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den für diese Untersuchung wichtigen Teil des Frankfurter Bahnhofsviertels.

      Im Kapitel Die Akteurinnen und Akteure auf der Drogenszene stelle ich den räumlichen, personellen und institutionellen Kontext, in dem sich das Geschehen abspielt, genauer vor. Der Ereignisraum „Offene Drogenszene“ beeinflusst mit den darin agierenden Personen und Institutionen sowie seiner Dynamik die Handlungen und Interaktionsprozesse auf dem Drogenstrich. Ich beschreibe die Beteiligten und das Verhältnis der Drogenprostituierten untereinander bzw. lasse die interviewten Frauen selbst zu Wort kommen. Zu den Akteuren gehören auch die Kunden der Prostituierten, von ihnen wird ebenfalls die Rede sein. Zur Einstimmung auf den Hauptteil der Studie gebe ich einen ersten Einblick in das Geschehen auf dem Drogenstrich.

      Unter der Fragestellung Was geht hier eigentlich vor? widme ich mich im Hauptteil den Interaktionsprozessen zwischen Prostituierten und Freiern sowie deren Einflussfaktoren. Um die Offenheit des Themas nicht völliger Beliebigkeit stattzugeben, bette ich die empirischen Ergebnisse in soziologische Interaktionstheorien – in erster Linie der Modelle von Erving Goffman – ein bzw. verknüpfe sie zur Verdeutlichung und Abstrahierung mit interaktionstheoretischen Elementen. Den Ablauf des Geschehens habe ich in sechs Phasen unterteilt, die ich im Einzelnen mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunkten und Fragestellungen bearbeite. Die Theorien über zwischenmenschliche Interaktionen erhalten dabei unterschiedliche Gewichtung. Zwei weitere Kapitel über Besonderheiten bzw. besonders hervorzuhebende Punkte innerhalb der Drogenprostitution lassen sich nicht ohne weiteres in das Phasenmodell integrieren: Viele Frauen auf dem Drogenstrich haben Erfahrungen mit gewalttätigen Freiern. Wesentlich ist daher das Sicherheitsmanagement der Prostituierten, um solche Risiken so gering wie möglich zu halten. Dazu gehört u.a. sich einen verlässlichen Kundenstamm zu schaffen. Um die Beziehungen zu Stammfreiern geht es am Ende des Hauptteils.

      Im Kapitel Mosaikstücke fasse ich die Ergebnisse noch einmal zusammen und weise auf Veränderungen sowie immer wiederkehrende, spezifische Themen innerhalb der geschilderten Inhalte hin. Ich komme auf nach wie vor offene Fragen oder solche, die sich im Laufe der Untersuchung ergeben haben, zurück und gebe einen Ausblick auf Forschungsprojekte, die an diese Studie anknüpfen könnten.

      3 Verstanden im Sinne eines gesellschaftlich fest installierten sozialen Systems mit spezifischen Ordnungsstrukturen zur Regelung von Aktivitäten.

      4 Die Schätzungen, wie viele Frauen sich auf diese Weise ihren „Stoff“ finanzieren, fallen allerdings sehr unterschiedlich aus. Die Angaben bewegen sich zwischen 30 und 80 Prozent der Frauen, die sich auch auf der offenen Drogenszene aufhalten. Beispielsweise schreibt Hedrich (1989) in einem Zwischenbericht der Längsschnittstudie „Amsel“, bei der von 1985 – 1990 324 männliche und weibliche Drogenabhängige befragt wurden, von 46% der weiblichen Teilnehmerinnen, die vorwiegend diese Form der Finanzierung wählten. Dieter Kleiber/Doris Velten (1994) beziehen sich auf eine Schätzung von Intersofia (1991), bei der von etwa 5000 – 8000 weiblichen Drogenprostituierten in der BRD ausgegangen wird. Das sind 40% der Frauen, die als drogenabhängig gelten. Beschaffungsprostitution soll 8% der Prostitution allgemein ausmachen. In der schon erwähnten Studie des Sozialpädagogischen Instituts Berlin von Gersch et al. (1988) wird von bis zu 80% der drogenkonsumierenden Frauen, die zumindest zeitweise auf dem Drogenstrich anschaffen gehen, ausgegangen.

      5 Ich kann mir vorstellen, dass die Zahl der Frauen, die ihren Drogenkonsum sozusagen „ungesehen“ in anderen Bereichen der Prostitution finanzieren, weit höher ist als bisher angenommen. Sie sind schlichtweg nicht so offensichtlich wie die auf dem Drogenstrich in aller Öffentlichkeit (genauso wie Konsumentinnen illegaler Drogen, die sich nicht auf der Szene bewegen). Teilweise zeigt sich das im Kapitel über die Beziehungen zu Stammfreiern (), wenn die Frauen erwähnt werden, die andere Praktiken finden, mit den Kunden Kontakt aufzunehmen, als sich an die Straße zu stellen. Für möglich halten auch Gersch et al., dass „in entsprechenden Etablissements … mehr drogenabhängige Frauen anzutreffen (sind A.L.) als bisher vermutet“ (1988, 15).

      6 Für Zuhälter scheint der Drogenstrich relativ uninteressant zu sein, da die Beschaffungsprostituierten einen zu hohen Finanzierungsbedarf haben und ihnen Unzuverlässigkeit unterstellt wird (vgl. Leopold/Steffan 1996, 121). Eine zuhälterähnliche Rolle sollen aber häufig drogenkonsumierende Partner spielen (vgl. Hedrich 1989, 98).

      7 Prostituierte gelten steuerrechtlich als selbständige Erwerbstätige.

      Annäherung an das Geheime

      Der Drogenstrich ist eine kleine, wenig erforschte Szenerie, der etwas Randständiges, Abweichendes und Kriminelles anhaftet, die es aber in allen größeren Städten gibt. Ein Feld, das durch eine gewisse Verruchtheit etwas Geheimes an sich hat und „offiziell“ nicht ohne weiteres zugänglich ist. Und vor allem ein in mehrfacher Hinsicht tabuisiertes Feld: bezüglich Drogenabhängigkeit, öffentlich inszenierter Sexualität und Prostitution - drei verschiedene „klandestine Welten“, die sich hier vermischen. Viele Menschen kommen in ihrem Leben mit keiner einzigen solchen Subkultur in Kontakt, geschweige denn mit allen drei Dimensionen auf einmal. Das Besondere liegt dabei nicht in einer „Exotik an sich“, sondern wird bestimmt durch Stigmatisierung, Marginalisierung und Illegalität. Daraus ergeben sich dem Untersuchungsfeld eigene Zugangsschwierigkeiten und Hindernisse, die teilweise erst im Laufe der Zeit bei der schrittweisen „Annäherung an das Geheime” (Stephan Palmié 1988) sichtbar wurden. Im Folgenden lade ich dazu ein, mit mir die ersten vorsichtigen Schritte in das Frankfurter Drogen- und Prostitutionsmilieu zu starten, um erste Eindrücke von der Szenerie zu sammeln.8

      Kleiner Rundgang durch das Frankfurter Bahnhofsviertel

      Bahnhofsgegenden, vor allem in größeren Städten, gelten häufig als verruchte Orte, an denen sich Leute aufhalten, die nicht ohne weiteres mit einem sauberen, gepflegten Stadtbild in Einklang zu bringen sind. Vielleicht sollte man sich ganz und gar vor ihnen in Acht nehmen? Neugierig, aber auch etwas unsicher machen wir uns auf den Weg. Ausgangspunkt der Erkundung soll der Hauptbahnhof sein, auf dessen Vorplatz sich im Vergleich zu anderen Städten relativ wenig Menschen aufhalten. Wie Reisende in einer bisher unbekannten Stadt müssen wir uns zunächst einmal orientieren. Alles ist in Bewegung. Erst einmal drauf loslaufen – die große Straße Richtung Stadt: die Kaiserstraße. Die vielen Leute, die uns auf dem Weg entgegenkommen, nehmen wir nur schemenhaft war. Es ist ein „buntes“ Gemisch. Viele scheinen von der Arbeit zu kommen, vielleicht aus einer der verspiegelten, fast „himmelhohen“ Banken, und eilen gerade zum Zug. Andere haben genügend Zeit, herumzuschlendern, sich in ein Café zu setzen, einkaufen zu gehen, Bekannte oder Geschäftspartner zu treffen. Im Kaisersack, direkt gegenüber dem Haupteingang des Bahnhofs, steht ein Fahrzeug der Polizei. Ein paar Reisende blicken sich suchend um, nehmen vorsichtshalber Abstand von der Gruppe Männer und Frauen, die mit Bierdosen in der Hand laut und ausladend gestikulierend diskutieren. Insgesamt wirkt alles sehr geschäftig. Großstadtleben eben, aber doch sehr fremd.

      Wir versuchen, die Gesichter auszublenden und uns Gebäude, Läden und Einrichtungen näher anzusehen. Hier soll sich also das spektakuläre „Rotlichtviertel“ befinden und die über die Grenzen Frankfurts hinaus bekannte Drogenszene? Im Moment können wir uns das noch gar nicht vorstellen. Ein paar vereinzelte Videoshows, ansonsten Geschäfte, Banken, Cafés, Imbisse, große, beeindruckende Altbau-Villen – bei näherem Hinsehen stellen wir fest, dass sie teilweise leer stehen.

      Wir biegen in die Moselstraße nach links ein. Hier kommen wir der Sache schon näher. Es gibt etliche Bars, Live-Shows und Bordelle. Wahrscheinlich wirkt das Ambiente bei Nacht anders, tagsüber macht es einen etwas verschlafenen, unbelebten und schmuddeligen Eindruck. Es ist, als betritt man eine eigene kleine Welt.

      An der Ecke zur Taunusstraße drängt sich das großflächig angeschlagene „Supervideo“ ganz in Pink auf. Zwischen weiteren Videokabinen, Shows und Spielotheken befinden sich Kneipen, Fast-Food-Läden, Geschäfte, ein Supermarkt und die Zentrale der Deutschen Bahn AG. Eine Peepshow hat einen integrierten Döner-Imbiss. „Heidis Bierstube“, vor der sich einige Leute versammelt haben, ist mit drei großen Vorhängeschlössern gesichert.

      In der Elbestraße, die wir nun entlang gehen, sieht es schon mehr nach „Drogenszene“ aus. Die Hauswände

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