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Die Entleerung des Möglichen. Reinhold Zobel
Читать онлайн.Название Die Entleerung des Möglichen
Год выпуска 0
isbn 9783753181400
Автор произведения Reinhold Zobel
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
“ In einem Kaffeehaus, als Bedienung.“
“ Spielen Sie ein Instrument?“
“ Ein wenig die Bratsche. Warum fragen Sie?“
“ Mir kam die Idee, Sie könnten mich musikalisch vielleicht... verstärken.“
Wie es Oscar beiläufig zu Ohren gekommen war, hatte Varga früher einmal ein eigenes Geschäft besessen, einen Musikalienhandel. Doch darüber redete er nicht.
Ein weiteres Gespräch fädelte sich ein, nachdem die ‘Tanzstunde’ vorüber war. Dieses Mal war es Garcia-Varga, der auf Oscar zukam, in dem leicht schlingernden Schritt, der diesem Mann, wenn er nicht tanzte, offenbar zu Eigen war.
“Monsieur, ich hätte da meinerseits eine Frage.“
“ Fragen Sie.“
“ Spielen Sie Schach?“
“ Verhalten.“
“ Dann lassen Sie uns demnächst doch eine Partie spielen, nach der Arbeit.“
“ Meinetwegen.“
“ Übrigens, Monsieur von der Höh, woher haben Sie eigentlich Ihr gutes Französisch?“
“ Gut? Mhm, Na ja... Ich war als junger Mensch, ehm, für einige Zeit in der Gascogne.“
Oscar hatte es eilig. Ihm war nicht danach, viel zu reden. Ferenczy wollte ihm noch sagen, dass an diesem Abend ja alles glatt verlaufen sei und er seinen musikalischen Einstieg zufriedenstellend gemeistert habe, doch Oscar winkte in knapper Bestätigung ab, brabbelte ein rasches oui, oui und entschwand.
Er strebte heimwärts, ließ den Tag kurz Revue passieren, dann betrank er sich. Er schwankte quer durchs Zimmer. Die Umgebung schwankte. Das Universum schwankte. Vielleicht, dachte er und fand den Gedanken irgendwie tröstlich, ist der liebe Gott ja Alkoholiker. Betrunken sackte er schließlich auf sein Bett. Es war eben nach Mitternacht. Und Freitag, der Dreizehnte.
... In niobgrauer Fr ü he in einer niobgrauen Stadt irgendwo im Auge schwarzer Tr ä ume fand er seinen Leib, seine sieben Sachen unter sieben Zwergen wieder, und die Zwerge waren zu eng geratene Gedanken, die aus ihrem Nest gefallen waren, als der Rest seines Bewusstseins noch schlief. Ein Gespinst aus Wirrnis und Schrecken lag dar ü ber. Kamele liefen durch das Bild. Wind zerrieb W ü stensand vor einer eingeölten Sonne. Und es war heiß, erstickend heiß ...
Oscar erwachte schweißgebadet. Für Minuten wusste er nicht, wo er war, wie er hieß, was geschehen war. Er stellte fest, dass er noch in seinen Kleidern steckte. Dann kam die Erinnerung. Sie schmeckte süßsauer, in Teilen salzig.
Er stand auf, er wusch sich, rauchte dann eine Zigarette. Er schaute aus dem Fenster, herab auf den Autoverkehr, auf Passanten, Hunde, Siele, Pflastersteine. Dort drüben war der Tabac, wo er seine Zigaretten, Bus-Tickets und ab und an eine Tageszeitung kaufte. Gegenüber an der Ecke befand sich die Telefonzelle, von wo aus er telefonierte, wenn er telefonieren musste. Dort war das alltägliche Leben... als Tröpfcheninfektion.
Oscar drehte sich um, sein Blick durchmaß einen ziemlich mageren Raum. Und hier... fand Sein Leben statt, Sein Jetzt. Auf 12 Quadratmetern. Bett, Stuhl, Hocker, Tisch, Kochecke... er stoppte die Aufzählung. Er war ohnehin fast damit am Ende. Er hatte Kopfweh. Manches Wirkliche erschien ihm unscharf, atonal, seifig eingetrübt.
“Du merkst dir ja wirklich alles.“
“Schlimmer. Ich führe darüber Buch.“
Oscar seufzte. Bisweilen sah er Conny, seine Noch-Ehefrau (sie waren bislang nicht geschieden), auch wenn sie gar nicht anwesend war. In den Lichtflecken oberhalb der Fensterbank spiegelte sich gerade eine Locke ihres Haars, blond, widerspenstig, unerreichbar.
“Du solltest endlich einmal damit beginnen, dein eigenes Leben sinnvoll zu organisieren.“
“Das ist, ehm, ein wunderbarer Einfall. Lass ihn uns in Serie geben, Schatz.“
“ Mehr hast du dazu nicht zu sagen?“
“Alles in der Natur macht Sinn, bis auf den Menschen. Er ist der sinnlose Faktor.“
“Du magst ja begabt sein, Oscar. Deine Ansichten sind es jedenfalls nicht.“
“Du siehst, ich widerspreche nicht?“
“Und du hast kein Verantwortungsgefühl.“
“Verantwortungsgefühl... so, so, nun ja.“
“Ja. Denn du hast nie für irgendetwas Verantwortung übernommen, genau wie dein Vater... nicht einmal für dich selber…“
Er schaute einer Stubenfliege zu, die sich, seitwärts des Honigglases, die Flügel putzte. Auch das, konstatierte er, war Dasein. Man sollte, sagte er sich, Haltung bewahren. Hat man einen Stil? Ja, man hat. Denn hätte man keinen, hätte man nicht viel... Er lachte brüchig, drehte sich um seine eigene Achse und hämmerte den Kopf rhythmisch gegen die Wand. Vielleicht gab sich der Schmerz davon ja geschlagen und mit ihm die Erinnerung, das Denken, die Einsamkeit, die Zeit.
Er lehnte sich mit dem Rücken an den grauweiß verputzten Stein. Sein Atem rasselte, als hätte er Asthma. Er war erschöpft, nein, er war nicht erschöpft, er fühlte sich nur so. Und wie sollte es jetzt weitergehen mit ihm? Manchmal war ihm das egal. Alles, was er von sich erkannte, war eine Larve, aus der irgendwann eine weitere Larve schlüpfen würde.
Er setzte sich, nein, er kauerte sich hin. Und hielt inne. Wer nichts tut, sieht mehr… das hatte er irgendwo gelesen. Dann gab er sich aber doch einen Ruck. Denn er hatte ja noch einiges zu erledigen heute. Er brauchte ein paar Notenblätter für sein aktuelles Repertoire. Und Pepe wollte ihm ein Tonband zukommen lassen, mit Aufnahmen von Carlos Gardel. Zum Nachspielen. Im Grunde hing ihm das Ganze bereits jetzt zum Halse heraus, doch, wer konnte es wissen... womöglich lag es allein an der Besetzung, die ihm in dieser Show zugedacht worden war. Er hatte am Abend noch eine Verabredung mit Saloua. Sie wollte ihm Pepes Band übergeben. Er dachte an eine Bemerkung, die sie kürzlich an anderer Stelle geäußert hatte.
“Du bist kein typischer Musiker.“
“ Warum?“
“Musiker sind Familienmenschen.“
Er sah ihr Lächeln. Sie lächelte oft. Es gehörte zu ihr wie die Gischt zur Brandung. Er lächelte auch. Sie wusste nicht, dass er Familie hatte. Er zupfte nachdenklich an der Serviette. Sie saßen im Bistro, schauten zusammen aus dem Fenster. Es herrschte flottierendes Treiben um sie herum. Es war noch früh. Es roch nach Kaffee und nach mutterschoßwarmen Croissants.
“Wir sind unterwegs, unter anderem, um uns fortzupflanzen.”
“Was meinst du damit?“
“Ich meine, man paart sich, man heiratet, man, ehm, zeugt Kinder.“
“Man kann sich doch auch geistig fortpflanzen.“
Verwundert hob Oscar die Brauen. Diesen nahezu unbetont hingeworfenen Einwurf hatte er von ihrer Jugend jetzt nicht erwartet. Seine Antwort erfolgte zögernd, beinahe stockend.
“Das mag sein…nur steckt manchmal, ehm, auch anderes noch dahinter.“
“Wohinter? Worauf willst du hinaus, Oscar? “