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mich.

      Freudestrahlend erscheint Frau Salberg im Lehrerzimmer: „Wir haben eine weitere ABM Kraft bewilligt bekommen! Das Ministerium hat kurzfristig zugestimmt!“ Sie blinzelt mir verschwörerisch zu. „Frau Richter, nächste Woche Montag fängt Frau Umutlu bei uns an. Nehmen Sie sie ein bisschen unter Ihre Fittiche und zeigen ihr alles, damit sie sich gut einlebt. Alles Weitere werden wir dann ja sehen.“ Und schon war sie wieder draußen. Das ist eine gute Nachricht. Ich nehme mir sofort vor, sie beim Brötchenbacken mit einzuspannen. Sonya, die neue ABM Kraft, ist eine freundliche, ruhige junge Frau aus einer türkischen Familie. Sie hat Biologie studiert und noch keine Stelle gefunden. Sie ist sofort begeistert dabei, als ich ihr von den Frühstücksbrötchen erzähle. Wir gehen jetzt gemeinsam einkaufen, und sie erzählt mir von ihrer Familie. Sie lebt allein in einer Wohnung, ihre Eltern und ihr Bruder wohnen im selben Stadtteil. Sie ist sehr froh, dass sie hier an der Schule arbeiten darf, und natürlich kann sie gut kochen und backen. Sie fuchst sich gleich richtig gut ein, und ich beschließe, dass ich es ihr überlassen kann, den Teig vorzubereiten. Sie sagt ja, dass es ihr nichts ausmacht, früh aufzustehen und früh mit der Arbeit anzufangen. Umso besser! Wenn ich jetzt morgens in die Schulküche komme, hat sie die Brötchen schon gerollt, und meistens sind auch schon ein paar Bleche belegt oder sogar schon im Ofen. Wunderbar!

      Seit einiger Zeit kommen die Roma Kinder nur noch sehr unregelmäßig. Wenn ich es genau bedenke, habe ich Hamdi schon seit mehr als einer Woche nicht mehr gesehen. „Schlafen“, sagt Kybrie, wenn ich sie frage. Aber auch sie kreuzt jetzt nur noch sehr selten auf. Ich beschließe, einen Hausbesuch zu machen und mit den Eltern zu sprechen. Ich erkundige mich nach der Adresse des Flüchtlingsheimes und mache mich auf den Weg.

      Ich muss ganz schon weit an den Rand der Stadt fahren, da, wo es sogar bei helllichtem Tag irgendwie unheimlich wird. Verlassene Industrieanlagen, zerfetzte Zäune, kaputte Autoreifen, Baracken und Feldwege, die in seltsame kleine Untergehölze führen, keine normalen Häuser sind mehr zu sehen. Doch, da ist wieder eine Art Siedlung mit Bürgersteigen und dreistöckigen Häusern. Aber ich muss noch immer weiter. Dann biege ich in eine kleine Straße ein, auf der stehen mindestens drei oder vier alte große Mercedesse, dunkelblau und schwarz. Und dann stehe ich vor einem hohen Drahtzaun mit einem Eingangstor. Das ist bewacht von Leuten in einem Turm, die stehen da und lassen keinen rein.

      Ich wundere mich sehr, gehe zu den Leuten hin. „Ich komme von der Schule, ich suche die Eltern der Kinder Kybrie, Hamdi und Tino. Die müssen hier wohnen.“ Die Männer blicken mich mit unbewegten Gesichtern an, höchstens eine Art mildes Mitleid kann ich noch erkennen, Mitleid mit mir, die sich in diese Gegend wagt wegen dreier dieser Kinder. Das Flüchtlingsheim ist ein großer, eingezäunter Platz, darauf stehen Wohnwagen, kleine, große, mittlere. Der Platz ist etwas matschig, aber nicht sehr, zum Glück hat es seit etwa drei Tagen nicht geregnet. Ich möchte nicht wissen, wie es hier bei schlechtem Wetter aussieht. Entlang des hohen Zaunes steht eine Reihe Wohnwagen, davor spielen Kinder. Jugendliche lehnen an Autos und rauchen, junge Frauen laufen mit großen Schüsseln voller Wäsche über den Platz, da ist Leben. Ich werde kaum beachtet, wie ich mich so quer vom Tor in Richtung der Wohnwagen bewege, wo die Kinder spielen, aber ich komme mir vor wie in einem Film. Hier ist eine andere Welt, das ist ganz klar. Plötzlich löst sich eine kleine Gestalt und läuft auf mich zu. Hamdi! Ich freue mich richtig, ihn zu sehen.

      „Hamdi, warum bist du nicht in der Schule? Siehst du, ich komme jetzt zu euch, weil ihr nicht zu mir kommt. Zeig mir, wo du wohnst und wo deine Eltern sind!“ Hamdi scheint sich auch zu freuen. Er nimmt mich bei der Hand und zieht mich weiter. Jetzt werden auch die anderen Kinder auf uns aufmerksam, sie unterbrechen ihr Spiel und starren uns an. Dann sehe ich Kybrie. Sie hat eine Schürze um und ist dabei, nasse Wäschestücke auszuwringen, die sie dann über das nächstgelegene Möbelstück zum Trockenen hängt. Vor Ihrem Wohnwagen liegt ein schmutziger roter Teppichfetzen. Sie blickt mich ganz verlegen an, als ich mit Hamdi vor ihr stehe. „Arbeite“, sagt sie und nimmt meine beiden Hände. „Frau Huhn!“ jetzt strahlt auch sie. Sie dreht sich zum Wohnwagen um, da steht eine alte Frau in der Tür. Sie sagt etwas und gestikuliert dabei, und wieder verstehe ich nur „Frau Huhn“. Ich gehe zu der Frau und begrüße sie. Sie bedeutet mir, einzutreten. Hamdi drängt sich an uns vorbei und kommt auch mit in den Wohnwagen. Drinnen sehe ich Matratzen auf dem Boden und aufgerollt an den Wänden stehen. Die Böden sind mit dünnem, blauem Teppichboden ausgelegt, es ist sehr eng. Wir setzen uns auf zwei kleine Stühle, die Frau will mit etwas zu Trinken anbieten, ich lehne aber ab. Ich fühle mich hier so entsetzlich fehl am Platz! Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wie man so leben kann. Die Frau trägt mehrere Schichten Röcke und eine Strickjacke darüber, sie sieht alt aus, aber ihr Haar ist nicht grau. Es ist gescheitelt und hängt unter einem lose gebundenen Tuch als dicker Zopf heraus. „Ich krank“, sagt sie „Und was ist mit Kybrie?“ frage ich. „Kybrie gut. Arbeiten. Gut. Tochter von Schwester.“ „Ich bin die Lehrerin der Kinder“, sage ich langsam und deutlich. „Sie müssen in die Schule kommen. Lernen. Verstehen Sie?“ „Ja“, sagt sie. „Schule. Du Lehrerin. Gut.“ „Hamdi ist seit fast zwei Wochen nicht in der Schule gewesen“, fahre ich fort. Und Kybrie auch nicht. Sie müssen kommen. Jeden Tag. Um acht Uhr. Verstehen Sie?“

      „Acht Uhr schlafen“, sagt die Frau. „Alle schlafen. Ich krank.“ Ok. Das habe ich verstanden. Ich habe auch verstanden, dass ich von dieser Frau und Mutter nichts erwarten kann. Sie hat vermutlich selber nie eine Schule von innen gesehen. Sie tut mir Leid, das ist alles. Hamdi sitzt die ganze Zeit mit den Händen unter den Oberschenkeln auf einem Hocker neben der Tür und beobachtet uns. „Hamdi, du musst doch in die Schule kommen“, wende ich mich an ihn. „Du musst doch lernen! Schreiben und Lesen und Rechnen. Morgen kommst du wieder, OK? Ich warte auf dich!“.

      „Wissen Sie Wo Tino wohnt?“ frage ich noch, bevor ich mich verabschiede. „Tino?“ Sie runzelt die Stirn. Hamdi läuft zu ihr und sagt etwas. „Da, da, andere Seite“, sagt sie und zeigt auf die Wohnwagen gegenüber. „Danke. Und auf Wiedersehen. Alles Gute!“ Kybrie hat sich die ganze Zeit nicht von der Stelle gerührt und weiter ihre Wäsche ausgewrungen. Ihr Kübel ist jetzt fast leer, und die ganze Umgebung ist mit Wäschestücken übersät. Auf einem alten Kinderwagen hängen ein Kopfkissenbezug und Strümpfe, ein großer Kühlschrank ist mit mehreren Hosen belegt, und über einem mageren kleinen Busch an der Seite des Wohnwagens hängen Unterhemden, T-Shirts, Blusen, so dass fast kein Blatt mehr zu sehen ist. „Kybrie“, sage ich ganz ernst und blicke sie streng an. „Du musst in die Schule kommen. Bring Hamdi mit. Das ist wichtig. Hörst du?“ Ach, so ein Elend, was soll ich da tun, um zu helfen? Das bisschen Schule, die paar Buchstaben, die ich ihnen beibringen kann, wenn sie wenigstens das annehmen würden! „Und jetzt gehe ich noch zu Tino“. Kybrie deutet wie ihre Mutter auf die andere Seite. Hamdi nimmt wieder meine Hand und geht ein Stück mit. Dann, etwa zwanzig Meter vor der Wohnwagenreihe macht er Halt, deutet auf die den Wagen mit der offenen Eingangstür, sagt „Tino“ und dreht bei.

      „Hamdi, du kommst morgen!“ rufe ich ihm beschwörend hinterher. Dann laufe ich die paar Schritte zu Tinos Wagen.

      Die Eingangstür ist oben rund, sie steht offen und ist von innen braun, was wie Holz aussehen soll. Eine kleine Treppe führt hoch. Ich klopfe an die Tür, um mich bemerkbar zu machen. Da steht Tino auch schon hinter mir. Ich hatte ihn gar nicht bemerkt. Von den Kindern spricht er als einziger ein ganz passables Deutsch. „Tino, wo steckt ihr die ganze Zeit“, sage ich streng zu ihm. „Warum seid ihr nicht in der Schule? Sind deine Eltern hier drin?“ Tino nickt. So schüchtern ist er sonst nicht. Er ruft etwas in den Wagen hinein, da steckt ein Mann seinen Kopf heraus. Zunächst sehe ich ein Hütchen mit einer langen Hahnenfeder daran, dann den ganzen Mann. Er ist rund wie eine Kugel, und oben auf seinem Kopf trägt er das grüne Hütchen, gekrönt von der langen, in allen Farben schillernden Hahnenfeder. Tino erklärt ihm , wer ich bin, ich sage wieder:“ Ich bin die Lehrerin“, dann folge ich ihm in den Wohnwagen.

      Hier sieht es aufgeräumter aus, es gibt eine Sitzecke mit Tisch und Bänken und Stühlen, ich werde genötigt Platz zu nehmen. Bilder sind an den Wänden, kleine, gerahmte Fotografien und kleine, bunte Wandteppiche. Eine Vase mit roten Plastikrosen steht auf dem Tisch. Der Mann stellt sich nicht vor, aber ich gehe davon aus, dass er Tinos Vater ist. Und da ist noch jemand in dem Wohnwagen, wie ich erst jetzt bemerke. Ein

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