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Hans Biberstein entpuppt sich hier als wahrer Verfechter der weiblichen Gleichstellung.[35]

       Als sich Edith Stein in Breslau für die Fächer Psychologie, Geschichte, Germanistik „und nur nebenbei auch noch Philosophie“[36] einschreibt, muss sie einige Texte aus der Bibel aus dem Althochdeutschen übertragen. Sie selbst erkennt zu dieser Zeit noch nichts Sakrales in den Texten. Auf die Fächer Psychologie und Philosophie ist sie „am meisten gespannt“[37]. Durch Geschichte fühlt sich die junge Studentin immer mehr dem jungen deutschen Reich verpflichtet. Aus einem „starken sozialen Verantwortungsgefühl“[38] setzt sie sich immer wieder für das „Frauenstimmrecht“[39] ein, so sehr sogar, dass sie die nicht engagierten Studentinnen und Studenten verachtet. Hier wird ein starker Akzent auf die Suche nach innerweltlichen Problemstellungen offenbar.[40]

       In den Studienjahren versteht sich Edith Stein zunächst als Jüdin ohne Glauben, da sie in den Jahren um 1906 ihren „Kinderglauben“[41] ablegt hat. Ihre Hoffnung legt sie in die Psychologie. Durch diese möchte Edith Stein mehr über die Tiefen der Seele erfahren. Wie sie später aber in „Endliches und Ewiges Sein“ festhält, hat die damalige Psychologie nicht nur das Problem, dass sie als Wissenschaft zu sehr in den „Kinderschuhen“[42] steckt, sondern auch, dass sie nicht mehr mit dem Begriff Seele operiert. Hierzu schreibt sie:

       „Und denken wir schließlich an die wissenschaftliche Erforschung der »inneren Welt«, die sich diesem Seinsgebiet wie allen anderen zugewendet hat, so ist es ganz erstaunlich, was vom Reich der Seele übriggeblieben ist, seit die »Psychologie« in der Neuzeit begonnen hat, sich ganz unabhängig von allen religiösen und theologischen Betrachtungen der Seele ihren Weg zu bahnen: das Ergebnis war im 19. Jahrhundert eine »Psychologie ohne Seele«. Sowohl das »Wesen« der Seele als ihre »Kräfte« wurden als »mythologische Begriffe« ausgeschaltet, und man wollte sich nur noch mit den »psychologischen Phänomenen« beschäftigen.“[43]

       Da Edith Stein ihr Studium nur mit dem Ziel Lehramt anstreben kann, etwas Anderes steht ihr als Frau in diesen Jahren nicht zu, setzt sie sich auch mit pädagogischen Problemstellungen auseinander. Diese werden an der Universität zu Breslau zwar theoretisch bearbeitet, die fachpraktischen Fragestellungen aber bleiben meist unbeantwortet, sodass sie sich mit einer Gruppe junger Pädagoginnen und Pädagogen zusammenfindet, um diese Fragestellungen zu bearbeiten. Dort lernt sie auch Dr. Moskiewicz kennen, der ihr den Weg zur Phänomenologie nach Göttingen empfiehlt.[44]

       Während der Jahren ohne Glauben ist Edith Stein von einer Todessehnsucht geplagt, welche ihr selbst Angst bereitet. Sie beschreibt dabei eine Situation, in der das Gaslicht, das zur Nacht brennt, erloschen ist und so das Zimmer mit giftigem Gas füllt. Ihre Schwester Frieda erkennt am Morgen die Situation, [reißt] schnell das Fenster auf, dreht[] den Hahn ab und weckt[]“[45] die Schwestern Erna und Edith Stein. Edith Steins erster Gedanke ist: „Wie schade! Warum hat man mich nicht für immer in dieser tiefen Ruhe gelassen?“[46] Gleichzeitig ist sie jedoch schwer betroffen über diesen Gedanken, da sie selbst die Zeit um das Studium in Breslau als eine der glücklichsten ihres Lebens einschätzt. In der Edith-Stein-Biografie von Elisabeth Endres wird der Gedanke als eine Reaktion der Nerven auf die Lebenssituation gedeutet.[47] Diese Meinung wird hier jedoch nicht geteilt, da Edith Stein der bewusstseinstrübenden Wirkung des Gases unterliegt und somit nicht zurechnungsfähig ist, was auch in ihrem Erschrecken über den Gedanken widergespiegelt wird. Echt depressiv anmutende Gedanken tauchen allerdings laut Selbsteinschätzung in den folgenden Jahren um den Sommer 1912 auf. Sie wünscht sich, von Autos überfahren zu werden, oder, dass sie bei Spaziergängen tödlich verunglücke. Allein Bachs Orgelkonzerte vermögen sie aus dem Stimmungstief zu befreien.[48] Durch die Drangsal dieser Jahre mögen wahrscheinlich auch Worte aus der Autobiografie Teresa von Avilas Edith Steins Seele berührt haben. Diese lauten: „Seid überzeugt, dass ihr euch in tödliche Gefahr begebt, wenn ihr euch vom Gebet trennt. Bei mir jedenfalls war es so.“[49]

       Edith Stein begibt sich in den Jahren des ersten Weltkriegs freiwillig in den Dienst beim Roten Kreuz. Ihre körperliche Konstitution scheint jedoch „nicht stabil genug für diese Aufgaben. Sie erkrankt[] an einem Bronchialkatarrh.“[50] Daraufhin muss sie wieder in das bürgerliche Leben zurück, aber sehnt sich nach ihren Studien in Göttingen. So legt sie zwischen dem 14. und 15. Januar 1915 ihre Staatsexamensprüfung mit einer sehr guten Note ab. Danach begibt sie sich zurück nach Breslau. Von dort aus meldet sie sich erneut beim Roten Kreuz und wird von dort aus nach Mährisch- Weißkirchen in ein Seuchenlazarett verwiesen.[51] In diesem Feldlazarett erlebt sie, wie Patienten an Typhus leiden und sich „durch einen schweren Kollaps, der einem Todeskampf glich, wieder erholten“[52]. Im September des Jahres 1915 fährt sie erneut nach Breslau, um sich hier zu erholen. Sie legt auch in Breslau ihr Examen für Krankenpflege ab, muss aber danach nicht mehr in das Lazarett zurück, da sich die Front verschoben hat und das Lazarett aufgelöst worden ist.[53]

       Edith Stein widmet den Erfahrungen aus Mährisch-Weißkirchen ein eigenes Kapitel. Die junge Philosophin erweist sich dort als eine sehr tüchtige Krankenschwester. Besonders eindrückliche Schilderungen von übergriffigen Ärzten, genötigten Krankenschwestern und Patienten mit Lazaretterkrankungen werden in diesem Kapitel skizziert. Sie wehrt sich schon lange gegen den Genuss von Alkohol und wird durch das Verhalten der anderen Menschen darin nur noch bestärkt. Die Übergriffe durch Ärzte ihrer Person gegenüber stellt sie mutig zur Rede. Auch ist sie immer auf eine wütende Art über die Hygiene betroffen, die ihrer Ansicht nach besser ausgeführt werden müsste. Die Patienten danken ihr ihre Fürsorge sehr: Ein Patient, den sie in ihrer besonderen Pflege hat, schreibt ihr später noch Briefe. Sie berichtet von Fütterungen, frisch zu machenden Betten und Wundlagerungen, welche sie durchzuführen hatte. Als Literatur während dieser Zeit erwähnt sie Homer und Husserl.[54]

       Um in den Göttinger Kreis der Phänomenologen gelangen zu können, folgt sie dem Rat Moskiewiczs, spricht bei Adolf Reinach vor und ist überrascht über das positive Gespräch. Darüber hinaus erfährt sie von Moskiewicz, der auch nach Göttingen gereist kommt, dass es ein wöchentliches Treffen der Göttinger Philosophen gibt, an denen sie bald rege teilnimmt. Ihr erstes Zusammentreffen mit dem Philosophen Husserl – er hatte sich, wie viele seiner Schüler, vom Judentum zum reformierten Christentum bekehrt – ist ihr in Erinnerung geblieben, weil Husserl Edith Stein für die vorausgegangene Lektüre der „logischen Untersuchungen“ sehr lobt. Er bezeichnet dies ihr gegenüber als eine „Heldentat“[55].

       Die Seminare mit dem Husserlschüler Max Scheler bleiben ihr gut in Erinnerung. Max Scheler ist ebenso wie Edith Stein Jude. Sein Vater ist Proselyt[56] und seine Mutter Jüdin. Er erfährt durch beide keinen Rückhalt im Glauben und entscheidet sich für den Katholizismus. So ist seine Phänomenologie dementsprechend katholisch geprägt.[57] Dieser Einfluss ist für Edith Stein als Wahrheitssuchende ein weiterer prägender Faktor. Während der Themenformulierung ihrer Staatsarbeit stellt sie eine Lücke in den systematischen Betrachtungen Husserls fest. Hier schon stellt sie sich die Frage über die sie promovieren will: „Was ist die Einfühlung?“[58] In der Autobiografie äußert sie sich folgendermaßen:

       „In seinem Kolleg Natur und Geist hatte Husserl davon gesprochen, daß eine objektive Außenwelt nur intersubjektiv erfahren werden könne, d.h. durch eine Mehrheit erkennender Individuen, die in Wechselverständigung miteinander stünden. Demnach sei die Erfahrung von anderen Individuen dafür vorausgesetzt. Husserl nannte diese Erfahrung im Anschluß an die Arbeiten von Theodor Lipps Einfühlung, aber er sprach sich nicht darüber aus, worin sie bestünde.“[59]

      Edith Stein erkennt die Bedeutung der Einfühlung für die Phänomenologie und die Idee, darüber zu promovieren, gefällt Husserl sehr gut, sodass er sie in ihrem Vorhaben unterstützt. Er besteht aber auf eine Anbindung an die Schriften Theodor Lipps.

       Während der Arbeit an ihrem vorhergehenden Examen ist Edith Stein von schwerem Weltschmerz gebeutelt worden. Sie verliert jeden Lebensmut. Sie wünschte sich bei jeder Straßenüberquerung, dass sie von einem Wagen erfasst werde, oder auf Ausflügen, dass sie „abstürzen und nicht mehr lebendig zurückkommen

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