es das ja schon. Wissen Sie was, wenn Sie Zeit haben, können Sie doch heute Mittag mal dazu kommen, wenn ich mit der Sieben den Hauswirtschaftskurs habe, da kochen wir Spaghetti Bolognese. Sie lernen die Küche kennen und können hinterher auch mitessen.“ Ich bin begeistert. Das hört sich wirklich gut an.

      Pünktlich um viertel vor elf finde ich mich vor der Küche ein, zusammen mit einer Horde von lachenden, schwatzenden und sich hin und her schupsenden Jugendlichen. Die beachten mich kaum, blicken nur einmal kurz zu mir rüber, als Frau Krause mich vorstellt.

      Die Küche ist eine richtige Lehrküche, in vier Reihen stehen jeweils drei Herde mit Backöfen und voll eingerichteten Unterschränken, die alle nötigen Kochutensilien beherbergen, sowie

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