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des Drogennotdienstes (DND). Er ist leicht zu übersehen, würden nicht so viele Menschen davor stehen. Auch vor anderen Hauseingängen und am Straßenrand sitzen oder stehen kleinere Gruppen von Frauen und Männern herum. Auf der rechten Straßenseite gegenüber dem Druckraum reihen sich die Sex-Shows nebeneinander. Ob das alles auch Bordelle sind, wird zumindest am Nachmittag nicht ersichtlich.

      Wieder in der Kaiserstraße atmen wir erst einmal durch. Hier wirkt alles etwas „normaler“. Die Videokabinen fallen neben den Geschäften und der Kaufhalle nicht so sehr auf. Die Straße wirkt nicht so „verrucht“, sie ist größer und weiter. Vor einer Bank sitzen ein paar Obdachlose mit ihren Hunden, die von den meisten Vorübergehenden geflissentlich übersehen werden.

      Jetzt nähern wir uns dem eigentlichen Drogen-Straßenstrich in der Weserstraße. Wir sind etwas enttäuscht – wo sind die vielen Frauen, die wir hier erwartet haben? Zwei Frauen, die möglicherweise Prostituierte sein könnten und aussehen, als würden sie auf Kundschaft warten, stehen etwas gelangweilt am Straßenrand. Sonst sitzen am Brunnen auf dem Vorplatz eines Bankhochhauses ein paar Leute. Einige kommen gerade von der Arbeit aus der Bank. Auffällig ist, dass es in dieser Straße überhaupt keine Läden, Bars, Bordelle oder ähnliches gibt. Außer der Bank und anderen Büros ist nichts zu sehen. Auch Wohnungen scheint es hier kaum zu geben. Die Straße wirkt deshalb weniger lebhaft. Was diese Ruhe stört, sind die vielen Autos, die die Straße entlang schleichen. Wir setzen uns einen Moment auf den Brunnenrand. Das soll also der Straßenstrich sein? Wohl schon, denn viele der Autos fahren jetzt schon das dritte Mal an uns vorbei. Die Fahrer blicken suchend umher.

      Wir setzen uns wieder in Bewegung. Fühlen uns irgendwie unwohl, von den Männern begafft und dauernd beobachtet.9 Nun wieder in der Taunusstraße gehen wir im Getümmel etwas unter. Es ist schwierig, sich hier zu orientieren. Die Autos, die schon mehrfach an uns vorbeigefahren sind, scheinen Runde für Runde zu drehen und biegen an der nächsten Ecke wieder links in die Elbestraße ein. Bei genauerem Hinsehen bemerken wir auch hier immer wieder Frauen, die leicht (es ist Sommer) aber unauffällig gekleidet, in den Haus- und Videokabinen-Eingängen stehen und warten. Eben steigt eine Frau, die gerade noch in einer Clique von Szeneleuten stand, in ein Auto. Der Fahrer und sie scheinen sich zu kennen.

      Rechts in der Elbestraße fahren nicht mehr so viele Autos. An der Ecke, vor einem leerstehenden Haus „hängen“ etliche wohl der Drogenszene zugehörige Männer und ein paar vereinzelte Frauen „ab“. Sie wirken teilweise fertig und runtergekommen. Wahrscheinlich werden sie an dieser Stelle am ehesten in Ruhe gelassen, da sich kein Geschäftsbesitzer beschweren kann, dass sie den Eingang belagern. Es stinkt fürchterlich nach Urin. Bis auf den Geruch wirkt die Straße irgendwie anders – einladender. Es scheint nicht mehr so viele Bordelle zu geben, dafür mehr Kneipen und schöne alte Häuser. ‚Fast wie im Urlaub irgendwo im Süden‘ könnte man denken.

      In der Niddastraße scheinen wir uns vom Zentrum des Geschehens etwas zu entfernen. Hier ist nicht mehr so viel Treiben auf der Straße. Viele große, teilweise sehr hässliche Bürohäuser, das Institut für Wirtschafts- und Sozialethik und daneben die Geschäftsstelle der Integrativen Drogenhilfe (IDH) mit einigen Büros. Dort ist auch ein weiterer Konsumraum, vor dem sich einige Menschen sammeln. Sie scheinen zu warten, hereingelassen zu werden.

      Nun wieder in der Moselstraße: Auf der rechten Straßenseite befindet sich das Café Fix, auch ein Kontaktladen, in dem die Drogenkonsumentinnen und -konsumenten sich aufhalten, beraten lassen, etwas essen, waschen und schlafen können. Hier ist auch das Frauencafé, allerdings nicht nur für drogengebrauchende Frauen. Ansonsten gibt es wieder einige Shows und Bars, nicht gerade einladend, sondern dreckig und düster. Viele Läden und ehemalige Kneipen stehen wohl schon längere Zeit leer.

      Nach diesem Rundgang begeben wir uns wieder zum Bahnhof und verlassen das Viertel. Die vielen Eindrücke müssen erst einmal sortiert werden. Um sich wirklich zurechtzufinden und wahrnehmen zu können, was dort vor sich geht, muss man diese „kleine Welt“ wohl noch oft begehen.

      Vor allem interessiert uns die Frage: Wie sieht das Ganze nachts aus?

      Es ist eine laue Sommernacht mitten in der Woche. Wahrscheinlich sind nirgendwo in Frankfurt um diese Uhrzeit so viele Menschen auf der Straße wie hier, auch wenn es im Vergleich zum hiesigen Wochenend-Treiben wenig erscheint. Wir laufen, vorsichtshalber in männlicher Begleitung – was Begutachtung und Anmachen von Seiten der sich dort aufhaltenden Männer allerdings nicht ausschließt –, die gleiche beschriebene Strecke ab. An einigen Stellen wirkt das Viertel um diese Zeit ganz anders. Überall bunte Lichter, die Bordelle sind nun eindeutig zu erkennen. So verwandeln sich die „Urlaubsatmosphäre-Häuser“ in Etablissements, was sich tagsüber kaum erahnen ließ. Das auffällige pinkfarbene „Super-Video“ wirkt dagegen im Schein der Leuchtreklamen und der rot bzw. blau beleuchteten Fenster viel blasser und unscheinbarer.

      Während in der Kaiserstraße gerade aufgeräumt wird und kaum noch etwas los ist, sind die Schwerpunkte des nächtlichen Treibens die Taunus-, Elbe- und Moselstraße. Besonders konzentriert es sich an den Straßenkreuzungen, vor einigen Bordelleingängen oder Kneipen. Vor dem Druckraum des DND sind viele Menschen versammelt. Etwas weiter abseits stehen Türsteher oder Prostituierte etwas gelangweilt in den Eingängen. Vor dem Café Fix liegen bergeweise Reste von Spritzenpackungen. An vielen Stellen wird unser Schritt wegen des aufdringlichen Uringestanks unweigerlich schneller. Einige Polizisten beschäftigen sich gerade intensiv mit einem Mann, zwischendurch fährt das eine oder andere Polizeifahrzeug durch die Straßen oder steht auf Beobachtungsposten. Die Mitarbeiter einer sozialen Einrichtung, die sich in einem Industriegebiet abseits des Bahnhofsviertels befindet, sammeln in ihrem Bus Leute für das Nachtquartier ein.

      Auf dem Straßenstrich in der Weserstraße ist außer einer Frau und den immer wieder Runde für Runde fahrenden sowie scheinbar ziellos herumschlendernden Männern niemand zu sehen. Dagegen stehen in der Elbe- und Taunusstraße einige Frauen, die wohl gerade anschaffen sind. Eine verhandelt mit einem Freier, der vorher schon etliche Runden auf seinem Motorrad gedreht hat. Fünfzig Mark, wie wir im Vorbeigehen mitbekommen, scheinen ihm zu viel zu sein. Auffallend ist, dass im Gegensatz zum Tagesgeschehen keine Prostituierten in den Eingängen der Videokabinen stehen. Vielleicht liegt das aber auch an den sommerlichen Temperaturen.

      Frauen, die sich um diese Zeit im Viertel aufhalten, gibt es im Vergleich zur Anzahl der vorbeifahrenden oder -gehenden Männer, auffallend wenige. Sie sind bis auf einige Ausnahmen für die Anwesenden klar entweder der Drogenszene oder den Sex-Shows und Bordellen zuzuordnen. Und warum sollten sie sich sonst dort „herumtreiben“? Die Verhältnisse scheinen also für die meisten Männer klar, was man ihren Blicken und Worten entnehmen kann. Deswegen trollen wir uns, es reicht für heute.

      Die beschriebenen örtlichen Gegebenheiten bilden den geographischen Rahmen des Geschehens, das ich genauer untersuchen möchte. Sie bilden nicht nur die Kulisse für Prostituierte und Freier auf dem Drogenstrich und vermitteln zusammen mit den dort Anwesenden eine besondere Atmosphäre, sondern markieren den Rahmen bestimmter lokaler Praktiken, die eine eigene „kulturelle Ordentlichkeit“ konstituieren (Klaus Amann/Stefan Hirschauer 1997, 20).

      Wie nun lässt sich dieser Forschungsgegenstand in seiner Besonderheit und seinen eigenen Strukturen entdecken? Wie lassen sich die Mechanismen und Routinen, mittels derer die Handelnden dort zusammenfinden und kommunizieren, herausfinden und rekonstruieren? Statt das Für und Wider verschiedener Forschungsmethoden und methodologische Zusammenhänge zu diskutieren (vgl. dazu Uwe Flick (1995, 1998), Barbara Friebertshäuser/Annedore Prengel (1997), Anne Honer (1989) oder Amseln L. Strauss (1991)), möchte ich mein Vorgehen sowie die spezifischen Merkmale und Schwierigkeiten in einem solchen Milieu zu forschen, schildern, um den Forschungsprozess und die Ergebnisse nachvollziehbar zu machen.

      Als Forscherin im Milieu

      Relativ unvoreingenommen, aber doch mit Bildern der verschiedenen Medien im Kopf, habe ich ein mir unbekanntes Terrain betreten, ein „Spielfeld”, dessen Regeln ich noch nicht kannte. Die ersten Eindrücke waren ambivalent: eine Mischung aus Befremdung, Unsicherheit, Angst aber auch Neugier und dem Reiz des Ungewissen verbunden mit der Frage, ist das in Ordnung, also moralisch und forschungsethisch korrekt, was ich hier tue. Darüber nachzudenken blieb nicht viel Zeit. Als weibliche

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