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und Antwerpen haben beide großen Handelsmetropolen meine ersten positiven Eindrücke niemals verwischen können, diese eher noch verstärkt. In Antwerpen am letzten Hafenabend bei Rückkehr an Bord – GABOON lag am Scheldekai richtig passend für weite Spaziergänge – fand ich unsere Herren Matrosen in ziemlich aufgeschreckter Stimmung. Sie waren kurz zuvor in trauter Gemeinschaft in einen bereits abgedeckten Laderaum eingestiegen und hatten daraus etliche Ballen feinen englischen Tuches entwendet. Bei dieser unfeinen Handlung, gedacht für privaten Handel an der afrikanischen Küste, hatte sie der „erste Leutnant“ erwischt, und den Übeltätern drohten nun möglicherweise strenge Strafen wegen Einbruchs und Diebstahls. Die Schiffsleitung entschied schließlich recht gnädig: Der Initiator der üblen Angelegenheit, mir persönlich ein höchst unsympathischer Bursche, wurde stante pede gefeuert, die restlichen Beteiligten kamen mit Geldbußen an die Schiffskasse davon. „By Jove“, diesmal war ich nun wirklich, zumindest umstandsbedingt, unbeteiligt gewesen, zum anderen lernt man aus solchen Vorfällen, dass das unerlaubte öffnen einer verschalkten Ladeluke ein Einbruch, dass eventuelle Hinterher des Klauens je nach Sachlage ein weiterer Einbruch oder ein Diebstahl ist. Solches Wissen ist wertvoll, auch wenn man es selber niemals praktisch durchexerzieren möchte. Und dann war GABOON endlich auf der Reise nach dem Süden mit anfänglich ruppiger See im Englischen Kanal und Golf von Biskaya. Rasch erfolgte dann der Übergang in Zonen ruhiger See und milden Klimas. Etwa querab auf Höhe Gibraltar der erste unvergessliche Anblick einer riesigen, aus dem Wasser springenden und elegant wieder eintauchenden Delphin-Herde (Fachausdruck: Schule) unter zartblauer, fast wolkenloser Himmelskuppel. Dann Madeira und die Kanaren, Ansteuern von Inseln, die bei Annäherung des Schiffes von Etappe zu Etappe förmlich aus dem Meer aufzutauchen scheinen und von Minute zu Minute greifbarer werden. In den Häfen von Funchal / Madeira und Las Palmas / Gran Canaria liegt GABOON vor Anker, längsseits Leichter für Ladungsabgabe oder -aufnahme und Händlerboote mit Frucht und billigen Souvenirs für Tauschhandel zwischen Janmaat und „Jude“, ein Geschäft meist ohne Vorteile für den Seemann. Jan Daddel liebt dieses „change for change“ bis auf den heutigen Tag, derzeit ganz besonders, weil es für ihn ja in vielen kleinen Hafen keinen „Bordvorschuss“ gab, seine Taschen also meist leer waren. Alles in allem jedenfalls auch beim Ankerliegen viel Betrieb und Unterhaltung, für mich, den Neuling, eine stetig rotierende andere Szenerie. Auf Freetown-Reede, dem ersten Westafrika-Port kommt dann eine zusätzliche schwarze crew an Bord, es sind 60 bis 70 leicht bekleidete schwarze Männer mit einer kargen Reiseausrüstung. Sie verteilen sich an Deck, überall hin in die entferntesten Ecken schleppen sie ihren Kram, richten sich dort häuslich ein. Sie sind nun während der Lösch- und Ladezeit an der Küste diejenigen „welche“ an Bord: Schauerleute, Schiffsverschönerer, Außenbordanstreicher, Messingblänker, Wäscher, außerdienstlich Burschen und Diener für die weißen „Herren“ (vom Matrosen aufwärts), Kaffeeträger und, und, und. Immerhin bleibt für die weiße crew auch noch genügend Arbeit nach, zur Hauptsache seemännischer Umgang mit Tauwerk, Drähten, Booten und deren Überholung. Außer drei Quartermeistern (Steurer) ist jede „deckshand“ während der Küstenfahrt Tagelöhner. So geht das je nach Ladungsanfall in den zahlreich unten angesteuerten Häfen vier bis sechs Wochen lang bis Freetown (Sierra Leone) auf Heimreise, wo die „crewboys“ (richtiger: cru-boys – Männer vom Stamm der Cru) die GABOON wieder verlassen. Letztere sind der weißen Decksmannschaft wegen der Tropenhitze eine wertvolle, Kräfte schonende Hilfe. Im Gegensatz zu späteren Jahren ist für die weißen Besatzungsmitglieder in den Tropen ein Herumlaufen an Deck mit bloßem Oberkörper verboten, obligatorisch muss zum anderen an Deck während der Tagesstunden ein von der Reederei verpasster Tropenhelm getragen werden. Wer ohne „toppy“ während der hellen Tageszeit angetroffen wird, zahlt eine Geldstrafe an die Bordkasse, in Wiederholungsfällen jeweils die doppelte Summe des vorangegangenen Betrags. Kurz vor dem Mittagessen versammelt sich zum anderen die gesamte weiße crew mittschiffs an Deck, wo jeder Mann ein Schnapsglas voll Chininwassers (in Wasser bereits aufgelöste Chinin-Tabletten) und dahinter zum Nachspülen des bitteren Chinin ein halbes Wasserglas voll Rum zum Austrinken vor den Augen der Obrigkeit erhält. Da mancher den Rum nicht trinken mochte, waren ihm andere trinkfeste Kameraden gern dabei behilflich, zumal sonst damals auf englischen Schiffen für die gewöhnlichen Dienstgrade der Besitz von Alkoholika strikt verboten war. In der Kantine gab es nur allgemein Tabakwaren und für Vollgrade geringe Mengen Flaschenbier. Irgendwelche Limonaden oder ähnliche Erfrischungsgetränke führte die Kantine nicht, stattdessen bekam jede Messegemeinschaft kostenlos zum Wochenproviant eine Liter-Buddel „lime juice“ (Limonen-Syrup), welcher Wortbegriff derzeit im Seemannsjargon für jedes britische Schiff und jeden englischen Seemann schlechtweg als Identifikation Gültigkeit hatte. Dem „lime juice“ sagt man zum anderen gewisse, die menschliche Gesundheit schädigende Auswirkungen bei länger anhaltender Verwendung als Limonaden-Verdünnungsmittel nach, z. B. nachlassende Manneskraft bis zu geschlechtlicher Impotenz. Die englischen Seemannsgesetze und ausgestellten Proviantrollen waren, derzeit wenigstens, alles in allem wie jedes Ding im britischen Empire althergebracht konservativ und teilweise ausgefallen und streng. Sie waren abgeleitet aus dem traditionell gepflegten Brauchtum und aus gerecht empfundenen Dienstvorschriften der englischen Kriegsmarine etwa seit Nelsons Zeiten oder noch früheren Epochen. Rückblickend auf meine englische Seefahrerzeit möchte ich sagen, es war vieles auf meinen englischen Schiffen mit mehrhundertjährigem Staub bedeckt, die Bordgepflogenheiten und Ansichten hinsichtlich Disziplin und Moral waren im Übrigen einerseits altväterlich, andererseits bei genauem Hinsehen oft reichlich zwielichtig. Aber vorzugsweise unter steter Einhaltung des Althergebrachten, und mit ihren selbst gefertigten und selbstgefälligen Tugenden hatten die Briten schließlich ein Weltreich mit Hunderten von Millionen Kolonial-Untertanen erworben, sie mussten demnach an sich als die begnadeten Vertreter eines Herrenvolkes glauben und in der Kontinuität ihres Tuns und Lassens die beste Garantie für ihren Fortbestand als Volk und den ihres Weltreiches sehen. Dennoch bin ich auf meinen vier englischen Schiffen mit durchweg reinen Engländern als Bordoffizieren keiner Überheblichkeit der „Machthaber“ begegnet, genau so wenig bei meinen späteren vielen Kontakten mit Briten in ihrem Heimatland selber. Die Behandlung von uns Ausländern an Bord incl. der schwarzen Maschinenbesatzung war gerecht, objektiv und unparteiisch, vorausgesetzt natürlich, dass man selber guten Willens war. Ich wuchs jedenfalls rasch und mühelos in die Bordgemeinschaft hinein und fühlte mich auf GABOON uneingeschränkt wohl. Trotz Tropenhitze und viel vergossenen Schweißes konnte mir jede Arbeit recht sein, auch zusätzlich freiwillige Tätigkeiten, wie Erlernen des Schiff-Steuerns und guter Handfertigkeit in „Knoten und Spleißen“. Vorgesetzte und Matrosen unterstützten dabei, soweit angängig, meinen Lerneifer. Wie nützlich sich das für das Schiff und mich selber auswirkte, das zeigte die Heimreise, als die halbe Decksmannschaft nach Verlassen der westafrikanischen Küste trotz aller vorsorglichen Chinin-Einnahme mehr oder weniger schwer an Malaria erkrankte bzw. mein Einsatz als Wachgänger und Steurer ein Gebot der Stunde wurde. Wir konnten mit den wenigen gesunden Männern die auf Engländern übliche Zweiwachen-Einteilung sonst anders nicht einhalten, es sei denn, dass die wachhabenden „mates“ selber ihr Schiff steuerten. Solches tun britische „gentlemen“ aber nur im äußersten Notfall, also ließ die Schiffsleitung mich Decksjungen – laut Gesetz international nicht statthaft – in dieser Notsituation Wache mitgehen mit allen Funktionen eines Wachgängers, Steuern (Rudergehen), Ausguck bei Nacht auf der Back, Brücke oder im Mast(korb) und Flötentörn, was abwechselnd auf die Männer einer Wache verteilt wird. Erschwert wurde die Heimreise durch ein Sauwetter, praktisch ab Afrika-Küste bis zum Englischen Kanal hinauf. Wir hatten einen schon für jene südlichen Breiten einfach unwahrscheinlichen Seegang, stampften und rollten, je weiter GABOON nach Norden kam, wie ein Lämmerschwanz in der kochenden See. Als Rudergänger hat man in solchem Fall Mühe, den Kahn auf Kurs zu halten. Ein größeres oder großes Schiff zu steuern, ist unter normalen Bedingungen problemlos, es wird jedoch zur Gefühlssache bei schwerer See. Irgendwie ist ein Schiff so eine Art Lebewesen mit einer Seele in seinem Stahlleib. Diese Definition ist wahrscheinlich insofern zutreffend, als bauliche Qualität, möglichst maßgerechte Linienführung und maximal günstige Stabilität des Schiffskörpers im Verein mit gut durchdachter Stauung der Fracht für den „Geist“ eines Schiffes auf See ausschlaggebend sind. Speziell bei Stückgutladung mit variabler Stau-Notwendigkeit ändern sich jedoch zwangsläufig und wider alles Kalkül die Eigenschaft und das Verhalten jedes seegehenden Fahrzeuges, also ändert sich auch seine Seele, bzw. die Anpassung des Steurers an dessen „Launen“.

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