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desselben Jahres wird sie zu der Familie Reinach eingeladen. Dieses ist ein wichtiger Schritt für ihre Anerkennung im Kreis der Göttinger Phänomenologen. Über den Glaubensweg der Studienzeit subsumiert Edith Stein, dass sie den Weg zu Gott noch nicht wiedergefunden habe, aber durchaus die Ehrfurcht vor Glaubensfragen und gläubigen Menschen verspürt.[61]

       Nach dem Dienst in dem Feldlazarett von Mährisch-Weißkirchen macht Edith Stein ihr Graecum. Schon bald darauf richtet sie sich auf das Schreiben ihrer Doktorarbeit bei Husserl ein. Sie ist dazu auf der Suche nach der Einfühlung, welche es –ihrer These zufolge – der menschlichen Person ermöglicht, über die äußeren Objekte bewusst zu werden. In der Phänomenologie ist das Außen durch Intersubjektivität bestimmbar.[62] Die Einfühlung ist dabei die Verbindung zwischen der inneren Person, dem Subjekt, und den äußeren Personen. Durch sie wird erkannt, was für Regungen der äußere Mensch durchlebt, im Sinne der Empathie aber auch als Absicherung dafür, dass es andere erlebende Bewusstseine gibt.[63]

       Husserl hatte diesen Begriff nicht reflektiert, sodass Edith Stein nun diese Arbeit übernimmt. Während der Arbeit an ihrer Promotionsschrift wird sie von ihrer alten Schule angefragt, ob sie als Lehrerin aushelfen könne. Diese Arbeit übernimmt Edith Stein. Die doppelte Anstrengung jedoch zehrt an ihrer Substanz, sodass sie sich zugunsten der wissenschaftlichen Arbeit gegen den Schuldienst entscheidet. Husserl hat zeitgleich einer Anstellung der Freiburger Universität nachgegeben, sodass sie ihr Werk „Zum Problem der Einfühlung“ dorthin schickt, um dann nachzureisen. Auf dieser Reise begleitet sie der Philosoph Hans Lipps, auf dessen Werk sie in ihrer Doktorarbeit Bezug genommen hat. In dieser Phase ist sie immer noch Jüdin ohne Glauben.[64]

       Dennoch zeichnen sich während der Fahrt nach Freiburg im Juni des Jahres 1916 Entwicklungen zu einem Glaubensleben im Stillen ab. Wichtig ist dabei die beschriebene Ehrfurcht, die Edith Stein beim Betreten des Doms zu Frankfurt empfindet. Diese Erfahrung, die sie in Begleitung von Pauline Reinach macht, leitet eine neue Stufe in ihrem Glaubensleben ein. In diesem katholischen Bauwerk erlebt Edith Stein, die sonst rational fokussiert für ihre Arbeit lebt, einen anrührenden Moment: Eine Frau hat sich vom Markt kommend in den Dom begeben, um ein kurzes Gebet zu verrichten. Dieses zu erleben ist für Edith Stein so, als ob sich die Frau in einem vertrauten Gespräch an Gott richtet, was sie vorher in der Synagoge oder bei dem Besuch reformierter Kirchen nicht erlebt hat. Dieser Moment der stillen Andacht einer Fremden belegt Edith Steins Erkenntnis, auf einen weiteren Schritt in das Phänomen des Glaubens eingetreten zu sein. Sie schreibt selbst dazu, dass sie dieses Zwiegespräch habe „nie vergessen können“[65].

       Diese Wahrnehmung erinnert an ihre Tätigkeit in Mährisch-Weißkirchen. Sie berichtet in diesem Zusammenhang von einem Schutzgebet im Notizbuch eines Soldaten. Dieses Schreiben hat sie „durch und durch“[66] bewegt. Also ist auch schon in diesen Jahren eine Offenheit für das Phänomen Glauben zu erspüren. Dennoch bezeichnet sie sich selbst zu diesem Zeitpunkt nicht mehr bzw. noch nicht als gläubige Frau. Ein wesentlicher Schritt aus dem Atheismus ist später der Tod Adolf Reinachs, dessen Witwe Edith Stein helfen will, eine Schriftensammlung für ein Jahrbuch zusammen zu finden. Der Tod im November 1917 trifft Witwe Reinach nicht in dem Ausmaß, das Edith Stein erwartet hätte. „Frau Reinach war in all ihrem Schmerz von einem sieghaften, starken Glauben erfüllt“[67], von dessen Begegnung Edith Stein dann verlauten lässt:

       „Es war dies meine erste Begegnung mit dem Kreuz und der göttlichen Kraft, die es seinem Träger mitteilt. […] Ich sah zum erstenmal die aus dem Erlöserleiden Christi geborene Kirche in ihrem Sieg über den Stachel des Todes handgreiflich vor mir. Es war der Augenblick in dem mein Unglaube zusammenbrach, das Judentum verblaßte und Christus aufstrahlte: Christus im Geheimnis des Kreuzes.“[68]

       Von hier an ist sie dennoch weiterhin auf der Suche nach dem wahren Glauben. Sie kauft „aus psychologischem Interesse“[69] die Exerzitien von Ignatius von Loyola, merkt dann aber schnell, dass „man etwas derartiges nicht nur intellektuell konsumieren kann, sondern, daß man die Exerzitien »tun« müsse“[70]. Des Weiteren führt ihre Suche nach der Wahrheit über verschiedene Kirchenbesuche dazu, dass sie schreibt:

       „Ich habe das Heidelberger Schloß, den Neckar und die schönen Minnesängerhandschriften in der Universitätsbibliothek gesehen. Und doch hat sich wieder etwas anderes tiefer eingeprägt als diese Weltwunder: eine Simultankirche, die in der Mitte durch eine Wand geteilt ist diesseits für den protestantischen, jenseits den katholischen Gottesdienst benützt wird.“[71]

      Die Benutzung der Begriffe „diesseits“ und „jenseits“ ist hier sehr aufschlussreich und interessant. Da es sich hier wahrscheinlich nicht nur um eine räumliche Betrachtung handelt, ist anzumerken, dass Edith Stein, wie viele Philosophen des Göttinger Kreises wahrscheinlich zunächst eher dem Protestantismus zugeneigt war, was auch ihren späteren Schritt im Sommer 1921 erkennbar ist, da sie sich bisher noch zu keinem Glauben bekennt.

       Über die Zeit in Freiburg, zu der auch das Rigorosum am 03. August 1916 gehört, ist zu berichten, dass Edith Stein hier eine Assistenzstelle bei Husserl erhält. Diese ist ihr wohl auch über das Summa cum laude ihrer Doktorarbeit zu teil geworden. Mit der Fahrt nach Freiburg enden die Aufzeichnungen der Autobiografie.[72]

       Darüber, was auf ihrem langen Weg über die verschiedenen Stufen aus dem Judentum in den Katholizismus der entscheidende Schritt ist, lässt Edith Stein keinen Zweifel. Sie ist im Sommer des Jahres 1921 bei ihrer Freundin Hedwig Conrad-Martius in Bergzabern zu Besuch. Beide Frauen haben zu dieser Zeit als Philosophinnen tiefe Glaubenszweifel. Da begegnet Edith Stein im Bücherschrank der Conrads der Autobiografie von Teresa von Avila, nach deren Lektüre sie sich durch zwei Aussprüche zum Katholizismus bekennt. Der erste soll gewesen sein: „Das ist die Wahrheit!“[73] Der zweite aber „secretum meum mihi“[74]. Beide sind, gegenüber Hedwig Conrad-Martius, ausgesprochen, der tiefe Ausdruck dafür, was Edith Stein im Angesicht der Heiligen Teresa von Avila empfunden haben mag. Zum einen findet die Überwältigung durch die Wahrheit Gottes Ausdruck und zum anderen die intime Berührtheit durch Gott in dem Wort „secretum meum mihi.“[75] Dennoch differenziert Edith Stein nicht aus und beschreibt auch nicht genau, wie Gott sie berührt hat. Dabei reicht die Wirkung der Worte Teresa von Avilas nicht nur in die Tiefen des Glaubens, sondern eröffnet Edith Stein den Weg in den Katholizismus. Sie bemerkt dazu in den Jahren 1935/36:

       „Ihre Wirkung streckt sich über die Grenzen ihres Volkes und ihres Ordens hinaus, ja sie bleibt nicht einmal auf die Kirche beschränkt, sondern greift auch auf Außenstehende über. Die Kraft ihrer Sprache, die Wahrhaftigkeit und Natürlichkeit ihrer Darstellung schließen die Herzen auf und tragen göttliches Leben hinein.“[76]

       So entsteht also – durch die Lektüre inspiriert – eine Sehnsucht nach dem Göttlichen in Edith Stein. Sie kauft sich am Morgen nach der Lektüre der Autobiografie der Heiligen einen Katechismus und das Messbuch, um es gründlich zu erforschen. Danach begibt sie sich zu einer Messfeier in die Kirche und bittet im Anschluss den Priester um die Taufe. Der Geistliche weist sie daraufhin, dass die Sache wohl überlegt sein müsse, aber Edith Stein ist überzeugt. Die Taufe wird also für den 01. Januar 1922 auf das Fest der Beschneidung Jesu festgelegt und Hedwig Conrad-Martius ist Taufpatin.[77]

      2.4 Der Weg im Katholizismus

       Als Katholikin steht Edith Stein vor etlichen Problemen: Ihrer Mutter bricht das Herz als sie von der Konversion erfährt, die Familie reagiert, bis auf Rosa, eisig und Edith Steins Sehnsucht nach dem Karmel wächst. Als sie ihre Konversion vor der Mutter und der Familie gesteht, bricht die Mutter in Tränen aus und Edith Stein braucht sehr viel Fingerspitzengefühl, um die entstandene Kluft zu überwinden. Sie begibt sich mit ihrer Mutter in die Synagoge und betet voller Inbrunst den Psalter mit, besucht aber weiterhin morgens die katholische Messe. Gleichzeitig erspürt sie die Verbitterung der Mutter, die, wenn sie in den Karmel einträte, zusammenbräche. Den Eintritt in den Karmel schiebt Edith Stein daher vor sich her und folgt so dem Ratschlag des Generalvikars Joseph Schwind, an der Lehrerinnenbildungsanstalt und dem dominikanischen Lyzeum in Speyer zu unterrichten.[78]

      Dort

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