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uns wenigen Männern an Bord mögen jedenfalls sehr dazu beigetragen haben, dass mir die Kleine Fahrt rundum gefiel, die auf MARGOT im Übrigen zu verrichtenden seemännischen Arbeiten - es wurde jede Taklerarbeit bordeigen gemacht - lagen ganz auf meiner Linie und boten mir viel Gelegenheit, die früh erlernten Kenntnisse in Spleißen von Drähten und Tauwerk, Knoten, Nähen mit Segelgarn etc. zu üben und zu vervollkommnen. Talkler- und Riggerarbeit für sein Schiff zu machen, ist für den Ausführenden nicht nur interessant und schön, es beinhaltet auch Verantwortung denen gegenüber, die damit in praktischer Verwendung umgehen müssen, bzw. auf die Güte des ihnen in die Hand gegebenen Materials vertrauen. Für jemand, der sich Seemann schimpft, sind geschilderte Tätigkeiten irgendwie in seinem Beruf das „Salz in der Suppe“. Leider steckt in jedem Detail aber auch der Teufel drin. Das Wissen um unser Können, unseren vermeintlichen Wert machte uns Männer der MARGOT, wenn auch berechtigt, nicht nur selbstbewusst, sondern gleichzeitig und in gleichem Maße auch leichtsinnig und forsch. Jugend kennt bekanntlich keine Tugend, sie glaubt vielmehr, sich in diesem und jenem einiges zwecks ihrer Selbstbestätigung durchaus schuldig sein zu müssen, zum ersten der holden Weiblichkeit gegenüber – wie oben geschildert –‚ zum zweiten im „Kampf gegen den Alkohol“. Letzteres geschah also auch unsererseits, allerdings weniger im Sinne der Heilsarmee, als im Versuch der Ausrottung dieses „Menschenfeindes“ durch pures Wegpicheln, wobei außerdem und gleichzeitig ein amtlicher Nachweis der persönlichen Standfestigkeit im Kampfgeschehen erbracht werden sollte. Was hinterher nach des „Teufels“ unausbleiblichem Sieg der Unterlegene, wenn auch im neckischen Sinne, oftmals anzustellen pflegte, erheitert nicht gerade immer die große Schar der Nüchternen und in Harlingen besonders nicht die kleine Zunft der dort ihr Zubrot verdienenden Polypen. Also hagelte es mehrmals, mal für den einen, mal für den anderen von uns, wegen zuviel Lebhaftigkeit Strafen in barer Münze, und ich handelte mir sogar eine Verurteilung wegen groben Unfugs in Tateinheit mit Falschangabe meines Namens ein. Auslösender Vorfall laut Anklage: Erklimmen eines hohen Laternenmastes in der Hafengegend (um oben die Gasleuchte funktionsuntüchtig zu machen) unter Undefinierbaren lauten Beitönen. Unten nach Rückkehr vom Olymp wenig liebevoller Empfang durch zwei übellaunige Ordnungshüter, anschließend auf Wache gröbliche Täuschung der Vollzugsorgane bei Feststellung der Identität des Täters, ich hatte anstatt meines Namens den eines am gleichen Tage abgemusterten Bordkameraden zu Protokoll gegeben. Am Morgen nach der Untat war die sorglos gelegte Bombe geplatzt, als die Polente zum Kassieren an Bord bei Capitano erschien. Selbiger kaufte mich gegen 50 Gulden (damals viel Geld) frei und nannte seinen „Lateiner“ - das waren für ihn sämtliche Intellektuellen - einen Raufbold und Randalierer, möglicherweise sogar Schläger, tatsächlich schien mein Wert ob meines frevelhaften Tuns bei ihm eher noch gestiegen zu sein. Er liebte verschuldete Besatzungsmänner, weil diese dann nicht abmustern konnten und dem Reeder damit die Fahrkosten Hamburg - Harlingen ersparten. Unser Chef war im übrigen höchstselbst durchaus kein Tugendapostel, seine Sünden lagen nur in einem anderen Bereich, sein Herz gehörte ausnahmslos allen Frauen, die seinen Weg kreuzten. Ja, die Dame MARGOT hatte es in vielen Dingen in sich, für mich selber hat sie zumindest einen reichlichen Erinnerungswert aufzuweisen. Genau acht runde Monate gehörte ich zu ihrer Besatzung, dann wollte ich wieder anderes von der Welt sehen. Seinem nächsten Schiff, dem Däumling „AUGUST SCHULZE“ kann der Chronist leider nicht die guten Noten, die er seinem Vorgänger zuteilte, geben. Es war zweifellos ein gesitteteres und schöneres Fahrzeug als jener, aber es war zur Hälfte von Ostfriesen besiedelt, mit denen der Schreiber bis dato in Einschätzung deren Wertes keinerlei Erfahrung besaß. Die es kommandierten, waren halb Bauern, halb Seefahrer, die Geborene ihres Stammlandes von vornherein weitaus höher einschätzten, als es Leuten aus anderen Heimatgauen recht zu sein schien. Genannter Untersatz gehörte zur Oldenburg-Portugiesischen Dampfschifffahrtsgesellschaft und fuhr nach Häfen in Spanien, Portugal, Marokko oder auf den Kanaren. Ein Plus für ihn errechne ich heute allein aus der Tatsache, dass ich nach Weggang von der seligen MARGOT nicht lange auf ihn warten musste. Trotz schon sehr mieser Arbeitslage in der Seeschifffahrt Ende 1928 fand ein Junggrad bzw. Leichtmatrose derzeit noch immer rasch ein Unterkommen an Bord, schwer war nur ein Avancieren zum Vollgrad des Matrosen, Matrosenplätze waren absolute Mangelware. Auf dem neuen Sampan lief im Decksbetrieb angesichts von eingeschifften acht Vollgraden (auf MARGOT nur zwei) praktisch und verständlicherweise alles ganz anders, als auf meinem vorigen. Leichtmatrosen wurden fast wie Decksjungen eingestuft, von den Matrosen und Offizieren wie die Dummen durch die Gegend gescheucht und nur an niedere Tätigkeiten heran gelassen. Das uns Deutschen viel nachgesagte „Nach oben kratzen – nach unten treten“ feierte auf AUGUST SCHULZE fröhlichen Urstand, umso mehr, je größer die Null war, und Nullen waren wir ja letzten Endes allesamt hinsichtlich der gesellschaftlichen Einreihung. Die Offiziere dieses meines Schiffes entsprachen in Haltung und Ausdruck etwa meiner Elnschätzung vom Schiffer oder Bestmann der verflossenen FAREWELL. Ein Anfänger nimmt primitive Vorgesetzte meist vorurteilslos hin, ein halbwegs „Oldtimer“ sieht sie, soweit er überhaupt eine Meinung hat, schon mit anderen Augen. Um nicht falsch verstanden zu werden, man erwartet unter den Führenden oder Offizieren auf Handelsschiffen seitens des einfachen Schiffsmannes keine Gelehrten oder Intelligenzbestien, der patentierte Mann auf der Brücke oder im Maschinenraum soll vielmehr mit seiner Erfahrung und seinem Fachwissen seinen Untergebenen die Gewähr für Sicherheit und Glaubwürdigkeit zu seinen Anordnungen vermitteln. Strahlt er darüber hinaus in seiner geistigen und äußeren Haltung auf seine people auch noch das Gefühl kameradschaftlichen Zusammengehörens miteinander aus, dann besitzt er alles, was einen Führenden einen wirklichen Führer sein lässt. Das war auf der AUGUST SCHULZE durchaus nicht gegeben, die erwähnte Sparte der Privilegierten fühlte allein ihren Mehrwert, der sie laut Papier zum Kommandieren berechtigte. Der Beste von ihnen war in meinen Augen noch der „Alte“, ein wortkarger Oldenburger mit einer Portion Misstrauen ohne Unterschied allen seinen Schäflein gegenüber, vielleicht auf Grund langjähriger bitterer Erfahrungen, was weiß davon schon ein Neuling. Unvergesslich an diesem Capitano meine erste Begegnung mit dem Mann. Am zweiten Tag meines Borddaseins, noch in Hamburg, bin ich Nachtwachmann. Der 1. Offizier hatte mir vor Wachantritt eingebläut, auf jeden Fall an der Gangway präsent zu sein, wenn der „Chef“ samt Ehegespons spätabends vom Landgang zurückkehrt. Ich laufe daher emsig an Deck herum, schaue nach den Festmacherleinen eher zu viel als zu wenig und so weiter und so fort. Ein Leichtmatrose als Wachmann im Hamburger Hafen war gewissermaßen ein „fulltime job“. Außerdem wurde bis etwa 23 Uhr auch noch Ladung eingenommen, was mich schon darum vorzugsweise an Deck herumkrabbeln ließ. Gegen Mitternacht kommen die Erwarteten angeschaukelt, ich stehe am Landgang, um der Ehefrau gegebenenfalls beim Erklimmen des Steges und Übersteigen auf die „Lotsentreppe“ (über die Reling gehakte Trittleiter) behilflich zu sein. Meinerseits tönt es pflichtschuldig „Guten Abend“, der Alte darauf: „op mi hebben Se wohl grad noch täuwt!“, kein Gegengruß sonst, nichts weiter. Mein Gedanke dazu: „ihr Bauern!“ Alles in allem gesagt, auf der AUGUST SCHULZE arbeiteten wir, solange ich diesen Zossen bevölkerte, nicht als ein aufeinander eingespieltes team und gegenseitiger Achtung voreinander zusammen, wir waren vielmehr ein wesenloser Haufen von unterschiedlichen Chargen. Die Reisen selbst nach Häfen in Portugal, Südspanien und Marokko waren an sich ein schönes Fahrtgebiet mit nur wenigen Reedehäfen und oft herrlichen Küstenszenerien, aber das allein konnte dieses Schiff in meinen Augen nicht aufwerten und ließ mich nur zwei je sechswöchige Reisen auf ihm machen. Markant übrigens auf erster Reise zur Winterzeit - der Winter 1928/29 war in Nordeuropa sehr streng - in Marokko Anfang Februar 1929 hatten wir gute 30 Grad Wärme, heimkehrend im Nordseeraum nur acht Tage später ca. 30 Grad Kälte, also rund 60 Grad Temperaturunterschied. Etwa ab Terschelling bis zur Elbmündung hin war die südliche Nordsee vereist. In Deutschland war inzwischen das Heer der Arbeitslosen ganz beträchtlich angewachsen, zum anderen hörte nun auch ein dem Teufelskreis Politik wenig verfallener Beobachter - die deutschen Seeleute gehörten im allgemeinen dazu - zunehmend mehr von einem gewissen Herren Hitler als einem ominösen Exponenten in der politischen Szene. Mir war der Name Hitler aus meinen letzten Tilsit-Jahren her zwar nicht unbekannt, aber ich hatte diesem Namensträger seinerzeit keine besondere Bedeutung zugemessen. Bei einem kameradschaftlichen Plausch hatten sich wider mein Erwarten auch zwei oder drei Bordkameraden auf AUGUST SCHULZE als Sympathisanten Hitlers bezeichnet. Das ließ mich insofern aufhorchen, als die Masse der deutschen Seeleute im Allgemeinen außer ein paar kommunistischen Schreiern dem damaligen politischen Geschehen teilnahmslos gegenüberstand. Dieser ging es angesichts
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