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besonders auf diese Beteiligten richtete. Ich war vorwiegend mit mir beschäftigt und damit, die Annäherung der Männer abzuwehren und mich dennoch aufmerksam im Feld zu bewegen.

      Ich beobachtete das Geschehen auf den öffentlichen Plätzen aus der Außenperspektive. Doch die sofortige Einbeziehung (und dadurch sehr gute Verdeutlichung meines Einflusses auf das Feld) machte es bald unmöglich, einfach nur „Zaungast“ zu sein. Die Rollen im Feld sind, sobald man sich längere Zeit dort aufhält, relativ klar verteilt bzw. werden von den Teilnehmenden entsprechend zugeschrieben. So ist es für männliche Forscher recht unauffällig, das Geschehen zu beobachten, da eine wesentliche Aktivität im Feld, vor allem seitens der Freier, das Beobachten selbst ist.10 Spezifisch für dieses Milieu ist es also, dass man als Beobachterin von einem Großteil der Beteiligten ebenfalls sehr genau beobachtet wird.

      Zentrales Thema war somit der Umgang mit den teils offensichtlichen, teils vermuteten Attributionen seitens der männlichen Akteure im Feld. Kann und will ich mich dem „Beglotztwerden” und den Anmachen der Freier aussetzen? Wie zeige ich, dass ich nicht „dazugehöre”? Wie reagiere ich, wenn mich ein Freier anspricht, um einerseits etwas zu erfahren, aber gleichzeitig auch ganz klare Grenzen zu ziehen? Es zeigt sich also eine gewisse Ambivalenz zwischen der notwendigen Nähe, um Informationen und Einblicke erhalten zu können, und den beständigen Versuchen aufgrund von Ängsten, beispielsweise vor Überschreitungen der persönlichen Distanz, körperlichen Übergriffen und bezogen auf eigene Tabuthemen sowie daraus resultierendem Unbehagen, Unsicherheit und (teilweise unbewusster) Abwehrhaltung, Distanz zu halten.

      Deshalb beobachtete ich nicht nur offen11, sondern auch verdeckt aus einem weitgehend geschlossenen Kastenwagen mit getönten Scheiben, um Eindrücke tatsächlich einmal distanziert gewinnen zu können, aber auch um nicht selbst immer nur damit beschäftigt zu sein, irgendwie reagieren zu müssen. Dies hatte allerdings den Nachteil, dass die Akteurinnen und Akteure, sobald sie außer Sichtweite waren, tatsächlich von der Bildfläche verschwanden. Insofern passte ich letztendlich die Beobachtungsformen wieder den Bewegungen des Feldes an, um mehr über die dortigen Praktiken zu erfahren. Um meinen Einfluss auf die Handlungen der Akteurinnen und Akteure genauer reflektieren zu können, ließ ich mich bei der Beobachtung wiederum von anderen beobachten.

      Während meines Aufenthalts im Bahnhofsviertel kam ich mit einigen Freiern ins Gespräch, die mich für eine Prostituierte hielten und ansprachen. Es war ausgesprochen schwierig, bei diesen Gelegenheiten mein eigentliches Anliegen und meine Rolle an diesem Ort zu erklären. So wurden aus diesen Sequenzen eher Garfinkelsche Experimente (vgl. Harold Garfinkel 1973). Über Störungen der „gängigen” Kommunikation fand ich zumindest einige Anhaltspunkte heraus, wie Freier mit einer solchen Störung umgehen, von welchen Selbstverständlichkeiten sie ausgehen und wie sie die Prostituierten ansprechen. Besonders deutlich wurde dabei der von den Freiern angenommene Konsens, Frauen, die sich an diesem Ort längere Zeit aufhalten, bieten auch ihre sexuellen Dienste an. Mussten sie feststellen, dass sie sich irrten, reagierten sie teilweise ungehalten. Eine Klärung der Angelegenheit war allerdings kaum möglich, da in den Gesprächen i.d.R. nur mit „Andeutungs-Vokabular” (s. Kap. ) kommuniziert wurde.

      Trotz der geschilderten Berührungsängste fand ich es erstaunlich einfach, den Freiern ins Gesicht zu sehen. Dazu verhalf mir auch das Wissen über meine Rolle und mein Anliegen sowie das Nicht-Wissen der Freier. Nach ersten Erfahrungen und mit zunehmender Vertrautheit bewegte ich mich selbstsicherer im Bahnhofsviertel. Dazu trugen auch ein Rundgang mit einer Streetworkerin und die Besuche der Druckräume bei. Über deren Mitarbeiterinnen konnte ich Kontakte zu Frauen knüpfen. Das erleichterte auch die Beobachtung der Drogenprostituierten, bei denen ich anfangs viel Skrupel hatte, ihren Tagesablauf, der immer etwas Verbotenes und Geheimes beinhaltet, „auszuspionieren”. Außerdem konnte ich den Frauen damit vermitteln, dass ich keine „Neue” – also keine Konkurrentin – war. Meine Befürchtung, als solche gesehen zu werden, bestätigte sich allerdings nicht.

      Grenzen der Beobachtung und Berichte der Akteure

      Teilnehmende Beobachtung ist gut geeignet, um einen Einblick in Abläufe, Verhaltensweisen, Einflussfaktoren und die Dynamik des Untersuchungsgegenstandes zu bekommen. Gerade die Analyse des Einstiegsprozesses und das mögliche „Befremdet-Sein“ können Selbstverständlichkeiten, Aushandlungs- sowie Routineprozesse offen legen (vgl. Flick 1995, 154). Auch die nonverbale Kommunikation, die gerade auf dem Drogenstrich ganz entscheidend ist, lässt sich nur durch genaues Beobachten untersuchen. Jedoch lassen sich nicht alle Phänomene beobachten. Allein räumlich und zeitlich können nur Ausschnitte der sozialen Realität erfasst werden. Beispielsweise konnte ich häufig kurze Kontakte zwischen Drogenprostituierten und Freiern verfolgen, die dann wieder auseinander gingen. Die konkrete Interaktion lässt sich nur vermuten aber nicht genauer beobachten. Deshalb war es nötig, die Hintergründe und die konkrete sprachliche Kommunikation in Interviews zu erfragen.

      Interviews sind Berichte über das Geschehen, mit ihnen lassen sich „die Konzepte der Teilnehmer über ihre Kultur, aber nicht der alltagskulturelle Vollzug selbst erleben“ (Helga Kelle 1997, 203). So ist Alltagshandeln zu beobachten, das häufig unbewusst und auf Nachfragen hin von den Beteiligten sprachlich nicht verfügbar ist, „weil sie es im Modus des Selbstverständlichen und der eingekörperten Routine haben“ (Amann/Hirschauer 1997, 24). Die Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsmuster sowie die dahinter verborgenen Sinnebenen sind in der Regel nicht vollständig zugänglich, sodass sie weder befriedigend beschrieben noch erklärt werden können.

      Die Kontakte zu den Frauen, die ihren Drogenkonsum vorwiegend durch Prostitution finanzieren, knüpfte ich über Mitarbeiterinnen der Druckräume. Dadurch wurde natürlich eine gewisse Vorauswahl getroffen: Welche Frauen könnten etwas zum Thema sagen? Wie gesprächsbereit sind sie und können sie die Zeit des Gesprächs durchhalten? Sicher wurde mit dieser Vorgehensweise eine bestimmte Gruppe Frauen ausgewählt: meist schon etwas ältere Frauen mit jahrelanger (mehr oder weniger phasenweiser) Drogen-, Szene- und Prostitutionserfahrung, die die Angebote der sozialen Einrichtungen wahrnehmen. Diese Frauen entsprachen in der Regel nicht dem oft in verschiedenen Medien zu findenden Bild der „fertigen Junkiehure“.

      Insgesamt standen mir 15 Interviews mit Prostituierten zur Verfügung. Außerdem führte ich Experten-Interviews mit einer Streetworkerin und zwei leitenden Polizeibeamten, um einen Einblick in die Positionen der Verwaltungsinstitutionen zu bekommen, die wesentlich am Alltag der Drogenprostituierten beteiligt sind. Die befragten Drogenprostituierten waren zwischen 20 und 40 Jahren alt, die meisten Ende 20/Anfang 30. Dementsprechend bewegen sich auch die Zeiten ihrer Drogen- bzw. Szeneerfahrungen zwischen drei und 20 Jahren. Mit der Prostitution haben die meisten erst zu einem späteren Zeitpunkt begonnen, es sei denn, sie arbeiteten bereits vor ihrem kompulsiven Drogengebrauch oder unabhängig davon als Prostituierte in einem Bordell oder einer Bar. Bis auf vier Frauen, die eine eigene Wohnung hatten bzw. bei ihren Eltern lebten, waren zum Interviewzeitpunkt alle wohnungslos oder in einer sozialen Einrichtung untergebracht.

      Sicherlich gibt es auch andere Formen von Drogenprostitution: Frauen, die sozial eingebunden sind, eine eigene Wohnung haben, kontrolliert konsumieren, arbeiten gehen und sich mit Prostitution zusätzliches Geld für Drogen verdienen oder als „Professionelle“ in Bordellen arbeiten, müssen sich anders organisieren und sind anderen Einflussfaktoren ausgesetzt als den hier beschriebenen. Insofern stellen die interviewten Frauen möglicherweise eine spezielle Gruppe Drogenprostituierter dar – nämlich die öffentlich sichtbaren.

      In der Interviewsituation mit den Drogenprostituierten war es sicherlich von Vorteil, ihnen als Frau gegenüber zu sitzen. Männliche Interviewer konnten doch immer als potentielle Freier erscheinen. Meine Beobachtungserfahrungen trugen zu einem immerhin möglichen gemeinsamen Blickwinkel bei. Gleichzeitig konnte ich meine eigenen Wahrnehmungen im Feld überprüfen. Beobachtung und Interviews ergänzten sich also, so dass beide Methoden ein zunehmend differenziertes Bild über das Geschehen auf dem Drogenstrich ermöglichten.

      Teilweise wurden die Frauen sehr nachdenklich, Erinnerungen kamen auf. Das war manchmal auch mit Tränen verbunden. Meine Interviewpartnerinnen erwiesen sich gleichwohl als kompetente „Situationsgestalterinnen“. Sie sprachen von dem, was sie glaubten, mir anvertrauen zu können. Die Bedenken, die Gersch et al. (1988, 6) zu Beginn ihrer Studie äußern,

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